Bayern-Trainer Thomas Tuchel sitzt während der Partie gegen RB Leipzig auf einem Aluminiumkoffer.
Tom Weller/dpa
Bayern-Trainer Thomas Tuchel sitzt während der Partie gegen RB Leipzig auf einem Aluminiumkoffer.
FC Bayern München

Tuchel-Kistenplatz als Sinnbild - Eberl kommt für «Neustart»

Vor dem «Neustart in Gänze» siegt der FC Bayern bei Tuchels Abschiedstournee. Die Eberl-Verpflichtung steht unmittelbar bevor. Bei der Suche nach dem Tuchel-Nachfolger hegen die Bosse einen Wunsch.

Thomas Tuchel konterte die provokante Frage nach seinem kuriosen Kisten-Sitzplatz mit beißender Ironie. Äußerlich unbewegt bestätigte der Bayern-Trainer die Interpretation, dass er nach dem erfolgreichen Start seiner Münchner Abschiedstournee auf gepackten Koffern sitze. «Das habe ich extra mitgebracht von zu Hause. In dem Aluminiumkoffer sind alle Sachen drin, schon gepackt. Schön, dass das so angekommen ist», fertigte Tuchel bei Gelächter vieler Zuhörer diesen Punkt ab.

Tuchel lieferte mit seinem exponierten Platz auf der zerbeulten Alu-Kiste aber ein Sinnbild in turbulenten Bayern-Tagen, in denen nach der beschlossenen Trainer-Trennung zum Saisonende an diesem Montag die nächste bedeutsame Personalie entschieden wird. Die Verpflichtung von Max Eberl (50) als neuer Sportvorstand wurde fast schon am Wochenende verkündet.

Bayern wollen Resetknopf drücken

Alles sei auf einen «Neustart in Gänze» ausgelegt, wie Vorstandschef Jan-Christian Dreesen hervorhob. Neuer Trainer, neue sportliche Führung - und neue Stars? Präsident Herbert Hainer kündigte nach dem 2:1 gegen RB Leipzig dank Doppelpacker Harry Kane eine «vernünftige Analyse» für das Saisonende an. Die Münchner wollen ihren hohen Trainerverschleiß stoppen.

Der überschwängliche Jubel der Club-Verantwortlichen in der Nähe der immer noch mächtigen Bayern-Granden Uli Hoeneß und Karl-Heinz Rummenigge verdeutlichte am Samstag den großen Druck im ersten Spiel nach der beschlossenen Tuchel-Trennung. Vom großen Wendepunkt mochte bei acht Punkten Rückstand auf den famosen Tabellenführer Bayer Leverkusen keiner sprechen. Aber nach drei Pflichtspielniederlagen in Folge war es ein Signal, dass die Münchner die erste titellose Saison seit 2012 unbedingt verhindern wollen.

Tuchel will noch Großes schaffen

«Wir müssen nachlegen, nachlegen, nachlegen», sagte Tuchel, der vielsagende Worte über die als «einvernehmlich» kommunizierte Trennung anklingen ließ. «Ich bin der Arbeitnehmer, und als Arbeitnehmer haben sie nicht immer alle Optionen in der Hand. Aber es ist alles gut.» Der 50-Jährige, der beim Champions-League-Finale 2020 als PSG-Trainer mit lädiertem Bein ähnlich wie am Wochenende mal auf einer Getränkekiste hockte, will unbedingt glanzvoll mit Silberware abtreten.

Tuchel ist gekränkt und möchte beweisen, dass nicht er das Problem ist. «Es würde mich sehr wundern, wenn ich irgendwie der Rucksack wäre, den die Spieler mit sich herumschleppen», sagte er. Im Schatten des Rampenlichts um Hoeneß-Wunschkandidat Eberl, der wie Matthias Sammer 2012 der neue starke Mann für den Sport wird, dürfte es auch für Tuchel erstmal Zeit zum Durchschnaufen geben.

Kanes Küsschen

Man werde alles für einen Erfolg in der Champions League tun, versicherte Tuchel, 2021 Königsklassengewinner mit dem FC Chelsea. «Erstmal müssen wir aber das Achtelfinale gewinnen, bevor wir von den ganz großen Sachen träumen.» Sollte nach dem 0:1 bei Lazio Rom im Rückspiel am 5. März nicht der Viertelfinal-Einzug gelingen, wird es ein zermürbendes Saisonende für alle Protagonisten.

«Wir werden niemals aufgeben», kündigte Kane nach seinen Saisontoren 26 und 27 bei der Sieg-Reaktion an. Kusshände warf der 100-Millionen-Mann Richtung Tribüne. Die galten den Liebsten, auch wenn im Publikum Englands Nationaltrainer Gareth Southgate saß.

Neuer: Auch die Mannschaft trägt eine Schuld

Kane trifft vorne, der beim 1:1 durch Benjamin Sesko machtlose Manuel Neuer rettet hinten - die beiden Pole im Münchner Spiel geben zumindest der Hoffnung Raum, dass in den elf Liga-Partien und den bis zu sechs Spielen in Europa doch noch etwas gehen könnte. «Klar hört sich das wieder ein bisschen nach Bayern-Dusel an, aber das ist einfach verdient», sagte Neuer über das Siegtor in der Nachspielzeit. Für das Aus von «Toptrainer» Tuchel sieht er auch die Spieler verantwortlich. «Ich glaube einfach, dass man nicht immer auf den Lehrer schauen muss, wenn es schlechte Noten auf dem Zeugnis gibt.»

Es waren Zwischentöne aus dem Starensemble zu vernehmen, die das Trainer-Votum unterschiedlich interpretieren ließen. Im Gegensatz zu Tuchel-Profiteur Neuer verwies Thomas Müller auf die Fakten. «Der Erfolgsdruck ist beim FC Bayern einfach am größten und das ist mit ein Grund, wieso wir trotz elf Meisterschaften in Folge diverse Trainer hier gesehen haben», sagte der 34-Jährige. Titel alleine reichten nicht, man brauche auch «extreme Dominanz und eine extrem positive Spielkultur». 

Alonso «jetzt kein Thema»

Die Bosse wollen endlich wieder den Trainer finden, der eine Epoche prägt. Im Sommer 2021 und im Frühjahr 2023 endeten die Amtszeiten von Hansi Flick und Julian Nagelsmann wie bald die von Tuchel jeweils vorzeitig. «Wir wollen wieder mehr Kontinuität auf dem Trainerstuhl», sagte Dreesen. Bei der Suche nach dem neuen Trainer fallen Namen wie der von Leverkusens Coach Xabi Alonso oder des früheren Weltstars Zinedine Zidane. «Das ist jetzt kein Thema», sagte Sportdirektor Christoph Freund.

Freund hofft nach dem 1000. Bundesliga-Heimspiel auf «sehr gute drei Monate» und einen Titel mit Tuchel, der selbst ohne Rücksicht auf Befindlichkeiten der Profis entscheiden will. Hainer befürchtet «überhaupt nicht», dass dadurch Porzellan zerschlagen werden könne. Nach sechs Cheftrainern und eines Interimscoachs seit dem Ende der Amtszeit von Pep Guardiola im Sommer 2016 trat der Präsident einem Eindruck entschieden entgegen. «Die Mannschaft ist nicht untrainierbar.»

Von Christian Kunz und Klaus Bergmann, dpa
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