Eine historische Studie hat den Umgang mit sexuellem Missbrauch zu den Amtszeiten von Marx und Ackermann untersucht. (Archivbild)
Harald Tittel/dpa
Eine historische Studie hat den Umgang mit sexuellem Missbrauch zu den Amtszeiten von Marx und Ackermann untersucht. (Archivbild)
Missbrauch und Kirche

Missbrauch-Studie: Marx und Ackermann bitten um Verzeihung

Für eine Studie über sexuellen Missbrauch im Bistum Trier benennen Historiker Fehler. Was die Bischöfe dazu sagen.

Licht und Schatten: Im Umgang mit sexuellem Missbrauch im Bistum Trier haben der frühere Trierer Bischof Reinhard Marx und der derzeitige Bischof Stephan Ackermann laut einer Studie sowohl Fehler als auch Fortschritte gemacht. Historiker der Universität Trier haben Missbrauchsfälle und deren Bearbeitung in den Amtszeiten von Marx und Ackermann untersucht. 

Kardinal Marx, heute Erzbischof von München und Freising, war von 2002 bis 2008 Bischof in Trier. Bischof Ackermann ist seit 2009 im Amt. 

In dem Zeitraum sei generell die Sensibilität für sexualisierter Gewalt gestiegen, das Straf- und das Kirchenrecht wurden verschärft. Die Bereitschaft, Sexualdelikte wahrzunehmen, anzuzeigen und zu verfolgen, sei größer geworden. Das habe sich auch in Normen und Leitlinien des Bistums Trier niedergeschlagen. Einstige «Ermessensspielräume» seien verschwunden. 

Die Zahl von Tätern und Opfern sei seit 2000 deutlich rückläufig, teilten die Wissenschaftler mit. Im untersuchten Zeitraum seien 37 Beschuldigte (21 unter Marx, 16 unter Ackermann) und mindestens 59 Opfer (35 unter Marx, 24 unter Ackermann) ermittelt worden. 

Im Vergleich zu den Amtszeiten früherer Bischöfe sei das erheblich weniger. Für den ganzen Zeitraum, den die Historiker untersuchen - also von 1946 bis 2021 - wurden 734 Opfer und 246 Beschuldigte dokumentiert. Die meisten Fälle passierten zwischen 1950 und 1990. 

Was sind Versäumnisse unter der Leitung von Marx?

  • Es wurde sich nicht genug um Missbrauchsopfer gekümmert. In nur zwei Fällen sei konkrete Hilfe angeboten worden: Die in den Leitlinien von 2002 vorgesehene Unterstützung des sozialen Umfeldes wurde nicht umgesetzt.
  • Die Kommunikation mit den Strafverfolgungsbehörden blieb mangelhaft: In keinem einzigen Neufall sei die Staatsanwaltschaft vom Bistum informiert worden.
  • Die Sanktionierung der Beschuldigten sei unzureichend gewesen. In vier von zwölf Fällen hatten Meldungen keine Konsequenzen.
  • Marx wurde bei seinem Amtsantritt nicht über alle bekannten Missbrauchsfälle informiert.
  • Marx bestand zwar auf der konsequenten Anwendung der Leitlinien von 2002, vertraute aber dem alten Personal, das auch Fälle ohne Personalkommission und Bischof regelte.

Positiv: Die Pflicht zur internen Aufklärung habe es in acht von zwölf zeitgenössisch gemeldeten Fällen gegeben. «Das war ein Fortschritt gegenüber der Vergangenheit», heißt es im 140-seitigen Bericht der Autoren Lena Haase und Lutz Raphael.

Zudem habe sich die Zeit zwischen Tat und Meldung deutlich verkürzt. Das spreche für «die inzwischen erfolgte gesellschaftliche Sensibilisierung» und die Wirksamkeit neuer Regeln. Und: Seit 2001 sei kein neuer Fall eines Intensivtäters mehr bekanntgeworden. 

Was ist unter der Leitung von Ackermann besser geworden?

Als Versäumnisse bei Ackermann nennen die Historiker langsame jahrelange Verfahren, unzureichende Kommunikation gegenüber Gemeinden und problematische Personalpolitik. Ein schwerer Fehler sei gewesen, dass Ackermann im März 2022 den Klarnamen der unter dem Pseudonym Karin Weißenfels bekannten Betroffenen in einer internen Besprechung nannte. Dafür wurde er vom Amtsgericht Trier verurteilt.

Ein deutlicher Fortschritt sei, dass konsequent intern ermittelt, an die Staatsanwaltschaft gemeldet und sanktioniert wurde. Zudem habe Ackermann den direkten Kontakt mit Betroffenen gesucht. Jedem Betroffenen wurden finanzielle Leistungen zur «Anerkennung des Leids» geboten, es gibt seit 2011 Ansprechpartner, die sich um Betroffene kümmern.

Was sagen die Bischöfe zur Studie?

Der Münchner Kardinal Reinhard Marx räumte Fehler ein. Es sei ihm immer deutlicher geworden, «dass ich in meiner Zeit als Bischof von Trier die Thematik sexualisierter Gewalt und sexuellen Missbrauchs nicht so umfassend und klar wahrgenommen habe, wie das angemessen gewesen wäre», schrieb Marx in einer Stellungnahme. Er bitte die Menschen um Verzeihung, «denen ich nicht gerecht geworden bin».

Auch der Trierer Bischof Stephan Ackermann bat die Opfer um Verzeihung. Er versicherte den Betroffenen seinen Respekt und sprach von Traurigkeit über das Geschehene. «Ich kann nur um Verzeihung bitten für das, was ich oder meine Mitarbeitenden Betroffenen sexualisierter Gewalt in unserem Bistum durch unser Handeln oder Nichthandeln an neuen Verletzungen zugefügt haben», sagte er. 

Die unabhängige Aufarbeitungskommission im Bistum Trier, die die historische Studie initiiert hatte, teilte zum aktuellen Bericht mit: Es habe sich «spätestens mit dem Amtsantritt von Bischof Ackermann ein erkennbar verbesserter Umgang mit den Taten, Tätern, Betroffenen und der Prävention entwickelt» - auch, wenn immer wieder nachgebessert werden musste. 

Die Aufarbeitung im Bistum Trier stand unter Ackermann besonders im Fokus, weil er von 2010 bis 2022 Missbrauchsbeauftragter der Deutschen Bischofskonferenz war. Was er in seinem Heimatbistum tat, sei quasi zu einer Art «Testfall» für die Glaubwürdigkeit der katholischen Kirche bundesweit geworden, heißt es in der Studie.

Anfang 2010 hatte der bundesweite Skandal um sexuellen Missbrauch begonnen. In ganz Deutschland kamen seitdem Missbrauchsfälle ans Licht, viele mit katholischen Laien, Priestern und Ordensleuten als Tätern. 

Wie ist diese neue Studie einzuordnen?

Es ist der dritte Zwischenbericht einer historischen Studie, die sexuellen Missbrauch durch Kleriker und Laien im Bistum Trier von 1946 bis 2021 wissenschaftlich aufarbeitet. Berichte liegen bereits vor zur Amtszeit des früheren Bischofs Hermann Josef Spital, der von 1981 bis 2001 im Amt war, sowie zum ehemaligen Bischof Bernhard Stein (Amtszeit: 1967 bis 1980). 

Das Forschungsprojekt an der Uni Trier hatte die Aufarbeitungskommission im Bistum auf den Weg gebracht. Diese Kommission ist seit Juni 2021 im Amt, ihr gehören Betroffene und Fachleute an. Insgesamt soll die Aufarbeitung sechs Jahre dauern. Derzeit stellen sich alle 27 Bistümer bundesweit einer unabhängigen Aufarbeitung durch eingerichtete Kommissionen.

Der Sprecher der Trierer Kommission, Gerhard Robbers, sagte, man sei erneut erschrocken über das Ausmaß sexuellen Missbrauchs - auch wenn die Zahlen zuletzt zurückgegangen seien. «Jeder einzelne sexuelle Missbrauch ist ein schreckliches Verbrechen.»

Für die Amtszeiten von Marx und Ackermann haben die Historiker knapp 1.300 Aktenbände und 30 Gespräche mit Betroffenen ausgewertet.

Was muss besser werden?

Die Aufarbeitungskommission empfiehlt nach dem Bericht, stärker auf die konkreten Bedürfnisse von Opfern einzugehen. «Die Perspektive der individuellen Betroffenen muss stärker in den Vordergrund rücken», hieß es. Auch die Historiker sehen Verbesserungsbedarf bei der Kommunikation mit Betroffenen, den Gemeinden und der Öffentlichkeit.

Von Birgit Reichert, dpa
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