Wiedergutmachung, Teil zwei: Berlin wählt mal wieder
In Berlin können die Menschen nach dem Desaster am Superwahltag 2021 und der wiederholten Landeswahl 2023 erneut ihre Kreuzchen auf einem Stimmzettel machen. Doch diesmal ist einiges anders.
In Berlin können die Menschen nach dem Desaster am Superwahltag 2021 und der wiederholten Landeswahl 2023 erneut ihre Kreuzchen auf einem Stimmzettel machen. Doch diesmal ist einiges anders.
Lange Schlangen vor Wahllokalen, fehlende oder falsche Stimmzettel, mancherorts zeitweise Wahlunterbrechungen oder Wählen noch um 19.00 Uhr oder 20.00 Uhr: Aufgrund organisatorischer Fehler und Pannen wurde die Bundestagswahl am 26. September 2021 in Berlin ebenso wie die parallel abgehaltenen Wahlen auf Landes- und Bezirksebene zum beispiellosen Desaster. Nun soll der zweite Teil der Wiedergutmachung erfolgen.
Fast auf den Tag genau ein Jahr nach der kompletten Wiederholung der Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus, bei der im Februar 2023 organisatorisch alles glattging, steht am kommenden Sonntag, 11. Februar, in der Hauptstadt die teilweise Wiederholung der Bundestagswahl an. Teilweise deshalb, weil nach einem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes lediglich in einem Fünftel der 2256 Wahlbezirke neu gewählt werden muss.
Es ist die erste durch das Bundesverfassungsgericht angeordnete Wahlwiederholung in der Geschichte. Im Gegensatz zum Berliner Verfassungsgerichtshof, der wegen vieler Wahlfehler eine Komplettwiederholung der Wahl zum Landesparlament angeordnet hatte, hielten die Karlsruher Richter ein solches Vorgehen für die Bundestagswahl nicht für nötig.
555.000 Berliner zur Wahl aufgerufen
Zur Stimmabgabe aufgerufen sind am Sonntag etwa 550.000 Berlinerinnen und Berliner statt zuletzt knapp 2,5 Millionen. An den Mehrheitsverhältnissen im Bundestag, an der Mehrheit der Ampel, wird der dritte Berliner Wahlgang binnen zweieinhalb Jahren nichts ändern. Mit 0,9 Prozent ist der Anteil der Wahlberechtigten in der Hauptstadt an deren Gesamtzahl auf Bundesebene zu gering. Einzelne Verschiebungen sind aber möglich.
Entsprechend hält sich der Wahlkampf in Grenzen, zumal den Parteien dafür Geld fehlt. In vielen Stadtteilen hängen keine oder kaum Wahlplakate, Straßenstände oder Versammlungen gibt es nur hier und da. Manche befürchten, dass die Wahlbeteiligung am Sonntag deutlich niedriger sein wird ist als am verpatzten Superwahltag 2021, als sie 75,2 Prozent betrug.
Gesellschaftlich und medial stark präsent waren in Berlin 2024 bisher andere Themen: Die jüngsten Großdemos gegen rechts gehören dazu, zuletzt am vergangenen Samstag mit mehr als 150.000 Teilnehmern. Heiß diskutiert wurde auch, ob der Kreuzberger Drogen- und Kriminalitäts-Hotspot Görlitzer Park nachts verschlossen werden soll. Und auch die Liebe zwischen dem Regierenden Bürgermeister Kai Wegner und Bildungssenatorin Katharina Günther-Wünsch (beide CDU) war ein Thema. Beide räumten Anfang des Jahres ein, seit Herbst 2023 eine Beziehung zu haben, und stehen deshalb zusätzlich unter Beobachtung der Öffentlichkeit.
Aus bundespolitischer Sicht nur kleiner Stimmungstest
Doch zurück zur Wahl: Aus bundespolitischer Sicht ist sie wohl maximal als kleiner Stimmungstest zu werten, als Muster mit begrenztem Wert. Die Parteizentralen fokussieren sich eher auf die Europawahl am 9. Juni und auf die wichtigen Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg im September.
Möglich ist am Sonntag immerhin, dass sich in einigen der zwölf Berliner Wahlkreise andere Bewerber durchsetzen als 2021, etwa, weil sich die politische Großwetterlage seither geändert hat. Zittern müssen in ihren jeweiligen Wahlkreisen unter anderem der frühere Regierende Bürgermeister Michael Müller (SPD), SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert, der grüne Politiker Stefan Gelbhaar oder Ex-Kulturstaatsministerin Monika Grütters (CDU), die 2021 allesamt ein Direktmandat errangen. Wobei das Zittern nicht allzu stark ausfallen dürfte: Alle sind über gute Listenplätze abgesichert, bleiben also im Bundestag.
In etlichen anderen Wahlkreisen sind solche Wechsel beim Direktmandat schon rechnerisch gar nicht oder nur theoretisch möglich, weil dort nur an wenigen Standorten erneut gewählt wird. Relevanz könnte die Wahl 2024 allerdings für manche Abgeordnete haben, die 2021 nicht direkt, sondern über Parteilisten in den Bundestag kamen. Abhängig von Wahlbeteiligung und Ergebnissen der Parteien könnte es sein, dass Berliner Politiker auf weniger günstigen Listenplätzen ihr Mandat verlieren oder dieses sogar an 2021 erfolglose Kandidaten aus anderen Bundesländern geht - die in Berlin am Sonntag gar nicht antreten.
Einige Besonderheiten auf Stimmzetteln
Aber das sind noch lange nicht alle Besonderheiten. Grundsätzlich müssen dieselben Kandidaten antreten wie 2021. SPD-Mann Müller steht sogar weiter als Regierender Bürgermeister auf dem Stimmzettel. Das war er im September 2021 noch. Kurios mutet auch der Fall der früheren AfD-Bundestagsabgeordneten Birgit Malsack-Winkemann an. Sie kandidiert formell ebenfalls wieder, sitzt allerdings in Untersuchungshaft, nachdem sie Ende 2022 bei einer großangelegten Razzia festgenommen wurde. Die Bundesanwaltschaft wirft ihr Mitgliedschaft und Unterstützung einer (rechts-)terroristischen Vereinigung vor.
Andererseits wird die Wahl von 2021 eben doch nicht einfach wiederholt. So dürfen diesmal auch diejenigen wählen, die in der Zwischenzeit 18 Jahre alt geworden sind und damals noch kein Wahlrecht hatten. Und wer zum Beispiel aus Mainz oder München nach Berlin gezogen ist, darf sogar zum zweiten Mal nach 2021 seine Stimme abgeben, wenn in seinem jetzigen Wahlbezirk wieder gewählt wird.
Von Stefan Kruse und Andreas Heimann, dpa
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