Vor dem 13-stündigen Nachtflug zurück nach München mussten Trainer Vincent Kompany und die Bayern-Profis um Minjae Kim und Thomas Müller im drückend heißen Seoul noch letzte Marketing-Termine erledigen. Sportvorstand Max Eberl bewertete derweil im klimatisierten Teamhotel am Han-Fluss den sportlichen Part des nur 85 Stunden währenden Aufenthaltes in Südkorea gut gelaunt als positiv und ermutigend.
Er habe «viele gute Dinge gesehen», sagte Eberl zum 2:1 (1:0) in einem unterhaltsamen Testspiel gegen Tottenham Hotspur vor 63.496 Zuschauern am Samstagabend im World Cup Stadium. «Hohe Energie, hohe Laufbereitschaft, hohe Intensität.» Der neue Bayern-Stil.
«Die erfolgreichste Reise ever»
Finanzvorstand Michael Diederich schwärmte am Stehpult neben Eberl von Rekordzahlen bei verkauften Trikots und einer enorm hohen Aufmerksamkeit im Heimatland von Verteidiger Kim. «Aus Merchandising-Aspekten war das die erfolgreichste Reise ever», sagte der 58-Jährige: «Wir haben immer hohe Erwartungen, die wurden in diesem Land übertroffen.»
Und sportlich? Auch wenn es gegen Tottenham nur ein Testspiel unter Sauna-ähnlichen Bedingungen war, war der Sieg für die Reisebilanz sehr wichtig. Trainer Kompany benötigt Ergebnisse auf dem Weg eines fußballerischen Kulturwandels, mit dem er den FC Bayern nach einem titellosen Jahr wieder auf Trophäenkurs bringen will.
Augenfälligste Innovation: Ein Pressing-Stil, mutig Mann gegen Mann, um aggressiv Bälle zu erobern. «Für uns war es wichtig, ab dem Moment Gefahr auszustrahlen, in dem wir in Ballbesitz gelangten. Das haben wir richtig stark umgesetzt», lobte Kompany. Auch wenn nur zwei Tore durch Talent Gabriel Vidović und Reservist Leon Goretzka heraussprangen. Pedro Porro verkürzte noch für die Spurs mit einem wuchtigen Distanzschuss.
«Das Wichtigste war: Der gesamte Kader war bereit, zu leiden unter den schwierigen Bedingungen», resümierte Kompany. Zu einzelnen Akteuren und ihren Rollen sagte er auf Nachfrage wieder nichts Konkretes. Mit der Aufstellung von Joshua Kimmich im Mittelfeld und der offensiveren Mittelfeldrolle von Goretzka gab er aber erste Fingerzeige.
Debütant Palhinha wird «extrem helfen»
Neuzugang João Palhinha gab ein 45-Minuten-Debüt als Abräumer vor der Abwehr. «João ist ein Vollprofi. Er wird uns extrem helfen», urteilte Eberl über den Portugiesen, der für 50 Millionen Euro vom FC Fulham kam.
Aktiv, aggressiv, intensiv - Kompanys Spielansatz kommt beim Team an - auch bei den lang gedienten Führungsspielern. «Wenn ich überlege, dass wir nach ein paar Tagen im Training schon so eine erste Halbzeit hinlegen konnten, dann macht einen das erst mal zufrieden», sagte Thomas Müller. Er sei ja ohnehin «eher ein Freund des Pressings» und hatte darum «ein Grinsen drauf», als der bei den Koreanern beliebte Ur-Bayer das Stadion verließ.
«Das macht unserer Mannschaft auch Spaß, wenn sie sieht, dass diese Arbeit belohnt wird», sagte Kapitän Manuel Neuer zur forschen Balljagd auf dem Platz. «Nach so kurzer Zeit konnte man schon eine gewisse Handschrift erkennen, eine Vorgehensweise, wie wir spielen wollen», befand Kimmich.
Der 29-Jährige ließ durchblicken, dass er seine Zukunft auch über das Vertragsende 2025 hinaus in München sieht. Eberl berichtete am Tag danach von einem «sehr offenen» ersten Gespräch mit Kimmich: «Dass Joshua für uns eine wichtige Rolle spielen soll, das ist so.»
De Ligt und Mazraoui im Verkaufspaket
Eberl arbeitet weiter am Kader. Der Verkaufspart gestaltet sich dabei weiter schwierig. Als Vorstandskollege Diederich die tollen Trikotverkaufszahlen referierte, warf er scherzhaft ein: «Bei den Trikotumsätzen muss ich mal fragen, ob ich überhaupt verkaufen muss.» Muss er. Die Abwehrspieler Matthijs de Ligt und Noussair Mazraoui könnten im Paket zu Manchester United wechseln, wenn die Millionen stimmen. Der Transfermarkt sei «sehr zäh». Einkäufer wollten möglichst wenig bezahlen, Verkäufer möglichst viel kassieren.
Der Spanier Bryan Zaragoza (22) soll angesichts der starken Konkurrenz in der Offensive nach nur einem halben Jahr in München verliehen werden. Nach dem längeren Urlaub werden die Nachzügler Harry Kane und Alphonso Davies als Letzte zum Team stoßen. Bei Leroy Sané wird es nach seiner Leisten-Operation bis zum Saisonstart noch nicht reichen.
Kompany kann jetzt an seiner Wunschelf arbeiten, einem Team, das möglichst «geilen Fußball» spielen soll, wie Eberl sagte. «Wir wollen eine Mannschaft haben, die sich auf dem Platz zerreißt.»
Von Klaus Bergmann, dpa
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