Elf Stiche im Krankenhaus kaschierten eine der wohl jetzt schon folgenreichsten Verletzungen in der Geschichte des Boxsports. Nicht nur für Tyson Furys Wohlbefinden hatte der Cut über dem rechten Auge im Training Auswirkungen, sondern auch für den größten Schwergewichtskampf der vergangenen Jahrzehnte. Das heiß erwartete Duell zwischen dem Briten und dem Ukrainer Oleksandr Usyk musste durch die Verletzung erneut vertagt werden.
«Ich bin absolut am Boden zerstört, nachdem ich mich so lange auf diesen Kampf vorbereitet habe», wurde Fury von der Nachrichtenagentur AP zitiert. Er fühle sich «schlecht» für alle, die an diesem großen Ereignis beteiligt seien. «Ich werde fleißig auf einen neuen Termin hinarbeiten», sagte der 35-Jährige weiter. Statt am Samstag soll der Kampf nun am 18. Mai (DAZN) in der saudi-arabischen Hauptstadt Riad über die Bühne gehen.
Platzt der Kampf noch?
Ursprünglich sollten beide schon am 23. Dezember kämpfen. Allerdings hatte Fury im Schaukampf gegen Francis Ngannou im Oktober ebenfalls einen Cut erlitten und brauchte eine Pause. Zuvor führten Unstimmigkeiten hinsichtlich der monetären Aufteilung schon fast zum Abbruch der Verhandlungen. Usyk verpasste wegen der Vorbereitung auf den Termin im Februar sogar die Geburt seines vierten Kindes. Viele Fans fragen sich, ob der Kampf nicht doch noch komplett platzt.
«Alle Theorien, die es dazu gibt, gehören in die Gerüchteküche. Sollte Tyson Fury nicht fit gewesen sein für dieses erste Datum, dann wird er es sicher für das zweite sein. Aber eine Cut-Verletzung kann immer passieren», sagte Box-Experte und Manager Bernd Bönte der Deutschen Presse-Agentur. Der Kroate Agron Smakici, der vor einem Jahr vom aktuell besten deutschen Schwergewichtler Agit Kabayel zu Boden geschickt wurde, verpasste Fury die Wunde. Der sagte, er habe noch nie einen Cut im Sparring erlitten.
Kein Management würde es bei der Tragweite des Kräftemessens riskieren, mit so einer frischen Blessur zu kämpfen. «Es ist logisch, dass man mit einer Verletzung im Gesicht nicht in einen solchen Kampf gehen sollte», sagte Bönte. «Der Riss ist genäht worden, muss aber verheilen, sonst könnte er beim ersten Schlag direkt wieder aufbrechen und für ein schnelles Kampfende sorgen.»
Der Ertrag für den Sieger ist groß. Zum ersten Mal nach Lennox Lewis vor 25 Jahren kann entweder Fury oder Usyk der sogenannte «Undisputed Champion» in der Königs-Gewichtsklasse werden. Der Sieger vereint alle bedeutenden Weltmeistertitel im Schwergewicht der wichtigsten Verbände. Fury hält den WBC-Gürtel, Usyk die Titel der IBF, IBO, WBA und WBO. Allein wegen dieser Konstellation sehnen Boxfans weltweit das Duell herbei. Promoter Frank Warren sprach vom «größten Box-Ereignis des Jahrhunderts».
«Das ist sicherlich der größte Kampf seit vielen Jahren», meinte auch Bönte. Der frühere Manager der Klitschkos fügte hinzu: «Viele Fans kennen nicht unbedingt den Weltmeister im Leichtgewicht, aber die Weltmeister im Schwergewicht kennt jeder.»
Die Verletzung Furys erinnert an die Verschiebung des legendären «Rumble-in-the-Jungle»-Kampfs 1974, als George Foreman wegen einer Cut-Verletzung erst einige Wochen später gegen Muhammad Ali antrat - und am Ende den K.o. kassierte.
Auch 2024 könnte wieder der Cut-Träger verlieren. Viele Experten sehen den technisch versierten und viel beweglicheren Usyk vorn. Umso mehr drängt die Seite des Ukrainers auf den Kampf. Usyks Manager Egis Klimas nannte Fury einen «Feigling». Der Konter ließ nicht lange auf sich warten, Fury polterte, dass man ihn bloß nie wieder so nennen solle. Der ruhige Usyk sagte bei einer gemeinsamen Pressekonferenz lediglich, er musste lächeln, als er von der Verletzung hörte.
Millionen-Gagen
Es geht jedenfalls um viel Geld. Mehreren Medienberichten zufolge soll Fury mehr als 100 Millionen Euro kassieren, Usyk soll deutlich weniger bekommen. «Fury ist sehr sprunghaft, aber am Ende des Tages will er auch den Kampf der Kämpfe. Die Summen, die kolportiert werden, sind riesig», sagte Bönte. «Geld ist nur ein Nebeneffekt», erklärte Usyk im Interview der britischen «Sun». «Ich will einfach kämpfen, ich will der unumstrittene Champion werden.»
Der unkonventionelle Brite Fury gilt als positiv-verrückter Entertainer, der mit seiner Reichweite seine Gegner vor Probleme stellt. In der Vergangenheit kämpfte er immer wieder neben dem Ring mit Problemen wie Depressionen und Drogenkonsum. 2015 hatte Fury überraschend Wladimir Klitschko bezwungen und war so Weltmeister geworden. Später verzichtete er auf alle Titel, kehrte 2018 zurück und holte sich den WBC-Titel zurück. Der 37 Jahre alte Usyk bezwang 2021 und 2022 jeweils Anthony Joshua und knöpfte ihm die WM-Gürtel ab.
Nun blickt die Boxwelt auf den neuen Termin in Riad. Und bangt weiter, ob das Duell stattfindet. «In Einzelsportarten ist es immer mit einem kleinen Fragezeichen verbunden, weil Verletzungen in der Vorbereitung und harten Trainingscamps auftreten können», sagte Bönte. Der Experte fügte hinzu: «Sicher kann man sich erst dann sein, wenn Michael Buffer sowohl Usyk als auch Fury am 18. Mai in den Ring ruft.»
Von Felix Schröder, dpa
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