Der fraktionslose Ex-Grüne Andreas Hartenfels ist der erste Landtagsabgeordnete der neuen Partei von Sahra Wagenknecht (BSW) in Rheinland-Pfalz. Er ist damit der erste BSW-Abgeordnete in einem Flächenbundesland. Die Parteigründerin und Bundestagsabgeordnete Wagenknecht sagte am Montag in Mainz, das Bündnis sei noch nicht mal eine Woche alt und schon im Landtag von Rheinland-Pfalz vertreten: «Etwas, das die Linke nie geschafft hat.»
Der fraktionslose Ex-Grüne Hartenfels kündigte an, als neues BSW-Mitglied auf die Oppositionsfraktionen Freie Wähler und CDU im Landtag zuzugehen, um eine Enquete-Kommission zur Aufarbeitung der Corona-Zeit auf den Weg zu bringen. Die «Ausgrenzung von Millionen von Menschen» während der Pandemie und die tiefgreifenden Einschnitte bis ins Private seien für ihn ein Grund gewesen, die Grünen zu verlassen, sagte der 57-Jährige.
Auch in seiner Unterstützung der Bauernproteste sieht Hartenfels Schnittmengen mit den Freien Wählern. Mit der CDU gebe es auch inhaltliche Übereinstimmungen. Wichtige Themen seien für das BSW etwa die Bildungs- und die Gesundheitspolitik sowie der Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs gerade in ländlichen Regionen. Den Ampel-Parteien SPD, Grüne und FDP warf Hartenfels vor, im politischen Umgang Menschen, «die sich nicht im vorgefertigten Meinungskorridor bewegten», nicht gut zu behandeln.
Hartenfels und Wagenknecht kritisierten die Ampel-Regierungen in Bund und Land - und dabei vor allem die Grünen - scharf. Sie habe sich zu einer Partei gewandelt, «die unser Land spaltet», kritisierte Wagenknecht und warf den Grünen mit Blick auf Waffenlieferungen nach Saudi-Arabien Heuchelei vor. Die Außenpolitik von Annalena Baerbock (Grüne) habe mit Friedenspolitik nichts mehr zu tun und sei für ihn ausschlaggebend gewesen, die Grünen nach dem Bundesparteitag im Oktober 2022 zu verlassen, sagte Hartenfels. Er war 2011 erstmals als Kandidat im westpfälzischen Kusel für die Grünen in den Landtag gewählt worden.
Der Bundestagsabgeordnete Alexander Ulrich, der wie Wagenknecht aus der Linken-Fraktion ausgetreten war und das einzige Gründungsmitglied des BSW aus Rheinland-Pfalz ist, soll den Aufbau der Partei in dem Bundesland organisieren. Die Kommunalwahl - zeitgleich zur Europawahl am 9. Juni - komme für die neue Partei eigentlich zu früh, sie werde aber «an der ein oder anderen Stelle antreten», sagte Ulrich, der auch Bevollmächtigter der IG Metall Kaiserslautern ist. Überlegungen gebe es etwa in Ludwigshafen, Kaiserslautern, Neuwied, Bad Kreuznach und Frankenthal.
Die BSW-Landesverbände sollen nach dem ersten Bundesparteitag am 27. Januar und der Europawahl nach und nach gegründet werden, kündigte Wagenknecht an. Von den 450 ersten Mitgliedern kämen 28 und damit prozentual rund fünf Prozent aus Rheinland-Pfalz. Im Saarland hat die Partei bisher 13 Mitglieder. Das Bündnis solle langsam wachsen, es gebe aber bereits zahlreiche Unterstützer und Förderer.
«Wir stellen uns gesellschaftlich breit auf», kündigte Ulrich an. Auch der ehemalige Profi-Fußballspieler Andreas Buck sowie der Drehbuchautor und Grimme-Preisträger Stephan Falk seien «Gesichter» des BSW aus Rheinland-Pfalz. Sie stünden für «die Bandbreite der Menschen, die sich politisch schon lange nicht mehr vertreten fühlen».
Ulrich sagte, er stehe als Gewerkschafter «für gute Arbeit und faire Bezahlung». Die Partei werde auch von Unternehmern, Personal- und Betriebsräten, Beamten sowie einem Chefarzt unterstützt. Etwa jeder vierte bis fünfte der ersten Mitglieder sei ein solcher Seiteneinsteiger. Dazu kämen vielversprechende Umfragewerte, sagte er mit Blick auf den Anfang November veröffentlichten «PoliTrend». Danach hielt etwa jeder dritte Befragte (32 Prozent) in Rheinland-Pfalz eine neue Partei unter Führung von Sahra Wagenknecht für «gut» oder «sehr gut».
Der Politikwissenschaftler Uwe Jun sagte der Deutschen Presse-Agentur: «Ein ausreichendes Wählerpotenzial zu einem möglichen Einzug in den Landtag wäre auch in Rheinland-Pfalz gegeben.» Mit Ulrich und Hartenfels sei es gelungen, «zwei Politiker zu rekrutieren, die in Rheinland-Pfalz zwar nicht ganz unbekannt sind, aber bislang auch noch kaum öffentlichkeitswirksam aufgetreten sind».
Wagenknecht versuche die Wählergruppen zu gewinnen, die mit der Politik in gewisser Weise unzufrieden seien. «Sie setzt auf eine sozialstaatliche Umverteilung mit einem konservativen bis autoritären kulturellen Werteverständnis», sagte der Wissenschaftler aus Trier. «Wie weit das gelingt, hängt auch davon ab, inwieweit sie das BSW organisatorisch gut aufstellt. Von Vorteil wäre ein wählerwirksames Gesicht, das das BSW in Rheinland-Pfalz repräsentiert.»
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