Rekordtor und EM-Reife: Nagelsmann-Plan entzaubert Franzosen
So hat sich Julian Nagelsmann den Start ins EM-Jahr vorgestellt. Gegen Favorit Frankreich gelingt nicht nur das schnellste DFB-Tor. Der Bundestrainer ist der Gewinner des Abends.
So hat sich Julian Nagelsmann den Start ins EM-Jahr vorgestellt. Gegen Favorit Frankreich gelingt nicht nur das schnellste DFB-Tor. Der Bundestrainer ist der Gewinner des Abends.
Julian Nagelsmann klatschte nach seinem ersten großen Sieg als Bundestrainer energisch Beifall. Seine Nationalspieler feierten den EM-Mutmacher von Lyon breit lächelnd. Mit einem Rekordtor von Florian Wirtz und der besten Leistung seit Jahren verblüffte die Fußball-Nationalmannschaft nicht nur großen Titelfavoriten Frankreich.
Das 2:0 (1:0) war der erste deutsche Sieg im Nachbarland seit mehr als elf Jahren. Die radikalen Änderungen von Nagelsmann haben sofort funktioniert - der Bundestrainer geht als großer Gewinner in den heißen EM-Countdown.
«Wir können zufrieden sein. Ich denke, dass wir einen guten Schritt nach vorne gemacht haben. Einen wichtigen Schritt», sagte DFB-Rückkehrer Toni Kroos im ZDF. «Das war uns allen klar, weil es die letzten Chancen sind Richtung EM, sich ein bisschen das Gefühl zu holen. Das nehmen wir mit.»
Rekordtor von Wirtz
Nach sieben Sekunden erzielte Wirtz bedient vom überragenden Kroos das schnellste Tor der deutschen Länderspielgeschichte. Kai Havertz (49.) traf früh in der zweiten Halbzeit nach einer wundervollen Kombination der Jungstars Wirtz und Jamal Musiala. Mit hoher Konzentration und großem Teamgeist wurde die Fußball-Maschine der Équipe Tricolore um Superstar Kylian Mbappé gestoppt.
Der nächste Härtetest steht schon am Dienstag in Frankfurt an. Dann kommt Erzrivale Niederlande, der den deutschen EM-Auftaktgegner Schottland gerade mit 4:0 bezwungen hat. Nagelsmann wird seine neue Linie dann konsequent fortsetzen.
Der Bundestrainer machte sich in einem kleinen Block am Spielfeldrand immer wieder Notizen zu seiner stark veränderten Auswahl. Wirtz' Geniestreich bejubelte der Bundestrainer mit energischem Blick - besser hätte seine «Wir kicken»-Vorgabe zu Beginn kaum umgesetzt werden können. Vom Anstoß kam der Ball zum Leverkusener, der aus 20 Metern ein traumhaftes erstes Tor im EM-Jahr erzielte - und das einen Wimpernschlag schneller als der bisherige Rekordhalter Lukas Podolski vor elf Jahren gegen Ecuador.
Kroos gibt Takt vor
Vor 1000 mitgereisten deutschen Fans verhalf das frühe Tor der DFB-Auswahl zu zuletzt kaum noch für möglich gehaltener Stabilität und Sicherheit. Mit Rückkehrer Kroos als Taktgeber im Mittelfeld stimmten in der ersten Halbzeit Einsatz und insbesondere die Konzentration. Debütant Maximilian Mittelstädt begann als linker Verteidiger so, als hätte er schon etliche Länderspiele hinter sich.
EM-Favorit Frankreich musste erst einmal ins Spiel zurückfinden - allein das dürfte Nagelsmann gefallen haben. «Nicht wie das Kaninchen vor der Schlange» und mit «Risikobereitschaft» solle sein Team auftreten, hatte der 36-Jährige kurz vor dem Anpfiff im ZDF gesagt. Bei den schwer enttäuschenden November-Pleiten in Berlin gegen die Türkei (2:3) und in Wien gegen Österreich (0:2) war das Selbstverständnis des Bundestrainers längst noch nicht im Team angekommen.
Die erste gute Chance des Vize-Weltmeisters durch Starspieler Kylian Mbappé entschärfte Marc-André ter Stegen, der den wieder verletzten EM-Torwart Manuel Neuer vertrat, mit einer starken Handparade (25.). Die folgenden Annäherungsversuche blockte die DFB-Auswahl mit vereinten Kräften. Auch die von Nagelsmann zu «drei Zauberern» erhobene Offensivreihe mit Kapitän Ilkay Gündogan, Wirtz und Musiala arbeitete im wahrsten Wortsinn defensiv mit. Musialas erste auffällige Szene war eine Rettungstat in der eigenen Hälfte.
Aber der Münchner kann bekanntlich auch anders. Das zweite deutsche Tor durch Havertz bereitete der 21-Jährige perfekt vor, indem er Frankreichs Torwart Brice Samba austanzte. Den starken langen Pass zuvor auf Musiala hatte Wirtz gespielt. Wieder war Frankreich überrascht, und Nagelsmann, über dessen nach der EM auslaufenden Vertrag nach dem Länderspiel gegen die Niederlande gesprochen werden soll, klatschte Beifall.
Pfiffe von Frankreich-Fans
Nach knapp einer Stunde waren laute Pfiffe im Stadion zu hören, bei den Franzosen blieb es bis hierhin bei Einzelaktionen wie beim Schlenzer des früheren Dortmunders Ousmane Dembélé (54.). Die erste Gelbe Karte des Spiels sah in dieser Phase Nagelsmann, der sich zu lautstark über eine Schiedsrichter-Entscheidung beschwerte (60.). Sein Trainerkollege Didier Deschamps schien grundsätzlich nicht zufrieden und wechselte nach einer Stunde vier Profis aus.
Nagelsmann gab seiner Elf dagegen weitere Minuten zum Einspielen. Immer wieder versuchten es Musiala, Wirtz, Gündogan und Havertz mit Kombinationen. Dahinter sicherten Kroos und vor allem auch der kampfstarke Leverkusener Robert Andrich ab. In der 72. Minute kamen Chris Führung zu dessen zweitem Länderspiel und Routinier Thomas Müller in die Partie. Mittelstädt verpasste knapp sein Debüt-Tor mit einem Flachschuss (79.), ehe wenig später Deniz Undav als zweiter Debütant des Abends eingewechselt wurde (80.).
Der Stuttgarter, Müller und der ebenfalls eingewechselte Niclas Füllkrug hatten in der Schlussphase weitere Chancen zum dritten Tor. Hinten rettete Antonio Rüdiger kurz vor Schluss auf der Linie (88.), und auch Waldemar Anton feierte auch noch sein DFB-Debüt (90.).
Arne Richter, Klaus Bergmann und Jan Mies, dpa
© dpa-infocom, dpa:240323-99-444730/5
Copyright 2024, dpa (www.dpa.de). Alle Rechte vorbehalten