Lamine Yamal tanzte mit rot-gelbem Cowboyhut auf dem Tisch und filmte, während in der Umkleidekabine der neuen Europameister übergroße Gläser mit Bier gefüllt wurden. Die Titelparty der spanischen Fußballer nach dem 2:1 (0:0) im EM-Finale gegen England begann unmittelbar nach dem Schlusspfiff - und sollte bis tief in die Nacht zu Dienstag dauern.
Nach der Rückkehr nach Madrid empfingen König Felipe VI. und Regierungschef Pedro Sánchez das Nationalteam. Beim Empfang im Zarzuela-Palast trugen die Töchter des Königs, Kronprinzessin Leonor (18) und Infantin Sofía (17), Trikots der Nationalelf mit der Rückennummer 10 von Leipzigs Dani Olmo.
Nach den offiziellen Terminen fuhr die Mannschaft einem offenen Bus zum Cibeles-Brunnen. Dort feiert Spanien traditionell seine Fußball-Triumphe. Zehntausende jubelnde Menschen, von denen viele seit dem Mittag bei mehr als 30 Grad im Schatten für einen guten Platz ganz vorn ausgeharrt hatten, säumten die Straßen.
«Ein Traum ist wahr geworden», sagte Yamal, der mit seinem Kabinenvideo, das Millionen Menschen erreichte, auch das ein oder andere entblößte Hinterteil seiner Teamkollegen erwischte. Erst am Samstag hatte das spanische Supertalent seinen 17. Geburtstag gefeiert. Am Sonntag bereitete der Profi des FC Barcelona, der künftig mit Hansi Flick trainieren wird, das Führungstor vor - und war am Montag eines der Gesichter eines furios aufspielenden Teams, dem im Siegesrausch eine große Zukunft prophezeit wurde.
«Hoffentlich geht es so weiter mit unserer Nationalmannschaft – auch bei der Weltmeisterschaft», sagte der 22-jährige Nico Williams, nachdem er sich die Trophäe für den besten Spieler des Finales abgeholt hatte. «Nie gab es einen Europameister mit mehr Toren, nie einen Sieger mit sieben Siegen in Folge», stand in der Zeitung «Sport». In der «Mundo Deportivo» wurde gleich von einer «neuen Ära» im Fußball geträumt.
«Ich bin stolz, ich bin glücklich», sagte Nationaltrainer Luis de la Fuente spät in der Finalnacht. «Niemand hat uns etwas geschenkt.» Immer wieder betonte der 63-Jährige, welches «Privileg» es sei, mit diesen Spielern zusammenzuarbeiten. Mit einer Generation, «die eine tolle Zukunft vor sich hat und die Geschichte schreiben kann».
Würdige Nachfolger der großen Sieger
Bei den vergangenen Turnieren hatten die Spanier immer wieder Mühe damit gehabt, in die übergroßen Fußstapfen der Europameister und Weltmeister von 2008, 2010 und 2012 zu treten. Spieler wie Xavi, Andrés Iniesta und Fernando Torres hatten eine Ära geprägt. «Man spricht in Spanien immer von der vorigen Generation», sagte der beim Deutschland-Turnier überragende Rodri, der mit 28 Jahren auch längst noch nicht am Ende seiner Karriere angekommen ist. «Aber jetzt haben wir Geschichte geschrieben.»
Rodri, Yamal, Williams, Marc Cucurella (25), Fabián Ruiz (28), Dani Olmo (26), der im Finale verletzt fehlende Barça-Star Pedri (21) - das Gerüst der spanischen Europameister könnte noch Jahre zusammenspielen. Dazu kommen Talente wie der 17 Jahre alte Pau Cubarsí, der statt für die EM für die U23 bei den Olympischen Spielen nominiert wurde; oder der 19-jährige Gavi, der das Turnier wegen einer Knieverletzung verpasste. «Das ist eine einzigartige Mannschaft, wir ziehen alle an einem Strang», sagte Williams.
Statt wie in vergangenen Generationen von den Blöcken der Großclubs aus Madrid und Barcelona dominiert, wirkt diese Furia Roja diverser. Die Ausbildung neuer Talente funktioniert längst nicht mehr nur in den bekannten Akademien. In Grundzügen ist die Stimmung in Spanien vergleichbar mit der in Deutschland, wo Julian Nagelsmanns Nationalmannschaft kurzzeitig zum Stimmungsmacher in schwierigsten gesellschaftspolitischen Zeiten erhoben wurde.
«Diese Mannschaft hat es verdient, das Volk auf die Straße zu bringen», stand noch am Sonntag auf der Internetseite der immer euphorischen Madrider Sportzeitung «Marca». In der «AS» wurde gelobt, die Auswahl habe es geschafft, «die Welt mit ihrem Fußball und ihren Talenten zu verzaubern».
De la Fuente bemühte sich um Einordnung weit über den Fußball hinaus und klang dabei wie der stolzeste Vater. «Es ist Fußball, aber hier geht es auch um Werte, Sport verkörpert Werte», sagte der 63-Jährige. «Diese Generation setzt ein Beispiel, es sind junge Spieler, die den Willen haben, die Mentalität, hart zu arbeiten.» Es sei nicht allein das Endergebnis, das zähle, «sondern der gesamte Prozess. Diese Spieler sind ein Beispiel für die Gesellschaft, weil sie diese Werte prägen.»
«Nicht nur verwöhnte Jungs»
Er wisse nicht, inwieweit der Fußball die Gesellschaft beeinflussen könne, sagte der Nationaltrainer. Die Menschen sähen aber «nicht einfach nur verwöhnte Jungs, sondern die, die alles geben», sagte de la Fuente. «Es wäre schön, wenn die Leute das verstehen würden, und wir den jungen Leuten zeigen könnten, was sie erreichen können im Leben.»
Der spanische Verband und die spanische Liga hatten abseits des Rasens in den vergangenen Jahren immer wieder mit großen Problemen zu kämpfen. Der frühere Verbandschef Luis Rubiales, der Weltmeisterin Jennifer Hermoso bei der Siegerehrung vor einem Jahr ungefragt und von ihr ungewollt auf den Mund geküsst hatte, ist das Gegenteil eines Vorbilds. In den Nachwehen des Skandals war auch de la Fuente unter Druck geraten, weil er sich nicht zeitnah distanzierte. Dazu kommen immer wieder rassistische Anfeindungen in den Stadien - im Frühjahr gegen Williams.
«Ich denke, dass Fußballer einen Einfluss auf die Gesellschaft haben», sagte der Profi von Athletic Bilbao, der bemerkenswert lautstark Probleme anspricht. «Ich denke, es ist ein historischer Wechsel, der da gerade passiert.» Williams' Vater und seine mit Bruder Iñaki schwangere Mutter Maria waren einst von Ghana nach Europa geflüchtet, die Familie lebte lange in ärmlichen Verhältnissen.
Am Sonntagabend wurde Williams auch vom spanischen König Felipe VI. gratuliert, der mit seiner Tochter zum Finale angereist war. Schon während des Turniers habe der König mehrfach geschrieben und angerufen, berichtete de la Fuente, der sich in der Titelnacht vor der Kabine mit Felipe VI. unterhalten hatte. Details nannte der Nationaltrainer nicht.
Jan Mies, Jörg Soldwisch, David Langenbein und Ulrike John, dpa
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