Gold-Jagd im Schatten des Skandals
Bei den Spielen in Paris kann Isabell Werth einen ganz speziellen Rekord aufstellen. Allerdings beschäftigt die erfolgreichste Reiterin der Welt noch ein ganz anderes Thema.
Bei den Spielen in Paris kann Isabell Werth einen ganz speziellen Rekord aufstellen. Allerdings beschäftigt die erfolgreichste Reiterin der Welt noch ein ganz anderes Thema.
Bei der Frage nach dem Peitschen-Skandal wird Isabell Werth emotional. Die erfolgreichste Reiterin der Welt bekommt feuchte Augen, als sie in Versailles auf das Video mit Charlotte Dujardin angesprochen wird, in dem zu sehen ist, wie die britische Dressurreiterin mehrfach auf ein Pferd mit einer Peitsche einschlägt. «Ich kann nicht nachvollziehen, was da passiert ist», sagt Werth: «Wir sind alle fassungslos.»
Das Thema Tier-Misshandlung liegt wie ein Schatten über der olympischen Dressur, die am Dienstag im Schlosspark von Versailles begonnen hat. «Es ist eine sehr zerstörerische Situation für einen Menschen und auch für den Sport», sagt Werth, kurz um Fassung ringend. «Das wiegt bei mir auch schon im Herzen.»
Nur eine Kanutin ist erfolgreicher
Die 55-Jährige aus Rheinberg weicht dem schwierigen Thema nicht aus und bezieht Stellung. Aber: «Über den Sport zu reden, ist eindeutig einfacher.» Und da gibt es auch ein Thema: Mit einem weiteren Olympiasieg würde Werth deutsche Rekord-Olympiasiegerin. Sieben goldene und fünf silberne Medaillen hat die Reiterin bisher gewonnen und kann in Versailles - an Triumphen gemessen - mit Birgit Fischer gleichziehen. Die Kanutin hatte in ihrer Karriere unter anderem acht Goldmedaillen gewonnen. In der Gesamtbilanz hat Werth eine Silbermedaille mehr als Fischer.
Das wisse sie natürlich, sagt Werth. Der Statistik will sie allerdings nicht allzu viel Bedeutung beimessen. «Ich will mich hier auf das Reiten konzentrieren», betont Werth. «Ich freue mich darauf, alles andere wird man dann sehen.» Chancen hat sie in der Mannschaftswertung am Samstag und im Einzel am Sonntag.
Tierschutz-relevanter Fall
Das Kuriose ist, dass Werth die Chance auf weitere Olympia-Medaillen einem anderen tierschutz-relevanten Fall verdankt. Im November hatte der dänische Sender TV2 Aufnahmen aus dem Handelsstall des dänischen Reiters Andreas Helgstrand ausgestrahlt. Gezeigt wurden unter anderem Pferde mit offenen Wunden vom Sporeneinsatz und Striemen von Gerten sowie aggressives Reiten. Helgstrand, der auf den Bildern nicht zu sehen war, zeigte sich in einer offiziellen Stellungnahme «geschockt». Und wurde trotzdem für Olympia gesperrt.
Nur deshalb konnte Werths Mäzenin Madeleine Winter-Schulze Anteile an Helgstrands Wendy erwerben. Und mit der Stute schaffte die Reiterin nach eine Zitterpartie auf den letzten Drücker die Olympia-Qualifikation.
Wendy war bei der ersten Olympia-Sichtung verletzt, wurde für die zweite aber rechtzeitig wieder fit. Beim CHIO in Aachen gewann Werth mit der Stute den Grand Prix, den Special und die Kür - und erhielt das Olympia-Ticket.
Werths Aufholjad: «Mega für unser Team»
«Das war Wahnsinn», sagt Jessica von Bredow-Werndl. «Das ist natürlich mega für unser Team. Das stimmt uns sehr zuversichtlich nach ihrer Aachen-Serie.» Die Reiterin aus Tuntenhausen, die in Tokio Doppel-Gold gewonnen hatte, gehört mit Dalera sowie Frederic Wandres (Hagen a.T.W.) mit Bluetooth zum deutschen Paris-Trio.
Werth, die ihre Pferde sonst selber über mehrere Jahre aufbaut, sitzt erst seit Januar auf Wendy, einem bereits «sehr gut ausgebildeten Pferd». Diese Änderung des Konzeptes habe sich «zufälligerweise ergeben», sagt die Reiterin. «Ich bin ja nicht durch die Gegend gefahren und habe gesagt, ich brauche ein fertiges Pferd.» Aber als sich die Chance bot, nutzte Werth sie.
Kurios ist auch, dass ihr möglicher Olympia-Rekord durch den Peitschen-Skandal viel wahrscheinlicher geworden ist. Die britische Mannschaft galt bis zu der Sperre für Dujardin als Gold-Favorit und ist durch das Fehlen deutlich geschwächt. Auch dazu hat Werth eine klare Meinung: «Ich würde viel darum geben, wenn der Fall nicht geschehen wäre - dann wäre ich im Zweifelsfall lieber Zweiter.»
Von Michael Rossmann, dpa
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