Sichtlich gezeichnet vom erneuten Final-Trauma wagte Alexander Zverev einen kurzen Blick auf die Silber-Trophäe, die nur einen halben Meter neben ihm stand und doch so unerreichbar war. «Es ist scheiße, neben diesem Ding zu stehen und es nicht berühren zu dürfen», sagte der deutsche Tennisstar mit einem gequälten Lächeln nach dem verlorenen Titel-Showdown bei den Australian Open gegen den übermächtigen Titelverteidiger Jannik Sinner aus Italien.
Wie schon bei den US Open 2020 und den French Open im Vorjahr bekam Zverev nach einem Grand-Slam-Finale nur den Trostpreis überreicht. Ein drittes Mal war der Hamburger beim letzten Schritt zum ersehnten ersten Titel bei einem der vier Major-Turniere gescheitert. Doch anders als bei seinen Fünf-Satz-Krimis gegen Dominic Thiem und Carlos Alcaraz hatte er diesmal beim 3:6, 6:7 (4:7), 3:6 am süßen Triumph nicht mal schnuppern dürfen.
Sinner in einem «anderen Universum»
«Ich hatte gehofft, mehr Gegenwehr aufzubringen. Aber du warst zu gut - so einfach ist das», sagte die Nummer zwei der Tennis-Welt an den Weltranglistenersten Sinner gerichtet. Wenig später ergänzte Zverev: Sinner befinde sich «derzeit in einem anderen Universum als alle anderen».
Sinner, der seine drei bisherigen Grand-Slam-Finals alle gewinnen konnte, zeigte sich als Sportsmann und tröstete Zverev mit Worten und Taten. «Es ist wieder ein harter Tag für dich. Du bist ein unglaublicher Spieler, glaube weiter an dich», sagte der 23-Jährige. Alle auf der Tour wüssten, «wie stark du bist, nicht nur als Spieler, sondern auch als Person». Er sei sich sicher, dass Zverev «sehr bald» eine der vier Grand-Slam-Trophäen hochheben dürfe.
Noch vor der Siegerehrung hatte Sinner beide Hände auf Zverevs Schultern gelegt, auf ihn eingeredet und ihn dann umarmt. Auch Boris Becker sprach Zverev bei Eurosport ein «Riesenkompliment» aus. «Fantastisches Turnier gespielt, fantastische Einstellung - aber er hat heute gegen einen Besseren verloren.»
Tennis-Deutschland muss weiter warten
Becker bleibt mit seinem Triumph in Melbourne 1996 der bislang letzte deutsche Grand-Slam-Turniersieger bei den Männern. Zverev muss einen neuen Anlauf nehmen. Bei seiner Rede lobte er sein Team - und kritisierte sich selbst: «Ich bin einfach nicht gut genug - so einfach ist das.» Als Reaktion darauf gab es vom Publikum Applaus - Becker reagierte am Mikrofon fast fassungslos: «Sag' doch sowas nicht, Sascha, du bist der zweitbeste Spieler der Welt, mein Gott.»
Doch alle Aufbau-Versuche trösteten Zverev nur wenig. Die Siegerehrung verfolgte er größtenteils mit verschränkten Armen und leerem Blick, seine Silber-Schale für den zweiten Platz zeigte er ohne wirkliche Freude her. «Ich möchte meine Karriere auf keinen Fall als bester Spieler aller Zeiten beenden, der nie einen Grand Slam gewonnen hat», sagte er: «Ich werde weiterhin alles tun, um eine dieser Trophäen zu gewinnen.»
Becker: «Perfektes Match» von Sinner
Sinner, der seinen 21. Sieg in Serie holte, schrieb dagegen Tennis-Geschichte für sein Heimatland. Er ist jetzt mit drei Grand-Slam-Titeln der erfolgreichste Spieler Italiens - und das im Alter von gerade mal 23 Jahren.