Schweitzer neuer Ministerpräsident in Rheinland-Pfalz
Malu Dreyer zieht sich sichtlich gerührt aus der Politik zurück. Ihr Nachfolger und neuer Regierungschef Schweitzer bekommt auf Anhieb mehr Stimmen als die Ampel Abgeordnete hat.
Malu Dreyer zieht sich sichtlich gerührt aus der Politik zurück. Ihr Nachfolger und neuer Regierungschef Schweitzer bekommt auf Anhieb mehr Stimmen als die Ampel Abgeordnete hat.
Mit der Wahl von Alexander Schweitzer zum Ministerpräsidenten beginnt in Rheinland-Pfalz eine neue Ära. Der SPD-Politiker aus der Pfalz folgt auf Malu Dreyer, die sich nach 22 Jahren als Regierungsmitglied aus der Politik zurückzieht. Die 63-Jährige war zunächst elf Jahre Sozialministerin und dann genauso lange Ministerpräsidentin. Mit ihrem einnehmenden Lachen, ihrer Empathie und Zuversicht war die Juristin bundesweit über Parteigrenzen hinweg beliebt. Verabschiedet wurde sie nach einer emotionalen Abschiedsrede mit langanhaltendem Applaus und zahlreichen Blumensträußen.
Der 50 Jahre alte Jurist und Sozialpolitiker Schweitzer sieht auf das Bundesland einen größeren Wandel zukommen. «Dieses Land Rheinland-Pfalz wird sich verändern. Und wir werden diese Veränderungen annehmen, und wir werden die Chancen in diesen Veränderungen sehen», sagte Schweitzer in seiner ersten Rede als Regierungschef. Als Beispiele nannte er die Herausforderungen durch den Klimawandel und einer im Durchschnitt immer ältere Bevölkerung. Es geht bei dem Wandel um «Schutz und Chancen», sagte Schweitzer.
Schweitzer dankte seiner Vorgängerin für die langjährige enge Zusammenarbeit. Sie habe sich den Stil ihrer Kommunikation und den Umgang mit Menschen immer auch im Politischen bewahrt. «Es gab nie die Draußen- und die Drinnen-Malu Dreyer, es gab immer nur eine Malu Dreyer, es war auch oftmals eine fordernde Malu Dreyer», sagte Schweitzer. Als Ministerpräsident habe sie das Bundesland geprägt und nach vorn getragen.
Großer Vertrauensvorschuss für Schweitzer
Die 100 im Landtag anwesenden Abgeordneten wählten Schweitzer im ersten Wahlgang mit großer Mehrheit. Er bekam in geheimer Abstimmung 57 Stimmen. Das Regierungsbündnis aus SPD, FDP und Grünen kommt auf 54 Stimmen, rein rechnerisch erhielt Schweitzer also auch drei Stimmen von Oppositionsabgeordneten - also aus den Reihen von CDU, AfD oder Freien Wählern. Vier Abgeordnete enthielten sich bei der Wahl.
Die Wahl Schweitzers galt als Formsache. Dennoch hatte der Politiker vor einigen Tagen gesagt: «Ich bin ein bisschen angespannter als sonst.» Er will im neuen Amt Akzente in der Bildungspolitik setzen, stärker Politik aus und für die Regionen machen und den Dialog mit den Menschen fördern - als Grundlage der Demokratie.
Die 63 Jahre alte Dreyer hatte im Juni, kurz nach der Europa- und den Kommunalwahlen, ihren Rücktritt angekündigt, obwohl sie noch viel habe gestalten wollen. Aber die Kraft gehe ihr aus, hatte Dreyer gesagt, die seit vielen Jahren an Multiple Sklerose erkrankt ist. «Meine Akkus laden sich nicht mehr so schnell auf.»
Viele Emotionen beim letzten Dreyer-Auftritt
Bei ihrem letzten Auftritt im Parlament waren der langjährigen Regierungschefin die Anspannung und die Emotionen deutlich anzumerken. Zu Beginn ihrer Rede verhaspelte sich die sonst glänzende Rednerin, von dem sonst so häufig gezeigte strahlende Lächeln und Lachen war nichts zu sehen. «Ich bedanke mich wirklich herzlich, dass ich noch mal die Möglichkeit habe, hier von diesem Rednerpult aus zu reden», sagte sie mit wegbrechender Stimme. «Sie merken, irgendwie ist es gerade ein schwerer Tag. Es ist mir heute Morgen schon so gegangen. Als ich in die Staatskanzlei gegangen bin, habe ich gemerkt, es ist tatsächlich der letzte Tag.»
Neben vielen Dankesworten an politische Weggefährten, Familie und Freunde rief Dreyer dazu auf, die Demokratie zu verteidigen. Dies sei neben dem Klimawandel vielleicht die größte Herausforderung unserer Zeit. In den öffentlichen Debatten sei der Wind sehr rau geworden. Den Feinden der Demokratie müsse entschlossen entgegengetreten und widersprochen werden. «Unsere Demokratie ist bei weitem nicht perfekt. Aber sie ist doch das Beste, das wir haben», sagte Dreyer.
Am Schluss wandte sie sich direkt an die Menschen in Rheinland-Pfalz und dankte für Vertrauen, Zuspruch und Unterstützung. Sie rief sie dazu auf, weiter zusammenzuhalten. «Ich gehe in großer Dankbarkeit. Es war mir eine ganz besonders große Ehre, ihre Ministerpräsidentin sein zu dürfen», sagte sie. Nach dem langanhaltenden Applaus der Parlamentarier, von der Regierung und den Gästen im Landtag nach ihrer Rede tupfte sich Dreyer mit einem Taschentuch die Augenwinkel.
Landtagspräsident würdigt Dreyers Nahbarkeit
Landtagspräsident Hendrik Hering würdigte in seiner Rede die Nahbarkeit und Heimatverbundenheit von Dreyer. Im Parlament und auch mit den Menschen sei es ihr stets um Begegnungen auf Augenhöhe gegangen, sagte er. «'Die Malu' – wie viele sie nennen – war eine nahbare Ministerpräsidentin, und das wussten die Bürgerinnen und Bürger an ihr zu schätzen.»
Nicht nur im Kleinen in Rheinland-Pfalz, sondern auch auf der großen Bühne und in ihrer Zeit als Präsidentin des Bundesrates habe sich Dreyer einen Namen gemacht. Sie habe deutschlandweit zu den bekanntesten Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten gezählt. «All diese großen Bühnen konnte Malu Dreyer ohne Mühe bespielen, und dennoch strebte sie nicht in die Bundespolitik: weil ihr ihre Heimat Rheinland-Pfalz immer wichtiger war – wichtiger ist», sagte Hering.
Die 63-Jährige zieht sich nach elf Jahren als Regierungschefin aus der Politik zurück. Der Zeitpunkt ihres selbstbestimmten Wechsels gilt als optimal. Die nächste Landtagswahl ist 2026, und Schweitzer hat damit genug Zeit, sich im Amt bekannt zu machen. Der Spross einer Familie von Binnenschiffern war Dreyer schon einmal nach elf Jahren nachgefolgt, 2013 im Amt der Sozialministerin. Zugleich wird sich auch die Parteispitze verjüngen und neu aufstellen. Auf Roger Lewentz (61) soll im September die Fraktionschefin Sabine Bätzing-Lichtenthäler (49) als Landeschefin folgen, die mit Schweitzer schon lange zusammenarbeitet.
Ein neues Gesicht im Kabinett
Seit der Landtagswahl 2021 war Schweitzer Minister für Arbeit, Soziales, Transformation und Digitalisierung in Dreyers zweiter Ampelregierung. Seine Nachfolgerin in diesem Amt ist die nordrhein-westfälische SPD-Politikerin Dörte Schall. Schweitzer kennt die 46-Jährige schon fast 30 Jahren von den Jusos, wie auch Bätzing-Lichtenthäler.
An dem Kabinett ändert sich sonst nichts, die anderen fünf Ministerinnen und drei Minister bleiben im Amt, es sei keine Umbildung vorgesehen, hatte Schweitzer angekündigt. Der Frauenanteil in der Regierung bleibt ebenfalls unverändert. Schweitzer hatte gleich in seinem ersten Statement angekündigt, auch nach der nächsten Landtagswahl am liebsten mit Grünen und FDP weiter regieren zu wollen.
Es wird erwartet, dass der neue Ministerpräsident sich zu bundespolitischen Themen pointierter äußert als Dreyer. Schweitzer, der sich selbst einen «leidenschaftlichen Parlamentarier» nennt und mit manch spitzfindiger und spontaner Rede auch in seinen sieben Jahren als Fraktionschef (2014 bis 2021) auffiel, wird als Ministerpräsident sicherlich wieder häufiger im Landtag zu hören sein.
Der Mensch Schweitzer im Blick
Ob es ihm gelingt, auf ähnlich viel Sympathie bei den Rheinland-Pfälzern zu stoßen wie seine beliebte Vorgängerin bleibt abzuwarten. Er hat bereits einen «intensiven Sommer» angekündigt. «Ich will dahin, wo die Menschen sind und sich Meinungen bilden. Das sind auch Tiktok und die Theken.» Und er wird - anders als Dreyer - nicht mit der Ahr-Flutkatastrophe mit insgesamt 136 Toten in Verbindung gebracht, die sich an diesem Wochenende zum dritten Mal jährt.
Von Ira Schaible und Bernd Glebe, dpa
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