Ausgetrockneter Stausee im spanischen Vilanova de Sau.
Emilio Morenatti/AP/dpa
Ausgetrockneter Stausee im spanischen Vilanova de Sau.
Ethikrat gibt Ratschläge

Wie die Erderwärmung gerecht bekämpft werden kann

Die Erde wird immer wärmer. Was tun - nicht mehr fliegen, Auto abschaffen? Das kann nicht die ganze Antwort sein, so der Ethikrat. Die Politik müsse die richtigen Rahmenbedingungen schaffen.

Der Deutsche Ethikrat sieht beim Kampf gegen die Erderwärmung zunächst den Staat in der Pflicht, aber auch jeden Einzelnen sowie Unternehmen und Organisationen. «Eine moralische Kritik an Entscheidungen im Bereich der privaten Lebensführung und des Konsums ist kein Ersatz für notwendige politische Maßnahmen», schreibt der Rat in einer in Berlin veröffentlichten Stellungnahme zum Thema Klimagerechtigkeit. 

Es bestünden «keine vernünftigen Zweifel mehr», dass die Erde sich durch menschlichen Einfluss und insbesondere die Verbrennung fossiler Energieträger erwärme, betont der Rat schon zu Beginn seiner fast 130 Seiten umfassenden Stellungnahme. «Eine ungebremste weitere Erderwärmung hätte katastrophale Folgen.»

Buyx: Gerechtigkeitsfragen zu wenig öffentlich diskutiert

Bei Fragen der Klimagerechtigkeit geht es darum, wie der Umgang mit dem Klimawandel möglichst gerecht zu gestalten ist - sowohl mit Blick auf die Folgen der Erderwärmung als auch auf die Kosten oder Belastungen, die Handeln dagegen mit sich bringen kann. Die Fragen, mit denen der Ethikrat sich befasst hat, skizzierte die Vorsitzende Alena Buyx so: «Wie kann man die Lasten, die auf uns alle zukommen, möglichst gerecht verteilen? Wer hat dabei wofür die Verantwortung? Und wie schaffen wir das, ohne dass uns allen dabei die Puste ausgeht?» Die Debatten um das Thema seien belastend. «Aber es ist lösbar.»

Der Deutschen Presse-Agentur in Berlin sagte Buyx: «Im besten Fall wird der Bericht bewirken, dass ein Bewusstsein dafür entsteht, dass viele Probleme im Umgang mit dem Klimawandel daher kommen, dass es um Gerechtigkeitsfragen geht.» Das werde bislang zu wenig thematisiert. «Manche Maßnahmen gegen den Klimawandel belasten Geringverdiener stark, die am wenigsten klimaschädliche Emissionen produzieren. Und das ist ungerecht. Es ist gar nicht erstaunlich, wenn es dann Abwehr gibt.» 

Mindestvoraussetzungen für gutes Leben

Die Lasten und Pflichten bei der Bewältigung des Klimawandels sollten so verteilt werden, «dass möglichst alle Menschen jetzt und in Zukunft die Mindestvoraussetzungen für ein gutes, gelingendes Leben erreichen können», sagte Ratsmitglied Kerstin Schlögl-Flierl. «Dafür dürfen Schwellenwerte für wichtige Grundgüter wie etwa Gesundheit, Ernährung, Wasser, Sicherheit oder Mobilität nicht unterschritten werden.»

Gerechtigkeitsfragen stellen sich aus Sicht des Ethikrats innerhalb von Gesellschaften, international und zwischen den Generationen. Gerade besonders stark vom Klimawandel Betroffene seien kaum oder gar nicht in Entscheidungen über den Umgang damit eingebunden. «Ansonsten geht unsere heutige Freiheit ungerechterweise auf Kosten der Freiheit anderer schlechter gestellter Menschen bei uns im Land, Ländern im globalen Süden oder auch auf Kosten der jungen und zukünftigen Generationen», erklärte Ratsmitglied Armin Grunwald.

Gegen Erwartungen an «moralisches Heldentum»

Verbote bestimmter Produkte oder Dienstleistungen hält der Rat für eine der schlechteren Möglichkeiten. «Wir schlagen keine konkreten Verbote vor, auch deswegen, weil wir sehr darauf hinweisen, dass Verbote ja das Individuum am meisten betreffen», sagte Buyx. Dem Rat geht es eher um politische Entscheidungen und Rahmenbedingungen. 

«Es ist unangemessen, von staatlicher Seite bei den Menschen emissionsärmeren Lebensstil und Konsum zu erwarten, solange innerhalb der vom selben Staat gewollten und unterstützten Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung die Voraussetzungen dafür nicht erfüllt sind», schreibt der Rat. «Emissionsärmeres Handeln erfordert in vielen Feldern immer noch die Inkaufnahme von Opfern, Nachteilen, möglicherweise gar ein "moralisches Heldentum", gerade von finanziell Schlechtergestellten.» Das sei ungerecht und nicht hilfreich. Grunwald sagte, auf dem Land kommen man vielerorts ohne Auto schlecht zurecht.

Das entbinde aber nicht von «einer individuellen moralischen Mitwirkungspflicht», so der Rat. Man solle über «das persönliche Verhalten, die eigene Lebensweise und das eigene zivilgesellschaftliche Engagement» auch unabhängig von staatlichen Vorgaben nachdenken. 

Der Ethikrat warnt davor, sich allzu sehr auf Techniken etwa zur unterirdischen CO2-Speicherung (CCS) zu verlassen und dabei weniger gegen die Erderwärmung zu tun. «Wir haben in der Tat in der technischen Zivilisation so eine Neigung, ein Problem zu lösen mit Technik, und die Nebenfolgen der Technik kommen dann später», sagte Grunwald mit Blick auf mögliche Risiken. 

Sondervotum und Kritik

Drei Mitglieder distanzierten sich mit einem Sondervotum teilweise von den Schlussfolgerungen des Rats. Dieser berücksichtige zu wenig die Rolle von Innovationen, bleibe in seiner Argumentation teils zu vage und müsse sich einen «überschießenden und tendenziell illiberalen Moralismus» vorwerfen lassen, wenn er einzelnen Bürgern «eine moralische Mitwirkungspflicht» auferlege, sich gesellschaftlich gegen den Klimawandel zu engagieren. Der Ethikrat fordere weitreichende Maßnahmen gegen den Klimawandel, obwohl deren Erfolgsaussichten unklar blieben. «Zeitdruck macht eine ineffektive Maßnahme nicht zu einer effektiven.» 

Grunwald hingegen betonte: «Es wäre geradezu unverantwortlich, auf nationale und europäische Klimaschutzmaßnahmen nur deshalb zu verzichten, weil die weltweite Umsetzung entsprechender Maßnahmen zur Begrenzung der Erderwärmung noch nicht gesichert erscheint.» Seine Kollegin Kerstin Schlögl-Flierl warnte: «Sich nur auf die anderen zu verlassen, führt letztendlich dazu, dass niemand etwas tut.»

Der Deutsche Ethikrat ist ein unabhängiges, derzeit 24-köpfiges Gremium, das die Bundesregierung und den Bundestag berät und gesellschaftliche Diskussionen fördern soll. Er befasst sich mit ethischen, gesellschaftlichen, naturwissenschaftlichen, medizinischen und rechtlichen Fragen. Die Mitglieder kommen aus der Wissenschaft und von Verbänden.  

Von Martina Herzog, dpa
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