Jonas Vingegaard (l) setzte sich auf der elften Etappe vor Tadej Pogacar durch.
Thomas Samson/AFP/dpa
Jonas Vingegaard (l) setzte sich auf der elften Etappe vor Tadej Pogacar durch.
Tour de France

«Was für eine Legende»: Vingegaard siegt und schockt Pogacar

Vor drei Monaten kämpfte Jonas Vingegaard nach einem Sturz um sein Leben. Am Mittwoch kontert er überraschend eine Attacke des Tour-Führenden Tadej Pogacar - und gewinnt die Etappe.

Nach dem wohl emotionalsten Sieg seiner Karriere flossen bei Jonas Vingegaard nur noch die Tränen. «Es ist natürlich sehr bewegend für mich. Nach meinem Sturz so zurückzukommen, bedeutet mir sehr viel. All die Dinge, die ich in den letzten drei Monaten durchgemacht habe. Das wäre ohne meine Familie nie möglich gewesen», sagte der Titelverteidiger der Tour de France mit tränenerstickter Stimme.

Wenige Minuten zuvor hatte der Däne seinen ersten Etappensieg in diesem Jahr gefeiert und dabei seinen großen Rivalen und Gesamtführenden Tadej Pogacar eine völlig unerwartete Niederlage verpasst. Mehr als 30 Kilometer vor dem Ziel trat Pogacar bei der enorm anspruchsvollen Kletterei durch das Zentralmassiv an - niemand konnte folgen und der Vorsprung wuchs schnell auf über 30 Sekunden.

Überraschung im Schlusssprint

«Die Attacke war zu stark», sagte Vingegaard. Der 27-Jährige brauchte 15 Kilometer, ehe er Pogacar zur Überraschung vieler Beobachter stellte. Und auf der Schlussrampe hinauf ins Skigebiet von Le Loiran war er auch noch der Schnellste. «Ich bin überrascht, dass ich Tadej im Sprint geschlagen habe», sagte der Däne. 1:14 Minuten liegt Vingegaard als Dritter der Gesamtwertung hinter Pogacar. Zwischen den beiden Rivalen liegt noch der Belgier Remco Evenepoel. Doch der moralische Sieger ist er kurz vor den Pyrenäen ganz klar.

Anfang April stürzte Vingegaard bei der Baskenland-Rundfahrt in einer Abfahrt schwer. Am ersten Ruhetag der Tour sprach er davon, Todesangst gehabt und an das vorzeitige Ende seiner Karriere gedacht zu haben. Erst sechs Wochen vor der Tour konnte er wieder mit dem Training beginnen. «Ich war froh, dass er bei der Tour hier überhaupt am Start ist. Und jetzt gewinnt er eine Etappe. Wow! Was für eine Legende», sagte Vingegaards Teamchef Richard Plugge.

Obwohl Pogacar das Gelbe Trikot erfolgreich verteidigte und seinen Vorsprung sogar ausbaute, dürfte sich die 211 Kilometer lange und mit 4350 Höhenmetern versehene Etappe wie eine Niederlage anfühlen. «Nun dürfte niemand mehr daran zweifeln, dass Jonas hier in Bestform ist. Das wird großartig für die Fans. Ich denke, ich kann mit viel Selbstvertrauen in die Pyrenäen gehen», sagte Pogacar. Und Vingegaard meinte vielsagend: «Die Tour ist noch lange nicht vorbei.»

Vingegaard erholt sich nach Attacke

Pogacars Team hielt das Tempo den ganzen Tag hoch, was zu einer verblüffenden Durchschnittsgeschwindigkeit von 42,5 km/h führte. Bereits gut 30 Kilometer vor dem Ziel setzte der Slowene seine Attacke, der zunächst niemand folgen konnte. Er fuhr auf Vingegaard und Co. einen Vorsprung von über 30 Sekunden heraus. «Tadej, keiner reagiert, fahr dein Tempo. Fahre mit deinem Kopf», bekam Pogacar via Teamfunk übermittelt.

Doch Vingegaard erholte sich, holte den sichtlich nervösen Pogacar 17 Kilometer vor dem Ziel an der vorletzten Bergwertung wieder ein. Der Gesamtführende sicherte sich allerdings noch die größte Zeitbonifikation auf dem Pass, musste die größere Gutschrift im Ziel aber Vingegaard überlassen.

Keine Chance für die Ausreißer

Der Tag hatte brutal begonnen, nachdem sich das Peloton am Dienstag noch eine Bummeletappe gegönnt hatte. Nach dem Start in Évaux-les-Bains wurden die anderthalb Rennstunden mit einem Schnitt von fast 50 km/h zurückgelegt, ehe sich die Gruppe des Tages bildete und sich die Situation etwas beruhigte. Das UAE-Team von Pogacar ließ die Ausreißer aber nie mehr als drei Minuten weg und beendete den Versuch 32 Kilometer vor dem Ziel. Knapp 400 Meter später folgte der Angriff von Pogacar.

Nach dem Klettertest im Herzen Frankreichs sind am Donnerstag wieder die endschnellen Profis gefragt. In Villeneuve-sur-Lot wäre alles andere als ein Sprint eine Überraschung und aus deutscher Sicht bietet sich für Pascal Ackermann und Phil Bauhaus die nächste von insgesamt noch drei Chancen auf einen Etappensieg.

Tom Bachmann und Felix Schröder, dpa
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