Trost von Hannawald: Geknickter Wellinger ohne Gold-Adler
Kein Titel und enttäuscht: Für Andreas Wellinger geht der Traum vom Titel bei der Vierschanzentournee nicht in Erfüllung. Sein siegreicher Rivale will «ein bisschen» feiern.
Kein Titel und enttäuscht: Für Andreas Wellinger geht der Traum vom Titel bei der Vierschanzentournee nicht in Erfüllung. Sein siegreicher Rivale will «ein bisschen» feiern.
Ein sichtlich enttäuschter Andreas Wellinger fand nach dem verpassten Skisprung-Triumph Trost bei Sven Hannawald. Der Gesamtzweite und Deutschlands weiterhin letzter Vierschanzentournee-Sieger standen im Flockenwirbel von Bischofshofen lange beisammen und arbeiteten die Niederlage gegen Japans Überflieger Ryoyu Kobayashi auf. Hannawald gratulierte Wellinger aufrichtig und dankte ihm für «eine sensationelle Tournee». Doch die Miene des geknickten Olympiasiegers blieb gezeichnet.
«Ich bin tatsächlich ein bisschen hin- und hergerissen», sagte der 28 Jahre alte Bayer. Er sei zwar «grundsätzlich stolz» auf seine zehn Tage bei der Tournee. Doch die Bilder aus dem Auslauf der Paul-Außerleitner-Schanze taten Wellinger trotzdem weh. Nicht er erfuhr zu den Klängen von «Oh, wie ist das schön» die so ersehnte Karrierekrönung bei dem Event rund um den Jahreswechsel. Sondern schon zum dritten Mal den Titel bejubelte Kobayashi, der von Vorgänger Halvor Egner Granerud aus Norwegen den goldenen Adler überreicht bekam.
Bundestrainer ist stolz auf Wellinger
«Es hat einfach nicht sein sollen. Ich habe nicht viele Fehler gemacht, aber das reicht schon», sagte der bedrückte Wellinger. 22 Jahre nach Hannawalds Vierfachsieg im Januar 2002 geht das deutsche Warten auf einen Tournee-Gesamtsieg also mindestens ein Jahr weiter.
Bundestrainer Stefan Horngacher sah trotzdem das Positive. «Mit dem Andi bin ich sehr, sehr zufrieden. Er kann echt stolz sein auf das, was er geleistet hat. Er hat eine Wahnsinnsshow abgeliefert und eine Super-Performance. Ich bin stolz auf ihn», sagte der Chefcoach in der ARD.
Kobayashi entschied das Duell am Ende klar für sich. Dafür reichte ihm Tagesrang zwei hinter Österreichs Stefan Kraft, der damit Gesamtdritter hinter Kobayashi und Wellinger wurde. «In Summe: Man muss neidlos anerkennen, dass der Ryoyu ein verdammt guter Skispringer ist und es am besten gemacht hat», sagte Wellinger über Kobayashi.
«Zweiter Platz ist mehr wert»
Dieser sagte auf explizite Nachfrage immerhin, er werde «ein bisschen» feiern. Als erster Skispringer seit dem Finnen Janne Ahonen vor 25 Jahren schaffte es Kobayashi, ohne Tagessieg die Gesamtwertung zu gewinnen. Der Japaner wurde dafür bei allen vier Stationen Zweiter. Dritter in Bischofshofen wurde der Slowene Anze Lanisek.
Kobayashi und der Tagesfünfte Wellinger lieferten sich über zehn Tage auf höchstem Niveau ein packendes Duell, bei dem sich der Japaner von Station zu Station steigerte. Wellingers zweiter Gesamtrang dürfte sich nun anders anfühlen als 2018, als er knapp 70 Punkte hinter Gewinner Kamil Stoch aus Polen zurücklag. «Der zweite Platz ist mehr wert, weil die Qualität höher war als 2018. Diesmal habe ich es geschafft, von Oberstdorf weg zu performen», sagte Wellinger.
Wellingers Mutter flucht
Diesmal erschien der erste deutsche Titel seit 2002 tatsächlich bis zum Schlusstag greifbar. Zu Stoch und dem früheren DDR-Springer Helmut Recknagel schloss Kobayashi mit dem dritten Titel auf. Nur der fünfmalige Sieger Ahonen sowie Jens Weißflog (vier) haben mehr Titel als Spezialist Kobayashi, den der Stadionsprecher passend als «Mister Vierschanzentournee» bezeichnete.
Zur Paul-Außerleitner-Schanze, auf der der junge Wellinger schon als Schüler gesprungen war, brachte Deutschlands Hoffnungsträger zahlreiche Begleiterinnen und Begleiter mit. Vater, Schwester, Schwager, Freundin mit Familie waren mit an der Schanze - und auch die Mutter, die sichtlich mit ihrem Sohn litt. «Es geht ganz grauenvoll, wenn man so gar nicht helfen kann. Das ist echt am Arsch», sagte Claudia Wellinger, die im verschneiten Auslauf wartete.
Von dort waren der lange flache Anlauf und der Schanzentisch teilweise nur schwer einzusehen. «Wir hoffen, dass es dauerhaft gleich viel schneit oder regnet oder was auch immer das ist», hatte Topspringer Wellinger vor dem Wettbewerb zu den Bedingungen gesagt. Die Spur musste zwischen den Athleten mit Laubbläsern vom Schnee befreit werden.
Klopp drückt die Daumen
Noch bevor die Arena dreieinhalb Stunden vor dem Wettkampf öffnete, bildete sich am Eingang eine rund 200 Meter lange Schlange. Zahlreiche Fans wollten sich möglichst früh die besten Plätze sichern. Andere zogen die Einstimmung mit Bier und ohrenbetäubender Partymusik aus riesigen Boxen im Ortszentrum vor. Vom nasskalten Winterwetter mit leichtem Schneefall ließ sich keiner die Stimmung verderben.
Bei den 14.300 Zuschauern waren mehr deutsche als österreichische Fahnen zu sehen. Das lag vorrangig an Wellinger, schließlich hatten sich Karl Geiger und Pius Paschke als weitere Hoffnungsträger längst aus dem Rennen um den Titel verabschiedet. Selbst Star-Trainer Jürgen Klopp schickte aus Liverpool Grüße an den deutschen Hoffnungsträger auf der Schanze: «Wir drücken Dir die Daumen und glauben ganz, ganz fest an die große Chance.»
Wellinger legte im ersten Durchgang solide vor, wogte im Auslauf aber eher unzufrieden den Kopf hin und her. Rund 20 Minuten und viele Schneeflocken später konterte Kobayashi beeindruckend und mit der Bestweite des ersten Durchgangs. Seinen dritten Titel perfekt zu machen, war für den Japaner im zweiten Durchgang angesichts von 19 Punkten Vorsprung nur noch Formsache. «Ich habe genau das umgesetzt, was ich mir vorgenommen habe. Ich wollte eine gute Performance zeigen», sagte Kobayashi.
Patrick Reichardt und Thomas Eßer, dpa
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