Bei Drohnenangriffen in Jordanien starben drei US-Soldaten. Die USA reagierte laut Medienberichten nun mit Gegenschlägen auf Irak und Syrien.
Alex Brandon/AP/dpa
Bei Drohnenangriffen in Jordanien starben drei US-Soldaten. Die USA reagierte laut Medienberichten nun mit Gegenschlägen auf Irak und Syrien.
Dosierte Vergeltung

US-Militärschläge gegen Milizen im Nahen Osten

Nach dem Tod von drei US-Soldaten im Nahen Osten holen die Amerikaner zu einem großen Vergeltungsschlag gegen proiranische Milizen aus. Weitere sollen folgen. Droht am Ende ein Krieg mit dem Iran?

Tagelang ließen die USA mit ihrer angekündigten Vergeltung auf sich warten. In der Nacht zum Samstag schlug das US-Militär dann zu. 30 Minuten lang feuerten amerikanische Streitkräfte nach eigenen Angaben aus der Luft auf mehr als 85 Ziele an 7 Standorten im Irak und Syrien: auf Kommandozentralen, Geheimdienststandorte und Waffenlager, die demnach von der iranischen Revolutionsgarde (IRGC) und mit ihnen verbundenen Milizen genutzt wurden. Die Serie an Luftschlägen bedeutet eine neue Eskalation im Nahen Osten - auch wenn die Amerikaner bewusst darauf verzichteten, Ziele im Iran selbst anzugreifen. Doch US-Präsident Joe Biden macht klar: Dies ist nur der Anfang. 

Die Rache der Amerikaner

Am vergangenen Sonntag waren bei einem Drohnenangriff proiranischer Milizen in Jordanien drei amerikanische Soldaten getötet und zahlreiche weitere verletzt worden. Am Freitag wurden die Leichname in die USA überführt. Auf dem US-Luftwaffenstützpunkt Dover im Bundesstaat Delaware erwies Biden ihnen die letzte Ehre. Knapp zwei Stunden später begannen Tausende Kilometer entfernt die Luftschläge im Irak und in Syrien. Das US-Militär betonte, das Timing sei Zufall. Der Zeitpunkt der Luftschläge habe sich allein nach militärischen Überlegungen gerichtet - nach günstigen Wetterbedingungen. 

Biden hatte direkt nach der Attacke in Jordanien mit Vergeltung gedroht, sich mit dem Wie und Wo aber Zeit gelassen. Er stand vor der schwierigen Aufgabe, eine Balance zu finden: Die von Teheran unterstützten Kräfte in der Region abzuschrecken, ohne dabei noch härtere Reaktionen zu provozieren; Stärke zu demonstrieren und möglichst den Tod weiterer US-Soldaten zu verhindern, ohne die Lage im Nahen Osten komplett zu eskalieren und einen Krieg mit dem Iran zu riskieren. Ob ihm der Balanceakt gelungen ist, muss sich zeigen.

Aktivisten und Regierung: 45 Tote durch US-Angriffe

Bei den US-Luftangriffen auf Dutzende Ziele proiranischer Milizen im Irak und in Syrien sind laut Aktivisten und offiziellen Angaben mindestens 45 Menschen getötet worden. Unter den 16 Todesopfern im Irak seien auch Zivilisten, teilte ein Regierungssprecher in Bagdad am Samstag mit. Eine Zahl nannte er nicht. Zudem habe es 36 Verletzte gegeben sowie Schäden an Wohngebäuden und an Privatbesitz. Der syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte mit Sitz in London zufolge wurden in Syrien mindestens 29 Mitglieder proiranischer Milizen getötet.

Das syrische Verteidigungsministerium erklärte, die Angriffe seien «ein Versuch, die Fähigkeiten der syrischen Armee und ihrer Alliierten beim Kampf gegen Terrorismus» zu schwächen. Die «US-Aggression» habe mehrere Zivilisten und Militärangehörige getötet und schwere Schäden verursacht, teilte das Ministerium der Staatsagentur Sana zufolge mit. In der vom US-Militär angegriffenen Gegend laufe der Kampf gegen die Terrormiliz Islamischer Staat (IS), hieß es.

Die Gefahr eines neuen Krieges

Dass die Angriffe proiranischer Gruppen nach der Militäraktion der USA ganz aufhören könnten, ist unwahrscheinlich. Gefährlich werden könnte es besonders dann, wenn durch eine weitere Attacke von Milizen - vielleicht auch durch schlechte Planung und Ausführung - weitere US-Soldaten getötet würden. Dann wäre im nächsten Schritt ein direkter Angriff auf Irans Revolutionswächter denkbar - und damit eine dramatische Ausweitung des Konflikts.  

Der Iran und die USA standen in der Vergangenheit immer wieder am Rande eines Krieges. Im Januar 2020 - unter dem damaligen Präsidenten Donald Trump - töteten die USA den mächtigen iranischen General Ghassem Soleimani sowie den irakischen Milizenführer Abu Mahdi Al-Muhandis bei einem Drohnenangriff in Bagdad. Es folgten Wochen militärischer Spannungen. Je tiefer die USA nun in die neuen Konfrontationen mit dem Iran und dessen Verbündeten gezogen werden, desto größer ist die Gefahr, dass diese eine Eigendynamik entwickeln - unabhängig vom Gaza-Krieg, auch wenn dieser der Auslöser war.

EU-Chefdiplomat warnt nach US-Angriffen vor Eskalation

Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell hat nach den US-Vergeltungsschlägen vor einer weiteren Zuspitzung der Spannungen gewarnt. Der Nahe Osten sei ein «Kessel, der explodieren» könne, sagte der Spanier am Samstag am Rande eines informellen EU-Außenministertreffens in Brüssel. Man rufe alle Beteiligten auf, sich darum zu bemühen, eine Eskalation zu vermeiden.

Die Eskalationsspirale

Seit dem Beginn des Gaza-Krieges zwischen Israel und der islamistischen Hamas im Oktober artet die Lage im Nahen Osten zunehmend aus. Während Israel die Hamas im Gazastreifen bekämpft, kommt es in der israelisch-libanesischen Grenzregion fast täglich zu Angriffen zwischen Israel und der Hisbollah. Gleichzeitig tyrannisiert die jemenitische Huthi-Miliz aus Solidarität mit der Hamas die internationale Container-Schifffahrt im Roten Meer. Alle drei Gruppen - Hamas, Hisbollah und Huthi - sind eng mit dem Iran verbunden. Und der Gaza-Krieg wird mehr und mehr zu einem Schattenkonflikt nicht nur zwischen Israel und dessen Erzfeind Iran, sondern auch zwischen Washington und Teheran. 

Die USA - als engster Verbündeter Israels - gerieten in den vergangenen Wochen selbst verschärft ins Visier proiranischer Milizen. Die Attacke in Jordanien war nur der vorläufige Höhepunkt einer ganzen Serie von Anschlägen auf amerikanische Ziele in der Region. Seit dem Beginn des Gaza-Krieges gab es mehr als 160 Attacken auf US-Kräfte im Irak und Syrien. Die USA reagierten bereits zuvor mit Luftschlägen in beiden Ländern. Doch mit dem Tod der drei Soldaten in Jordanien nahe der syrischen Grenze wurde eine neue Dimension erreicht. Biden stand unter großem Druck, nun härter als zuvor zurückzuschlagen. 

Druck auf Biden in der Heimat

Der Demokrat steckt mitten im Wahlkampf für eine zweite Amtszeit. Republikaner - allen voran Bidens Amtsvorgänger und voraussichtlicher Herausforderer bei der nächsten Präsidentenwahl im November, Donald Trump - warfen dem Präsidenten zuletzt Schwäche vor und forderten ihn auf, endlich durchzugreifen. Scharfmacher wie der republikanische Senator Lindsey Graham verlangten sogar einen US-Angriff auf iranischem Boden. Das wäre der drastischste und wohl folgenreichste Schritt gewesen. Biden entschied sich dagegen.

Rache auf Raten

Allerdings macht er klar, dass noch mehr kommen wird. «Unsere Reaktion hat heute begonnen. Sie wird fortgesetzt zu Zeiten und an Orten unserer Wahl», erklärte er nach den Luftschlägen im Irak und Syrien. Hochrangige US-Regierungsvertreter hatten bereits vorab angekündigt, die Vergeltung werde in mehreren Schritten über einen gewissen Zeitraum hinweg erfolgen. Wann, wo und wie die Amerikaner als nächstes zuschlagen, dürfte auch davon abhängen, was der Iran und dessen verbündete Milizen nun tun. 

«Die Vereinigten Staaten streben keinen Konflikt im Nahen Osten oder irgendwo sonst in der Welt an», betonte Biden. «Aber all jene, die uns Schaden zufügen wollen, sollen dies wissen: Wenn Sie einem Amerikaner Schaden zufügen, werden wir darauf reagieren.»

US-Außenminister Antony Blinken bezeichnete die Lage im Nahen Osten vor wenigen Tagen als so gefährlich wie seit einem halben Jahrhundert nicht mehr. Der US-Regierung ist es trotz atemloser Diplomatie und diverser Militäraktionen gegen die Huthi und andere proiranische Gruppen in der Region nicht gelungen, die Spannungen einzudämmen. Im Gegenteil. Mit jeder neuen Eskalation wächst die Sorge, dass ein Flächenbrand in der Region nicht mehr abzuwenden ist. Bidens Regierung wiederholt zwar seit Wochen, die USA wollten keine Ausweitung des Konflikts und vor allem keinen Krieg mit dem Iran. Doch die Gefahr ist da. 

Von Christiane Jacke und Johannes Sadek, dpa
© dpa-infocom, dpa:240203-99-854103/6
Copyright 2024, dpa (www.dpa.de). Alle Rechte vorbehalten