Zu jung für die Beatles ist Jude Bellingham nach eigenen Angaben nicht. «Mein Musikstil ist ein bisschen alt, also ist das genau mein Ding», sagte Bellingham und lachte. Mit «Hey Jude»-Gesängen feierten die englischen Fans den Matchwinner beim so wichtigen 1:0 zum EM-Auftakt gegen Serbien.
Als das von Paul McCartney komponierte Lied 1968 veröffentlicht wurde, war der Superstar von Real Madrid noch lange nicht geboren und England amtierender Weltmeister. Seit dem Triumph im eigenen Land 1966 warten die Three Lions auf einen internationalen Titel. Diesmal soll mit Bellingham als Schlüsselspieler endlich wieder ein Pokal her. Macht der 20-Jährige so weiter, wird der ihm zu Ehren gesungene Kultsong auch beim Turnier in Deutschland zum Mega-Hit.
Anführer trotz jungen Alters
«Ich habe das Gefühl, dass ich in jedem Spiel etwas bewirken kann, dass ich Spiele entscheiden kann», sagte Bellingham am späten Sonntagabend in Gelsenkirchen. «Ich genieße es, Fußball zu spielen, und wenn ich auf den Platz gehe, spiele ich furchtlos, weil ich es so sehr liebe. Es ist eine Befreiung für mich.» Völlig befreit verließ er kurz nach Mitternacht auch die Arena. Ein Pulk von Journalisten schritt Seite an Seite mit ihm mit, doch in der Interviewzone blieb der Matchwinner nicht noch einmal stehen.
Trotz seines jungen Alters ist der frühere Dortmunder neben Bundesliga-Torschützenkönig Harry Kane vom FC Bayern die große Führungsfigur beim Team von Nationaltrainer Gareth Southgate. Bellingham lenkt das Spiel auf dem Platz, kurbelt Angriffe an, ist selbst Torschütze. Gegen Serbien glänzte der Champions-League-Sieger zudem mit engagiertem und umsichtigem Defensivverhalten.
Bei Real Madrid noch einmal dazugelernt
«Du kannst jung sein und ein Leader. Du kannst in jedem Alter einer der Anführer sein», sagte Englands Linksverteidiger Kieran Trippier. «Hoffentlich macht er so weiter. Er ist so ein großes Talent. Wir hoffen alle, dass er den Erfolg aus dem Club auch für England fortsetzen kann.»
In Madrid hat sich Bellingham nach seiner BVB-Zeit noch einmal weiterentwickelt. Bellingham ist noch torgefährlicher geworden, stößt wie beim Siegtor gegen Serbien immer wieder in den richtigen Momenten in den Strafraum vor. Er geht mit vollem Einsatz voran, reißt seine Teamkollegen mit seiner Dynamik mit. «Bei ihm heißt es volle Kraft voraus. Er ist wirklich ein Unterschiedsspieler, das hat er heute wieder bewiesen», sagte Stürmer Jarrod Bowen.
Mitspieler und Kollegen: Bellingham wirkt ungewöhnlich reif
Vom Trubel um seine Person lässt sich Bellingham zudem nicht verrückt machen. Er ist Unterwäschemodel für Reality-TV-Star Kim Kardashian, macht Werbung für Adidas, ist ständig als Gesprächspartner gefragt. Wenn er auf dem Platz steht, zählt aber nur noch der Fußball - ohne Ablenkung. Frühere und aktuelle Weggefährten betonen immer wieder, dass Bellingham in seinem Verhalten viel älter wirke als er eigentlich ist. Seine Reife und Abgeklärtheit sei nicht die eines typischen 20-Jährigen.
Bellingham weiß genau, was er wann sagen muss. Bei seiner kurzen Pressekonferenz als Spieler des Spiels gegen Serbien lobte er seine Teamkollegen, hob die Arbeit der Mannschaftsbetreuer hervor. Kritische Worte hört man von ihm nicht, auch wenn die Three Lions vor allem in der zweiten Hälfte noch nicht europameisterlich spielten und um den Sieg zittern mussten. «Wir haben kein Gegentor bekommen. Und wenn du kein Gegentor kriegst, reicht ein Tor, um zu gewinnen», sagte Bellingham pragmatisch.
Mit einem Sieg gegen Dänemark würde sich England schon im nächsten Spiel gegen Dänemark am Donnerstag in Frankfurt am Main (18 Uhr/ZDF und MagentaTV) den Achtelfinaleinzug sichern. Bellingham will die englischen Fans dann wieder glücklich machen und zum Singen des alten Beatles-Klassikers animieren. «Sie geben wir viel Liebe und ich versuche, es mit Leistung und Energie zurückzugeben», sagte er.
Von Thomas Eßer, Morten Ritter und Patrick Reichardt, dpa
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