KI kann etwa bei der Erfassung von Daten helfen oder beim Abgleich komplexer Schriftsätze. (Symbolbild)
Peter Steffen/dpa
KI kann etwa bei der Erfassung von Daten helfen oder beim Abgleich komplexer Schriftsätze. (Symbolbild)
Künstliche Intelligenz

KI in der Justiz - Suche nach krummer Nadel im Nadelhaufen

Nein, den maschinellen Richter wird es nicht geben, betont Justizminister Fernis. Er verspricht sich anderweitig Nutzen durch künstliche Intelligenz - ähnlich wie der Richterbund.

Nach dem Großprojekt elektronische Akte wird in der rheinland-pfälzischen Justiz das Potenzial von künstlicher Intelligenz (KI) getestet, mögliche Einsatzgebiete werden geprüft, ein Vergabeverfahren für eine Anwendung läuft schon. Justizminister Philipp Fernis von der FDP betont, KI werde niemals am Ende einer juristischen Entscheidung stehen. Die Technik könne aber Arbeit abnehmen, mittelbar für mehr Rechtsfrieden sorgen. Der Richterbund sieht das ähnlich, steht KI in der Justiz ebenfalls positiv gegenüber.

Klar sei, es werde kein KI-Richter kommen, betont Minister Fernis. Die Angst könne er nehmen. «Unser Ansatz ist genau das Gegenteil. Wir wollen KI dafür nutzen, um die menschliche Komponente in der Justiz zu stärken.» KI könne Mitarbeitende der Justiz - vom Richter über den Rechtspfleger bis hin zu Unterstützungskräften - von Routineaufgaben entlasten, erklärt der Minister. Allerdings müsse eine mögliche Aufgabenverlagerung hin zur KI umso sensibler geprüft werden, je näher diese an einer juristischen Entscheidung heranrücke.

Mehr Erklärung für mehr Rechtsfrieden

Auch Jan Keppel betont, KI könne nie einen Richter ersetzen, aber Freiräume schaffen. Er ist stellvertretender Vorsitzender des Richterbundes Rheinland-Pfalz und Richter am Oberlandesgericht (OLG) in Koblenz. Mit Hilfe von KI könne mehr Zeit für das Erklären von Entscheidungen verwandt werden, sagt er. «Das ist wichtig für den Rechtsfrieden.» Es schaffe Akzeptanz für Beschlüsse oder Urteile, mit schnellem Runterrattern juristischer Fachbegriffe sei es nicht getan. 

Den Aspekt des Rechtsfriedens sieht Fernis ebenfalls. «Den schaffen sie nachhaltiger, wenn jemand versteht, warum an einer Stelle eine Entscheidung in eine bestimmte Richtung ausgefallen ist», sagt der FDP-Politiker. Verständnis lasse sich eher erzeugen, wenn mehr Zeit für Erläuterungen sei.

Klar ist, die Einführung von KI in der Justiz ist ein langfristiges Projekt, ähnlich wie schon die Einführung der E-Akten. Die startete im Juni 2018 zunächst bei Zivilsachen beim Landgericht Kaiserslautern, inzwischen ist sie nahezu flächendeckend im Einsatz. Klar ist auch, solche Projekte kosten Geld. Nach Angaben des Justizministeriums in Mainz liegt das Budget für die E-Akte und KI im kommenden Jahr zusammen bei etwa 18,6 Millionen Euro.

Beim KI-Projekt könne man von vorangehenden Investitionen in die technische Infrastruktur profitieren, sagt Fernis - von besseren Bandbreiten bis zur technischen Ausstattung von Arbeitsplätzen und Gerichtssälen. «Wir haben digitale Akten, jetzt geht es darum, Potenziale, die da sind, zu nutzen.» Konkret genutzt werde KI schon heute für eine Art interaktives Benutzerhandbuch zur E-Akte, ein sogenanntes E-Manual. Möglichkeiten mit KI sieht der Minister auch bei der oftmals sehr routinemäßigen Festsetzung von Kosten für Verfahren.

Routinetätigkeiten könnten von KI erledigt werden

Bereits getestet wurde ein Tool, das Metadaten aus Schriftstücken herauszieht. Nun laufe dazu ein Vergabeverfahren, erklärt Fernis. Genutzt werden könne es beispielsweise dafür, um aus einer Klageschrift Namen von Klägern, Anwälten oder Zeugen herauszuholen, um sie dann etwa für die automatisierte Erstellung von Schreiben zu nutzen. Bislang mache das eine Mitarbeiterin oder ein Mitarbeiter händisch. «Das ist ein völlig unproblematisches Beispiel weit weg von menschlicher Entscheidungsfindung, das ist einfach Routine.»

Effizienzgewinne erhofft sich der Minister durch KI auch bei Massenverfahren wie die infolge des VW-Abgasskandals oder bei Verfahren wegen einer Radarfalle, wenn die Technik eines eingesetzten Blitzgeräts angezweifelt wird. In solchen Fällen müsse geschaut werden, ob umfangreiche Schriftsätze sich im Detail unterscheiden, das könne KI sehr gut.

Keppel stimmt zu. Richterinnen und Richter hätten es dabei oft mit nahezu inhaltsgleichen Schriftstücken mit mehreren hundert Seiten zu tun. Die für jedes Verfahren immer wieder komplett zu lesen, dauere irre lange. Wenn KI Unterschiede herausfiltere, könnten einzelne, relevante Textstellen gezielt betrachtet werden. Ein anderes Feld sind für ihn Staatsschutzsachen. Bei denen sammelten sich nicht selten tausende Seiten verschriftliche Telefonate oder Chatverläufe nach einer Telekommunikationsüberwachung an. KI könne nach Schlüsselwörtern suchen. Sofern die Kommunikation in einer anderen Sprache sei, müsse ein Dolmetscher nur noch für die Übersetzung vermutlich relevanter Passagen bezahlt werden und brauche auch entsprechend weniger Zeit.

Und wie sieht es bei Verfahren zu Cyberkriminalität aus? Fernis verweist auf Komplexe um Kreditkarten-Missbrauch im Internet. In solchen Verfahren müssten etwa aus zig Buchungen illegale gefunden werden. «Sie haben Millionen von Buchungen, von denen einige - im Verhältnis wenige - kriminell sind», erklärt der Minister. «Da suchen sie nicht die Nadel im Heuhaufen, sondern da suchen sie die krumme Nadel im Nadelhaufen.»

Bei Verfahren wegen Kinderpornografie müssten teils Tausende, sehr private Bilder von Beschuldigten auf sichergestellten Datenträgern geprüft werden. Wenn KI relevante Bilder herausfiltere, sei das effizienter und grundrechtsschonender. Der Blick müsse nicht so tief ins Privatleben gehen.

Minister: KI soll kein Personal ersetzen

«Es geht definitiv nicht darum, Geld oder Personal einzusparen», betont Fernis mit Blick auf den KI-Einsatz. Skeptikern hält er entgegen, dass Menschen ebenfalls Fehler machen, etwas übersehen. «Skepsis kommt auch daher, dass wir gelernt haben, mit menschlichen Fehlern zu leben. Weil uns menschliche Fehler immer begleiten, empfinden wir sie als weniger bedrohlich.»

Gewerkelt wird an Tools unter anderem in einer Art eigener KI-Werkstatt der rheinland-pfälzischen Justiz. Darüber hinaus gibt es einen Austausch zwischen den Bundesländern, ab und zu auf oberster Ebene, nahezu täglich auf Ebene von Arbeitsgruppen. Keppel vom Richterbund lobt, dass bei dem Prozess Praktiker einbezogen würden, vom Richter über Rechtspfleger bis zu Mitarbeitern aus Geschäftsstellen. All die dürften noch lange damit befasst sein. Fernis sagt: «Ich sehe nicht, wo der Endpunkt von Digitalisierung sein sollte.»

Von Christian Schultz, dpa
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