Schon vor ihrem mit Spannung erwarteten Sand-Spektakel beäugten sich die beiden Tennis-Asse Alexander Zverev und Rafael Nadal aus der Nähe. Als der spanische Sandplatzkönig im verschwitzten grauen Muskelshirt Aufschläge übte, blickte die deutsche Turnierhoffnung beim Eintritt ins Trainingscenter Jean Bouin interessiert hinüber.
Am Montag stehen sich die beiden Weltklassespieler im direkten Duell gegenüber. Ein Showdown der Extraklasse vor 15.000 Zuschauern auf dem Court Philippe Chatrier gleich zum Auftakt der French Open.
Die Veranstalter bezeichneten es als «Popcorn»-Match der ersten Runde - vielleicht wird es auch das Highlight des gesamten Turniers. Es hat alles, was einen großen Schlagabtausch verspricht. Mythos gegen Momentum, Rekordchampion gegen Olympiasieger. Das Wissen, es könnte Nadals letzter Auftritt bei seinem Lieblingsturnier auf der Abschiedstour sein. Dazu die Erinnerungen an das Halbfinal-Drama in Paris vor zwei Jahren, als Zverev zuerst Nadal auf Augenhöhe begegnet, dann umgeknickt war und anschließend mit dem Rollstuhl vom Platz geschoben wurde.
Zunächst an Scherz geglaubt
«Ich wollte unbedingt in meiner Karriere noch mal gegen Rafa spielen. Ich wollte nicht, dass meine letzte Erinnerung gegen Nadal ist, wie ich mit dem Rollstuhl rausgefahren werde», sagte Zverev. Nachdem ihm sein Bruder und Manager Mischa von der Auslosung berichtet hatte, glaubte er zuerst an einen Scherz. Inzwischen hat sich der Hamburger mit dem Hammerlos angefreundet. «Ich freue mich, dass ich gegen so eine Legende noch mal spielen darf.»
Zumal die Vorzeichen jetzt andere sind: Nach seinem Masters-Triumph in Rom geht der zehn Jahre jüngere Zverev als Favorit und absoluter Titelkandidat ins Match. Der große Nadal (37), der im Stade Roland Garros auf eine surreale Matchbilanz von 122 Siegen und 3 Niederlagen kommt und hier noch nie in der ersten Runde ausgeschieden ist, tritt als Außenseiter an. Wegen seiner langen verletzungsbedingten Ausfallzeit ist er beim zweiten Grand-Slam-Turnier des Jahres im Gegensatz zum Weltranglisten-Vierten Zverev diesmal nicht gesetzt.
Kurios: Das Spiel wird nicht zur Primetime in Nadals «Wohnzimmer» Court Philippe Chatrier ausgetragen, sondern nachmittags. Medienberichten zufolge hätten die Veranstalter einem Wunsch des Spaniers entsprochen. Von Zverev ist bekannt, dass er frühe Matches eher weniger mag. Ein erstes Psychospielchen?
Mentale Stärke gefordert
So oder so wird Zverev neben seinen gewohnten «Waffen» Aufschlag und Rückhand gegen Nadal auch mentale Stärke brauchen. «Er geht durchs Tor, spielt auf dem Philippe Chatrier - und irgendwas passiert mit ihm und seinen Gegnern», sagte Tennis-Ikone Boris Becker bei Eurosport: «Rafa und Roland Garros - das ist die größte Liebesgeschichte im Tennis.»
Becker riet der deutschen Nummer 1, das frühe Highlight-Match möglichst «emotionslos» anzugehen. Er solle «nicht gegen den Mythos Nadal» spielen, sondern gegen «den aktuellen Nadal von heute: einen 37 Jahren alten Spanier aus Mallorca». Ein Rat, den Zverev ganz bewusst in den Wind schlägt. «Bin ich nicht der Meinung», sagte er darauf angesprochen: «In meinem Kopf gehe ich davon aus, dass ich gegen einen Rafael Nadal auf dem Höhepunkt spiele.»
Gebetsmühlenartig wiederholte Zverev, dass Nadal in Paris wieder «zum alten Rafael Nadal» und «sein bestes Tennis spielen» werde. «Für mich ist da kein Fragezeichen.» Auch Roger Federer, einst der große Rivale des Spaniers und «heute ein großer Fan von Rafa», sagte: «Ich glaube, dass Rafa in Roland Garros immer noch zu einem großen Lauf fähig ist.»
Nadals Lieblingsbelag Sand
Nadal, der das Turnier fast zwei Jahrzehnte nicht nur wegen seiner 14 Gesamtsiege geprägt hat wie kein Zweiter, sieht «zumindest eine kleine Hoffnung». Seit seinem neuesten Comeback Mitte April hat der 22-malige Grand-Slam-Turniersieger auf seinem Lieblingsbelag Sand nur durchwachsene Leistungen gezeigt. Doch im Training habe er sich in den letzten Tagen besser gefühlt. «Wenn ich tief in meinem Herzen nicht die Hoffnung hätte, hier Erfolg zu haben», sagte der Ehrgeizling, «wäre ich jetzt nicht hier».
Nur für den warmen Abschiedsapplaus ist Nadal, dessen ruhmreiche Karriere 2024 sehr wahrscheinlich endet, nicht nach Paris gereist. Für die Überraschung gegen Zverev setzt der Turnierliebling auch auf die «großartige Unterstützung der Menschen, das gibt mir viel Power».
Zverev weiß, dass die Stimmung auf der Tribüne ein entscheidender Faktor sein wird. «Die französischen Fans sind sehr laut. Wenn sie für einen sind, ist es immer viel, viel angenehmer, als wenn sie gegen einen sind», sagte Zverev, der sich angesichts seiner eigenen speziellen Historie im Turnier auch Sympathiepunkte erarbeitet hat: «Ich habe eine super Beziehung mit Paris.»
Jörg Soldwisch, dpa
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