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Rheinland-Pfalz

RLP-Gesundheitsämter extrem überlastet: „Oberkante, Unterlippe“

Bei mehr als 50 Corona-Infektionen pro 100 000 Einwohner gilt die Kontaktverfolgung als kaum noch möglich. Doch diese Grenze wird derzeit in Rheinland-Pfalz immer wieder überschritten. Ein Lagebericht aus den Gesundheitsämtern.

Belastungsgrenze schon lange erreicht

Das Gesundheitsamt im Kreis Mainz-Bingen hat eine komplette Etage freigeräumt, um zwölf Arbeitsplätze mehr für die Kontaktverfolgung von Corona-Infizierten zu schaffen. „Wir sind hier ganz Oberkante, Unterlippe“, sagt Kreissprecher Bardo Faust die Belastung gegenüber der Deutschen Presse-Agentur. Bei der Kreisverwaltung Trier-Saarburg sieht es nicht anders aus: Sie will jetzt die Bundeswehr um Unterstützung bitten. „Die Belastung der Beschäftigten in Gesundheits- und Ordnungsamt ist sehr stark und hält schon sehr lange an - und es ist ja nicht absehbar, dass es besser wird“, sagt Sprecher Thomas Müller.

Mitarbeiter werden beschimpft und beleidigt

Hinzu kommt, dass eine funktionierende Computer-Software, die es leichter machen würde, die Corona-Kontaktpersonen zu finden, immer noch nicht gibt. „Wir haben gar keine Zeit uns damit auseinanderzusetzen“, erklärt Landrat Achim Hallerbach (CDU) aus dem Kreis Neuwied zum Thema Software. „Wir fahren die ganze Zeit auf Sicht.“ Besonders belastend für die Kollegen im Gesundheitsamt: Der Ton am Telefon sei deutlich rauer geworden. „Die Leute werden beschimpft und beleidigt.“ Viele Angerufene reagierten sehr unwirsch. „Die Akzeptanz der Maßnahmen bröckelt.“

Was es für die Gesundheitsämter momentan besonders schwierig macht: Anders als während des sogenannten Lockdowns im Frühjahr sind die Infizierten jetzt mehr unterwegs und bis zu 40 direkte face-to-face-Kontakte pro Fall keine Ausnahme, sagt der Leiter des Gesundheitsamtes bei der Kreisverwaltung Mainz-Bingen, Dietmar Hoffmann.

Situation im Eifelkreis kritisch

„Aufgrund der Vielzahl an Fällen, die mit dem sprunghaften Anstieg zu bearbeiten sind, bezeichnen wir die Situation als kritisch bis sehr kritisch“, sagt der Sprecher des Eifelkreises Bitburg-Prüm, Thomas Konder der dpa. Dort war die Zahl in den vergangenen Tagen auf über 100 Neuinfektionen gestiegen. „Wir haben einen Zeitverzug bei der Bearbeitung, können die Kontaktverfolgung aber noch stemmen.“

Auch in der Westpfalz fehlt es laut dpa an allen Ecken und Enden: Peter Schmidt, Kreisbeigeordneter in Kaiserslautern, berichtet von zahlreichen Überstunden der Mitarbeiter im Gesundheitsamt, „insbesondere durch Mehrarbeit an Wochentagen, teilweise bis 21.00 Uhr sowie an Wochenenden und Feiertagen“. Und das alles, obwohl die Stammbelegschaft aufgestockt wurde. Der medizinische Dienst der Krankenkassen, die Stadt Kaiserslautern, die Kreisverwaltung, das Land, vier Soldaten und zwei Containment Scouts unterstützten das Gesundheitsamt des Kreises.

Private Feiern sind die Ursache

Wenn die Neuinfektionen über die kritischen Schwellenwerte von 35 beziehungsweise 50 Infektionen pro 100 000 Einwohner innerhalb der letzten sieben Tage steigen - wie in Mainz oder dem Eifelkreis – werden in Rheinland-Pfalz bestimmte Maßnahmen gemäß der „Corona-Ampel“-Regelung getroffen. Große Familienfeiern und Partys sind nach seiner Einschätzung und fünf task forces im Land die Hauptursache für den starken Anstieg der Infektionen.

Eine Hochzeitsfeier in Köln nennt Detlef Placzek, Präsident des Landesamtes für Soziales, Jugend und Versorgung, als Beispiel. Zu dieser seien Angehörige aus rund 40 Familien im Kreis Neuwied gereist. Im Kreis Bitburg-Prüm seien drei Partys in einer Verbandsgemeinde der Auslöser für den rasanten Anstieg der Infektionen auf mehr als 100 pro 100 000 Einwohner in den vergangenen sieben Tagen gewesen. In Mainz sei es die Party-Szene. Kontaktsport komme hinzu.

Freiwillige Unterstützer gesucht

Nicht zielgenaue Maßnahmen über das ganze Land machten keinen Sinn, sagt Placzek. Wichtig sei es aber, dies zu kommunizieren, damit die Menschen dies auch verstehen könnten. „Die Pressearbeit muss vor Ort gemacht werden.“

RLP-Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) ist die Belastung der Gesundheitsämter bewusst, wie die dpa berichtet: „Das geht total an die Grenze der Leute.“ Die Landesregierung appelliert deshalb weiter an pensionierte Ärzte und andere Mitarbeiter aus Gesundheitsberufen im Ruhestand, sich als Helfer zu melden. Der Pool von rund 100 Freiwilligen, die die Kontaktverfolgung unterstützen wollen, werde jetzt auch voll eingesetzt.

Quelle: dpa