Von der Leyen droht Scheitern bei Ziel für Frauenquote
Ursula von der Leyen will in ihrem neuen Team eigentlich nicht weniger Frauen als Männer haben. Die entscheidenden Regierungen der Mitgliedstaaten spielen allerdings nicht mit.
Ursula von der Leyen will in ihrem neuen Team eigentlich nicht weniger Frauen als Männer haben. Die entscheidenden Regierungen der Mitgliedstaaten spielen allerdings nicht mit.
EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen droht wegen mangelnder Kooperation von Mitgliedstaaten ein Scheitern ihrer Pläne für ein ausgewogenes Geschlechterverhältnis in ihrem neuen Führungsteam. Kurz vor Ablauf der Nominierungsfrist hatten nach Recherchen der Deutschen Presse-Agentur am Freitag deutlich mehr als die Hälfte der Regierungen lediglich einen männlichen Kandidaten für das Kollegium der Kommissare vorgeschlagen. Dieses soll wie bisher aus 27 Mitgliedern bestehen, wobei jeder Mitgliedstaat ein Kommissionsmitglied benennen darf und von der Leyen und die bereits nominierte Außenbeauftragte Kaja Kallas mitgezählt werden.
Wenn sich an den Nominierungen nicht mehr viel ändert, könnte das neue Kollegium am Ende zu rund zwei Dritteln aus Männern bestehen. Derzeit sind immerhin 12 der 27 Kommissionsmitglieder weiblich. Der Führung der EU-Kommission sind rund 32.000 Mitarbeiter unterstellt, die unter anderem Vorschläge für neue EU-Gesetze machen und die Wahrung der Europäischen Verträge überwachen.
Hauptstädte ignorieren Wunsch der Deutschen
Die im Juli wiedergewählte Präsidentin von der Leyen hatte die Staats- und Regierungschefs der EU-Staaten darum gebeten, sowohl einen Mann als auch eine Frau zu nominieren, um ein ausgeglichenes Geschlechtergleichgewicht in der Kommission zu ermöglichen. Ausgenommen von dieser Bitte waren eigentlich nur diejenigen Regierungen, die einen derzeit amtierenden Kommissar erneut nominieren.
Dies haben beispielsweise Frankreich, Ungarn und Lettland gemacht. So schickt Paris den derzeitigen Binnenmarktkommissar Thierry Breton ins Rennen, Ungarn Erweiterungskommissar Oliver Varhelyi und Lettland den derzeit für Handelsfragen zuständigen Valdis Dombrovskis.
Etliche andere Staaten ignorierten die Bitte von der Leyens einfach und erklärten dies beispielsweise mit ihren Nominierungen in der Vergangenheit. Die dänische Ministerpräsidentin Mette Frederiksen argumentierte, man müsse sich nicht dafür schämen, keine Frau nominiert zu haben. Dänemark sei viele Jahre lang von Margrethe Vestager in der Kommission vertreten worden.
Am Freitag kündigte kurz vor Fristablauf auch noch Italien an, mit Europaminister Raffaele Fitto einen Mann ausgewählt zu haben. Unklar war damit nur noch die Nominierung Belgiens. Einen öffentlichen Vorschlag für einen Mann und eine Frau machte lediglich Bulgarien. Das Land teilte am Freitag mit, Ex-Außenministerin Ekaterina Sachariewa und Ex-Umweltminister Julian Popow zu nominieren.
Geschlechtergleichgewicht kann nicht eingeklagt werden
Für von der Leyen ist das Verhalten der Mitgliedstaaten ärgerlich, ihr sind aber letztlich die Hände gebunden. Grund ist, dass die Regierungen rechtlich nicht verpflichtet sind, ihrer Aufforderung Folge zu leisten, sowohl einen Mann als auch eine Frau zu nominieren. Im EU-Vertrag ist lediglich festgehalten, dass in der Kommission «das demografische und geografische Spektrum der Gesamtheit der Mitgliedstaaten» zum Ausdruck kommen soll. Von Geschlechterparität ist explizit nicht die Rede.
Die Auswahl von Kommissarinnen und Kommissaren für die neue EU-Kommission ist der letzte große Schritt zur Neubesetzung von politischen Spitzenpositionen nach der Europawahl im Juni. Von der Leyen selbst war bereits kurz danach von den Staats- und Regierungschef der EU-Staaten für eine zweite Amtszeit als Präsidentin der mächtigen Behörde nominiert und vom Europaparlament gewählt worden. Sie muss nun die Nominierungen der Regierungen für die Kommissarsposten entgegennehmen und dann eine Aufgabenverteilung vornehmen.
Theoretisch kann sie so auch noch Druck auf Mitgliedstaaten ausüben, doch noch eine Frau zu nominieren. Denn auch wenn die Kommissionsmitglieder ihre Aufgaben unabhängig von der Politik ihrer Heimatländer ausüben müssen, haben Regierungen in der Regel ein Interesse daran, mit ihrem Kandidaten ein wichtiges Ressort zu besetzen. Als besonders einflussreich gelten etwa die für Finanzen, Wirtschaft und Wettbewerb zuständigen Kommissionsvertreter.
Mögliche Angebote an Mitgliedstaaten
Die Zeitung «Times of Malta» berichtete so diese Woche, dass von der Leyen Malta vorgeschlagen habe, statt dem früheren Bürochef des Regierungschefs die aktuelle maltesische Kommissarin Helena Dalli erneut zu nominieren. Im Gegenzug könnte diese ein attraktiveres Ressort bekommen, als es Glenn Micallef bekommen würde.
Von der Leyen selbst will sich zu Details des laufenden Auswahlverfahrens vorerst nicht äußern. Ihre Sprecher lassen lediglich wissen, dass die frühere deutsche Verteidigungsministerin mit den nominierten Personen Gespräche führe und den Auserwählten dann vermutlich bis zum 11. September Aufgabenbereiche zuordnen werde. Erstmals soll es beispielsweise auch Kommissare für Themen wie Verteidigung und Wohnen geben.
Droht ein Reputationsschaden?
Der italienische EU-Recht-Experte Alberto Alemanno warnte zuletzt, dass ein von Männern dominiertes Kollegium eine Schwächung der Autorität der Präsidentin der EU-Kommission bedeuten würde. Er rief von der Leyen auf, den nationalen Hauptstädten ihre Unzufriedenheit deutlich zu machen und sie zu bitten, schnellstmöglich eine neue Kandidatenliste aufzustellen, um ihren eigenen Reputationsschaden und den der gesamten EU zu begrenzen.
Nach Einschätzung des Professors könnte es sonst auch dazu kommen, dass schwache männliche Kommissarsanwärter im Europäischen Parlament nicht die notwendige Zustimmung bekommen. Das hätte zur Folge, dass die Regierungen, die sie nominiert haben, einen neuen Kandidaten oder eine neue Kandidatin benennen müssten. Der Beginn der Amtszeit der neuen Kommission könnte sich dann in einer geopolitischen wichtigen Zeit hinauszögern. Eigentlich soll das neue Team von Ursula von der Leyen zum 1. November seine Arbeit aufnehmen - also kurz vor der Präsidentschaftswahl in den USA.
Von Ansgar Haase, dpa
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