Was braucht es für Zusammenhalt in der Gesellschaft? Etwas anderes als die «Stadtbild»-Aussagen von Merz, sagen Kritiker aus Rheinland-Pfalz. (Archivfoto)
Bernd Weißbrod/dpa
Was braucht es für Zusammenhalt in der Gesellschaft? Etwas anderes als die «Stadtbild»-Aussagen von Merz, sagen Kritiker aus Rheinland-Pfalz. (Archivfoto)
Gesellschaft

Wie die Stadtbild-Debatte Menschen trifft und berührt

Die Aussagen des Kanzlers haben Menschen in Rheinland-Pfalz enttäuscht. Kritiker sehen pauschale Zuschreibungen, vermissen das Ansprechen tatsächlicher Probleme - und sie haben Wünsche an die Politik.

Die von Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) ausgelöste «Stadtbild»-Debatte beschäftigt in Rheinland-Pfalz auch nach Wochen noch Menschen mit Migrationshintergrund und treibt in der Ausländer- und Integrationspolitik aktive Akteure um. Die Diskussion habe viele Menschen verunsichert, sagte der Landesbeauftragte für Migration und Integration, Manuel Vicente, der Deutschen Presse-Agentur in Mainz. 

Selbstverständlich zeige sich im Stadtbild, dass Deutschland seit Jahrzehnten ein Einwanderungsland und die Gesellschaft vielfältig und bunt sei. «Millionen Menschen mit Einwanderungsgeschichte sind Teil unserer Gesellschaft geworden – sie arbeiten, zahlen Steuern, engagieren sich, gründen Unternehmen und prägen das soziale und kulturelle Leben», betonte Vicente.

Landesbeauftragter spricht von pauschalen Zuschreibungen

Merz hatte kürzlich gesagt, die Bundesregierung korrigiere frühere Versäumnisse in der Migrationspolitik und mache Fortschritte, «aber wir haben natürlich immer im Stadtbild noch dieses Problem, und deswegen ist der Bundesinnenminister ja auch dabei, jetzt in sehr großem Umfang auch Rückführungen zu ermöglichen und durchzuführen». Erst später wurde er konkreter: Probleme machten jene Migranten, die keinen dauerhaften Aufenthaltsstatus hätten, nicht arbeiteten und sich nicht an Regeln hielten. 

Für Vicente treffen pauschale Zuschreibungen nicht nur neu in Deutschland ankommende Menschen, sondern auch jene, die seit Jahren, oft seit Generationen hier leben, die längst Teil der Gesellschaft geworden sind. Das schwäche das Vertrauen in Politik, gefährde den Zusammenhalt. 

Von Gift und Dynamit in der Gesellschaft

Das sieht Peimaneh Nemazi-Lofink aus Mainz ähnlich. Nach der Erfahrung der Leiterin des Instituts zur Förderung von Bildung und Integration waren zahlreiche Menschen von Merz' Aussagen «wirklich enttäuscht und traurig». Der Kanzler habe ein Stück weit die Rhetorik der AfD übernommen. «Das erwartet man nicht von einem Bundeskanzler.» Auch wegen Aussagen wie der von Merz sei die Gesellschaft gespalten. «Das ist Gift.» 

Für Donya Gilan, Autorin und Resilienz-Expertin aus Mainz, die sich viel damit beschäftigt, wie individuelle, soziale und strukturelle Bedingungen die psychische Gesundheit beeinflussen, hat Merz das Kontroll- und Ordnungsbedürfnis vieler Menschen angesprochen - «was in der Gesellschaft ja auch Platz haben muss und das politisch angegangen werden muss». Am Ende müssten sich alle Menschen im Stadtbild sicher fühlen. Merz hätte dieses Thema jedoch auf eine bessere Art ansprechen können. 

Gerade Menschen mit Diskriminierungserfahrung könnten bei solchen Botschaften wie der des Kanzlers echten Schmerz empfinden, sagte Gilan. Untersuchungen zeigten, dass sozialer Schmerz in derselben Hirnregion verarbeitet werde wie körperlicher Schmerz. Minderwertigkeitsgefühle könnten so größer werden, das Vertrauen in politische Institutionen könne schwinden. «Es führt zu sehr viel Dynamit innerhalb der Gesellschaft und die Stimmung ist sowieso schon sehr stark aufgeheizt.» 

Vicente: Vielfalt nicht als Makel darstellen

Für Nemazi-Lofink mangelt es in Deutschland an einer Willkommenskultur - mit Folgen. Menschen, die zum Arbeiten hierherkämen, spürten dies und gingen wieder. 

Vicente warnte davor, Vielfalt als einen Makel darzustellen. Eine solche Rhetorik wirke abschreckend auf internationale Fachkräfte, die dringend benötigt würden. «Wir brauchen Debatten, die differenzieren, die Probleme klar benennen, aber Menschen nicht gegeneinander ausspielen und gesellschaftliche Realitäten eindimensional problematisieren», sagte er. «Wir sind gesellschaftlich und integrationspolitisch viel weiter, als diese Debatte suggeriert.»

Sima Hosseini, Vorsitzende des Beirats für Migration und Integration in Mainz, sieht vor Ort ein gutes Miteinander. Gleichzeitig stört sie sich immer wieder an Aussagen aus der Politik. Alle in der Gesellschaft müssten aufeinander zugehen und sich - gleich welcher Herkunft - wertschätzend begegnen. Hosseini selbst kam vor knapp 40 Jahren aus dem Iran nach Deutschland, und obwohl sie schon lange hier lebt, fühlte auch sie sich von den Merz-Aussagen getroffen. 

Zugehörigkeitsgefühl als Grundbedürfnis

Eine Gesellschaft, die Menschen aus anderen Ländern brauche, sollte offen für diese sein, betonte Hosseini. Letztlich könnten alle voneinander profitieren, gemeinsam ließen sich die wirklichen sozialen Probleme besser angehen. Sie könne mit der Unterteilung in «wir» und «ihr» nichts anfangen. «Es ist eine Gesellschaft und Zugehörigkeitsgefühl ist ein Grundbedürfnis.»

Gilan sieht eine gewisse Notwendigkeit, politische Kommunikation zu korrigieren. «Es muss eine Sprache angewandt werden von Politikern, die eher Sicherheit vermittelt», erklärte sie. Das tue eine Aussage wie die von Merz nicht. Es brauche auch wieder mehr Räume in der Gesellschaft, in denen Menschen unterschiedlicher Ethnie und Meinung zusammenkommen könnten. «Echter Kontakt zwischen Gruppen baut immer am besten Vorurteile ab.» 

In Berlin habe es vor einigen Jahren nach fremdenfeindlichen Vorfällen eine Kampagne gegeben, die zeigen sollte, dass das Stadtbild aus ganz unterschiedlichen Menschen besteht - Menschen mit Kopftuch, mit Bart, Rollstuhlfahrer, Alte, Reiche, Arme. Solche Kampagnen seien wichtig. «Wenn Politik die Angst vieler Menschen vor Veränderung ernst nimmt, aber strukturelle Ursachen – Armut, Wohnungsnot, Bildungsungleichheit – benennt, statt Gruppen symbolisch auszugrenzen, stärkt sie Vertrauen und Zusammenhalt.»

Von Christian Schultz, dpa
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