Es geschieht gegen 14 Uhr an einem Montag in Kaiserslautern-Einsiedlerhof. Ein 23 Jahre altes SPD-Mitglied verteilt einige Wochen vor der Bundestagswahl allein Flyer seiner Partei. An den Briefkästen eines Mehrfamilienhauses hört er plötzlich schnelle Schritte hinter sich, wie er einige Tage später der Deutschen Presse-Agentur erzählt.
Als er sich umdreht, stehen drei Vermummte vor ihm, zwei haben einen Schal um das Gesicht gewickelt, einer trägt eine Sturmmaske. Der Mann wird gestoßen, gegen die Hauswand gedrückt. Geistesgegenwärtig geht der 23-Jährige ins Treppenhaus, zieht die Tür zu - dann fliehen die Täter zu Fuß, wie er sagt.
An den Tagen danach ist der Angriff auf den Wahlhelfer in vielen Medien in Rheinland-Pfalz. «Es ständig zu lesen, war ein komisches Gefühl», sagt der Mann der dpa. Ob der Angriff einen politischen Hintergrund hatte oder ob es nur um Geld ging, weiß er nicht. Fakt sei aber auch, dass in der Straße bereits im Kommunalwahlkampf 2024 Plakate von ihm beschädigt worden seien.
Kein Einzelfall
Der Angriff in Kaiserslautern ist kein Einzelfall, immer wieder kommt es in Rheinland-Pfalz vor, dass Wahlkampfhelfer angegangen werden - mal mehr, mal weniger heftig. Insgesamt ist nach Darstellung des Innenministeriums in Mainz aber kein Anstieg der Straftaten im Vergleich zum Bundestagswahlkampf 2021 erkennbar.
Damals seien 245 Straftaten registriert worden, davon vier Gewaltdelikte. Im deutlich kürzeren Wahlkampf 2025 waren es bisher 206 Straftaten, davon zwei Gewaltdelikte. Allerdings sind laut Ministerium noch nicht alle Taten erfasst. Bei den meisten Straftaten dreht es sich um die Zerstörung, die Beschädigung oder den Diebstahl von Wahlplakaten.
Im aktuellen Wahlkampf berichten die Parteien in Rheinland-Pfalz fast übereinstimmend von einer teils angespannten Stimmung an Wahlständen oder gegenüber Wahlkampfhelfern. Daniel Reißmann, Sprecher der SPD Rheinland-Pfalz, spricht davon, dass der Ton rauer geworden sei.
Bei der FDP beobachtete jüngst der Kreisverband Mainz eine zunehmende Aggressivität an Wahlkampfständen. Bei den Grünen werden Wahlkampfhelfer an Ständen oder beim Plakatieren beschimpft - vor allem aus vorbeifahrenden Autos. Ein auf einer Leiter stehender Wahlkampfhelfer sei von unten beschimpft und bedroht worden, einem anderen sei aus einem Auto heraus Prügel angedroht worden, falls Grünen-Flyer im falschen Briefkasten landeten.
«Bisher war ich der Kanake in der CDU»
Auch der türkischstämmige Unionspolitiker Sertac Bilgin ist Angriffe gewohnt. «Bisher war ich der Kanake in der CDU», sagt der 43-Jährige, der im Wahlkreis Ludwigshafen/Frankenthal erstmals für den Bundestag kandidiert. Seit der Bundestagsabstimmung über den Fünf-Punkte-Plan der CDU mit Stimmen der AfD werden seine Plakate mit Hakenkreuzen und Hitler-Bärtchen beschmiert und er bekommt Anfeindungen auf der Straße mit.
«Eigentlich habe ich eine dicke Haut», sagt Bilgin, der in Dannstadt im Rhein-Pfalz-Kreis zur Welt gekommen ist. «Aber jetzt ist aktuell eine Ebene erreicht, die mir tief unter die Haut geht, weil die Beschimpfungen meine Familie erreichen.» So sei seine Tochter im Teenageralter in der Schule gefragt worden, ob ihr Vater ein Nazi sei. Das habe sie tieftraurig gemacht.
Betroffene bekommen Zuspruch
Einschüchtern lässt sich Bilgin, der aus der Pflegebranche kommt und auf dem 13. Platz der CDU-Landesliste kandidiert, aber nicht. «Ich stehe für einen klaren Kurs und jeder kann mit mir ins Gespräch kommen», betont er. «Ich mache weiter.» Die beschmierten Plakate würden möglichst schnell ausgetauscht und er bekomme bei allen Anfeindungen auch viel Zuspruch auf der Straße, «von Leuten, die ich gar nicht kenne».
Der 23-jährige SPD-Wahlkampfhelfer in Kaiserslautern musste die bedrohliche Situation an der Tür erst mal sacken lassen, wie er erzählt. Er habe überlegt, keine Anzeige zu erstatten, um den Tätern nicht noch eine Bestätigung zu geben und um nicht auch noch Nachahmer zu ermuntern. Letztlich sei es aber richtig gewesen, sich mit der Partei für eine Anzeige zu entscheiden.
Solidarität habe er in den Tagen danach auch aus den Reihen anderer Parteien erfahren, zum Beispiel von den Grünen, der Linken und aus der CDU. «Es hilft zu wissen, dass man nicht allein ist», sagt er. Mit Beiträgen in sozialen Medien habe er sich zunächst bewusst zurückgehalten - anders als sonst. «Dann wurde mir aber klar, dass ich mich nicht unterkriegen lassen will.»
Mulmige Rückkehr zum Tatort
Vor kurzem sei er wieder in dem Stadtteil in Kaiserslautern mit Flyern unterwegs gewesen, diesmal gemeinsam mit drei anderen Wahlkampfhelfern. Auch vor dem Mehrfamilienhaus habe er gestanden, mit einem «mulmigen Gefühl», wie der 23-Jährige, der vor sieben Jahren in die SPD eingetreten ist, sagt.
Er hätte nie gedacht, dass ihm so etwas passiert. Bei seiner Körpergröße von 2,07 Meter hätte er mit einem solchen Angriff schlicht nicht gerechnet. Und was macht das mit ihm? Er sagt: «Man wird natürlich vorsichtiger, guckt öfter mal hinter sich und behält sein Umfeld im Blick.»
Von Christian Schultz und Ira Schaible, dpa
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