Mit Katzen das Vorlesen lernen – «Katzen erwarten nichts»
Amelie liest im Tierheim Katzen vor – denn anders als Menschen können die sie nicht verbessern. Das ist gut für sie selbst, aber auch die Tiere.
Amelie liest im Tierheim Katzen vor – denn anders als Menschen können die sie nicht verbessern. Das ist gut für sie selbst, aber auch die Tiere.
Amelie Pohl liest gar nicht gerne laut vor. Doch wenn die Katzen um ihre Beine streifen und sich auf ihren Schoß kuscheln, ist es ein bisschen weniger schlimm für die Neunjährige. «Ich stolper ganz oft bei Wörtern», erzählt die Viertklässlerin. Katzen lese sie lieber vor als ihren Klassenkameradinnen und Kameraden. «Weil da gibts ja niemanden, der mir Fehler sagen kann.»
Genau das ist das Ziel der Vorlese-Aktion im Tierheim Koblenz. «Kinder lesen Katzen vor» – dieses Projekt gibt es hier schon seit einiger Zeit. «Für uns ist ganz wichtig: Wir sind nicht nur ein Tierheim, wir sind eine Begegnungsstätte. Das wollten wir immer sein und werden», sagt Tierheimleiterin Kirstin Höfer.
Hunde lenken die Kinder ab - Katzen hören besser zu
Die Aktion soll sowohl den Kindern als auch den Katzen helfen. «Es geht überwiegend nur mit Katzen, mit Hunden nicht», erklärt Höfer. Hunde seien meist zu aktiv. «Die würden dann stören, oder die wollen dann spielen, sie sind schneller abgelenkt.»
Den Katzen tue das Vorlesen aber gut. «Wir haben tatsächlich auch gute Effekte bei scheuen Katzen, die sehr, sehr zurückgezogen sind», sagt die Leiterin. «Und wenn man dann ein sensibles Kind hat, kann man sagen, Mensch, du tust der Katze was Gutes.» Besonders alte Katzen fänden das Vorlesen ganz toll, sagt sie.
«Katzen erwarten einfach nichts»
Wer im Tierheim vorlesen will, kann einen Termin ausmachen und darf dann mit einer oder mehreren Katzen in einen Raum. Für sie sei wichtig, dass die Kinder mit ihrem Buch und der Katze alleine seien, sagt Höfer. «Damit es überhaupt keine Erwartungen gibt. Denn Katzen erwarten einfach nichts. So ist es für die Kinder auch: Nichts erwarten, nichts befürchten.»
Tiere könnten die Kinder auch nicht verbessern. «Sie sagen nicht: Du leierst so, du musst das Komma mitsprechen», erklärt sie. Kinder seien demotiviert, wenn sie von Anfang an so verbessert würden. «Es ist besonders auch für schüchterne Kinder gut, überhaupt einmal laut zu sprechen, etwas zu lesen.»
Sie habe schon oft Gespräche mit Lehrerinnen oder Eltern geführt, die von einer deutlichen Verbesserung bei den vorlesenden Kindern erzählt hätten. «Wir hatten hier schon Schulklassen, wo die Lehrerinnen sehr erstaunt waren, wie flüssig auf einmal Kinder lesen können», sagt sie.
«Es ist schon deutlich besser geworden»
Amelie kommt schon seit fast zwei Jahren wöchentlich ins Tierheim. «Sommer wie Winter», sagt ihre Mutter Nathalie Pohl. Man merke schon eine Veränderung. «Lesen ist ja Training.» Sie erinnert sich: «Es gab halt auch Phasen, wo man sagen muss, da haben wir sie zu Hause überhaupt nicht motiviert bekommen, zu lesen.» Früher sei Amelie schnell frustriert gewesen, das habe sich mittlerweile gebessert.
«Es gibt Kinder, die lesen wie Erwachsene, die können es einfach oder die haben dafür irgendwie eine Begabung», sagt Pohl. «Und ihr fällt das halt super schwer. Es ist schon deutlich besser geworden.»
Amelie freut sich jede Woche auf ihren Besuch im Tierheim, sagt sie. Oft hat sie dann ihr Katzen-Lexikon dabei, aus dem sie am liebsten vorliest. Sie startet noch leise und etwas unsicher als sie an einem der Freitage anfängt zu lesen. Nach und nach wird sie aber etwas sicherer und lauter. Die Katzen kommen hinter den Sesseln hervor und auf sie zu. Darüber freut sich Amelie sehr. Denn: Noch besser als das Vorlesen findet sie das Kuscheln mit den Katzen.
Von Mona Wenisch, dpa
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