Der wundersame WM-Silbercoup der deutschen Handballerinnen endete in Dortmund mit einer innigen Umarmung des gesamten Teams. Letzte Fotos, eine letzte Laudatio beim Empfang in der Stadt des Deutschen Handballbundes und noch einmal der Jubel der Fans, dann trennten sich die Wege der abgekämpften und müde gefeierten Spielerinnen. «Wir haben doch alle Kopfschmerzen», kommentierte Routinierin Xenia Smits mit gequältem Lächeln, als die Vize-Weltmeisterinnen vom Dortmunder Oberbürgermeister Alexander Kalouti (CDU) empfangen wurden.
Noch vor dem Eintrag ins Goldene Buch der Stadt am Montagnachmittag wurden die verspätet aus Rotterdam angereisten Spielerinnen teilweise wieder getrennt. Einige mussten sogleich weiter zum Flughafen. Das Team, das nach der unnötigen Final-Niederlage am Sonntag gegen Olympiasieger Norwegen die Silbermedaille gefeiert hatte, fiel sich noch einmal in die Arme. «Das war eine Weltmeisterschaft, wie man sie sich wünscht», sagte DHB-Präsident Andreas Michelmann zum Abschied.
In der Rotterdamer Innenstadt war die WM-Party am Sonntagabend mit altbekannten Schlagern gestartet. Mit Deutschlandfahnen und WM-Brillen, die die Spielerinnen teilweise noch in Dortmund trugen, tanzten sie nach ihrem Silber-Coup in den Partyraum. Beim Sekt-Empfang war die Final-Niederlage längst vergessen. «Open Bar mit Open End», hatte Teammanagerin Anja Althaus noch während des Spiels als Motto der Nacht ausgerufen und so den Startschuss für die Feier bis in die Morgenstunden gegeben.
Der größte Erfolg im deutschen Frauenhandball seit dem Titel 1993 macht die DHB-Frauen hungrig auf mehr. «Wenn man das einmal erlebt hat, dann will man es nicht mehr nicht erleben. Deutschland kann Handball», stellte Rückraumspielerin Emily Vogel stolz fest und mutmaßte: «Ich glaube, das könnte eine geile Zukunft für uns werden.»
Der Status vom ewigen Viertelfinalverlierer ist passé. «Jetzt kommt vielleicht die Generation geiler Handball», kündigte Bundestrainer Markus Gaugisch verheißungsvoll an.
Macht Bundestrainer Markus Gaugisch weiter?
Wie viel Einfluss nimmt der 51-Jährige noch auf diese Generation? Sein Arbeitspapier läuft im Sommer aus, Vertragsgespräche hatte man auf die Zeit nach dem Turnier vertagt. «Ich habe Bock auf Handball. Das ist das Wichtigste. Ich habe Lust, zu arbeiten mit einer Mannschaft. Wir werden uns zusammensetzen und schauen», erklärte Gaugisch, ohne eine Tendenz zu verraten. Dass sich der Göppinger, der seit 2022 das Amt innehat, auch eine Trainerrolle im Männerhandball vorstellen könnte, ist kein Geheimnis.
DHB-Präsident Michelmann würde gern in dieser Konstellation weiterarbeiten. Nach Olympia und der vergangenen EM habe der Trainer seine Schlüsse gezogen und mutige Entscheidungen getroffen, lobte Michelmann. «Von daher hat er einen riesengroßen Anteil an dem Erfolg, das ist ganz klar.» Er sehe keinen Grund, die Zusammenarbeit nicht fortzuführen.
Smits: «Diese Mannschaft ist Gold wert»
Ob mit oder ohne Gaugisch: «Wir wollen an diesen Erfolg anknüpfen und die Geschichte weiterschreiben», kündigte Sportvorstand Ingo Meckes an. Im ausgerufenen «Jahrzehnt des Handballs» will der DHB die Sichtbarkeit des Frauenhandballs massiv steigern. Leuchtturmprojekte wie diese Heim-WM sollen als Katalysator dienen. «Das sportliche Ergebnis ist ein Boost für die ganze Bewegung», sagte Meckes.
In nahezu identischer Besetzung könnte das DHB-Team eine neue Ära im Frauenhandball prägen. Routiniers wie Xenia Smits (31) oder Emily Vogel (27) können noch viele Jahre spielen. Gleichzeitig schlummert in den WM-Debütantinnen um Aimée von Pereira riesiges Potenzial. «Diese Mannschaft ist Gold wert», befand Smits.
Nach TV-Debatte: Wer überträgt in den nächsten Jahren?
Je erfolgreicher der Handball, desto größer das Interesse der Medien. Die K.o.-Spiele im Free-TV hatten jeweils mehrere Millionen Zuschauer vor die Bildschirme gelockt. «Jetzt sehen wir, was wir bewegen können, wenn wir ein paar Bälle rumschmeißen», sagte Rückraumspielerin Viola Leuchter stolz. Zum Turnierstart hatte es Präsident Andreas Michelmann «eine Schande» genannt, dass ARD und ZDF erst spät einsteigen.
ARD und ZDF hatten ihren Spätstart damit erklärt, dass die medialen Live-Verwertungsrechte an der Handball-WM der Frauen bereits 2019 vergeben worden und die Ausrichterländer damals noch nicht bekannt gewesen seien. Das WM-Finale in der ARD sahen durchschnittlich 5,786 Millionen Menschen. In Zukunft dürfte es weniger Diskussion geben.
ARD und ZDF haben bis 2030 die Rechte für die Spiele der deutschen Männer- und Frauen-Nationalmannschaften bei den Europameisterschaften. Die deutschen WM-Spiele in den Jahren 2027, 2029 und 2031 sind bei ProSieben und Sat.1 sowie Joyn zu sehen sein. Die Pay-TV-Rechte für alle Spiele liegen bei Dyn. Spielen die DHB-Frauen künftig immer vor einem Millionenpublikum?
Bundesstützpunkte sollen 2027 eröffnet werden
Der Silber-Coup und die Begeisterung der Fans vor Ort lassen die DHB-Frauen jedenfalls träumen. Von volleren Hallen in der Bundesliga. Von Mädchen, die ihnen nacheifern und Kindern, die mit dem Handball beginnen. Michelmann warnte, dass dieser Erfolg keine Momentaufnahme sein dürfe. «Es geht darum, die nötigen Strukturen zu schaffen, um dauerhaft den Anspruch anmelden zu können, im Halbfinale zu stehen», sagte der DHB-Präsident.
Auf diesem Weg sollen die Bundesstützpunkte helfen. Jeweils einer soll 2027 in Leipzig und Stuttgart eröffnet werden, zwei weitere im Norden und Westen sollen folgen. «Hinter dem Modell steckt die Philosophie, die Spielerinnen individuell zu stärken, um später mit einer Weltklassemannschaft aufzutreten. Natürlich müssen wir auch dafür sorgen, dass die Frauen in ihrer aktiven Zeit vom Handball leben können», erklärte Michelmann. Die DHB-Profis erhalten seit 2025 die gleichen Tagegelder wie die Männer. Für WM-Silber gab es eine Rekordprämie von 300.000 Euro.
Von Jordan Raza von Carsten Lappe, dpa
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