Bundeskanzler Olaf Scholz empfängt Frankreichs Präsident Emmanuel Macron im November 2023 in Berlin.
Kay Nietfeld/dpa
Bundeskanzler Olaf Scholz empfängt Frankreichs Präsident Emmanuel Macron im November 2023 in Berlin.
Fragen & Antworten

Ukraine-Hilfe: Scholz und Macron nicht im Gleichschritt

Wohin marschiert Europa bei der Unterstützung der Ukraine? Und wer gibt die Marschrichtung vor? Die beiden mächtigsten Staatenlenker in der EU sind sich uneins. Das könnte zum Problem werden.

Eigentlich sollte von dem Treffen europäischer Staats-und Regierungschefs am Montagabend in Paris ein Signal der Einigkeit und unverrückbaren Solidarität mit der Ukraine ausgehen. Was am Ende hängen blieb, sind massive Irritationen. Der Grund: Eine Äußerung des französischen Präsidenten Emmanuel Macron, der einen Einsatz westlicher Bodentruppen im Abwehrkampf der Ukraine gegen Russland auf einmal als Option auf den Tisch legte: «In der Dynamik darf nichts ausgeschlossen werden. Wir werden alles tun, was nötig ist, damit Russland diesen Krieg nicht gewinnen kann», sagte er. Es dauerte nicht lange, bis Macron heftigen Widerspruch erntete - vor allem aus Deutschland.  

Was bezweckt Macron mit seinem Vorstoß?

Frankreich sah sich zuletzt verstärkt dem Vorwurf ausgesetzt, trotz seiner Größe und militärischen Stärke die Ukraine nur vergleichsweise bescheiden zu unterstützen. Bisher lieferte Frankreich weder Panzer noch Kampfjets. Während Deutschland seine in zwei Jahren geleistete oder zugesagte Militärhilfe auf 28 Milliarden Euro beziffert, spricht Macron für sein Land für dieses Jahr nur von drei Milliarden Euro. Wenn der Präsident nun Bodentruppen ins Gespräch bringt, sieht das nach einer Flucht nach vorne aus. Schon dass er das Ukraine-Treffen in Paris ausrichtete, kann so gewertet werden. Ein Präsidentenberater hatte vor der Pariser Hilfskonferenz betont, Macron habe die Führung in dieser Frage inne. 

Nimmt Scholz nicht auch eine Führungsrolle in Anspruch?

In Deutschland wird das ganz anders gesehen. Scholz hat Anfang des Jahres eine Initiative gestartet, um die europäischen Verbündeten zu mehr Militärhilfe zu bewegen. Hintergrund ist die Blockade weiterer Ukraine-Hilfen im US-Kongress. Die Befürchtung des Kanzlers: Wenn die US-Hilfe wegfällt, könnte der ohnehin schon schleppende Nachschub für die Ukraine mit Waffen und Munition zusammenbrechen. Die USA sind der größte Waffenlieferant der Ukraine, Deutschland die Nummer zwei. Scholz' Vorstoß zielte auf die anderen großen europäischen Volkswirtschaften - allen voran Frankreich. In Paris kam das nicht gut an.  

Was würde der Einsatz von Bodentruppen bedeuten?

Aus Scholz' Sicht würde das eine direkte Beteiligung am Krieg gegen Russland bedeuten. In Paris wird das anders gesehen. Außenminister Stéphane Séjourné sagte am Dienstag in der Nationalversammlung, er denke bei der Entsendung von Soldaten vor allem an Cyberabwehr, die Produktion von Waffen in der Ukraine und die Minenräumung. «Einige dieser Handlungen könnten eine Präsenz auf ukrainischem Territorium erforderlich machen, ohne die Schwelle zur kriegsführenden Macht zu erreichen», sagte er.   

Wie steht Deutschland zum Einsatz von Bodentruppen? 

Scholz hat gleich nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine und nach seiner Zusage von Waffenlieferungen an Kiew eine ganz klare rote Linie an einer anderen Stelle gezogen: Keine deutschen Soldaten in die Ukraine, keine Kriegsbeteiligung. Diese Position bekräftigte er am Dienstag nur wenige Stunden nach Macrons Äußerung - und zwar nicht nur für Deutschland. Man habe sich in Paris auch für die Zukunft einhellig darauf verständigt, «dass es keine Bodentruppen, keine Soldaten auf ukrainischem Boden geben wird, die von europäischen Staaten oder von Nato-Staaten dort hingeschickt werden». Aus seiner Sicht dürfen auch Soldaten außerhalb der Ukraine nicht ins Kriegsgeschehen eingreifen. Das wäre zum Beispiel durch die Programmierung von Lenkflugkörpern oder die Steuerung von Drohnen möglich. 

Gibt es andere Nato-Verbündete, die den Einsatz von Bodentruppen in Erwägung ziehen?

Wenige Stunden vor dem Treffen in Paris hat der linksnationale slowakische Ministerpräsident Robert Fico in alarmierten Tönen vor einer «gefährlichen Eskalation der Spannungen» mit Russland gewarnt. Es gebe Länder, die offenbar zur Entsendung eigener Soldaten in die Ukraine bereit seien. Das brachte die Diskussion ins Rollen. Wen er meint, sagte Fico allerdings nicht. Die baltischen Staaten und Polen haben seit Kriegsbeginn am stärksten auf möglichst weitreichende Unterstützung der Ukraine gedrungen. Polens Präsident Andrzej Duda bleib nach dem Treffen im Élysée-Palast aber zurückhaltend. «Die leidenschaftlichste Diskussion drehte sich um die Frage einer Entsendung von Truppen in die Ukraine, und auch hier gab es absolut keine Einigung», sagte er. «Die Meinungen sind unterschiedlich», fügte er hinzu. Und: «Es gab keine Begeisterung.» 

Findet denn niemand den Vorstoß Macrons gut?

Aus den baltischen Staaten kam die einzige wohlwollende Reaktion und sogar eine konkrete Idee. Litauens Verteidigungsminister Arvydas Anusauskas sagte, er könne sich die Entsendung von Soldaten zu Ausbildungszwecken vorstellen, aber nicht für eine Beteiligung an Kampfhandlungen. 

Auf welche Unterstützung der Ukraine haben sich die Teilnehmer der Pariser Konferenz denn verständigt?

Bei dem Treffen ist laut Macron die Bildung einer Koalition beschlossen worden, die die Ukraine mit Raketen und Bomben mittlerer und längerer Reichweite für Schläge weit hinter die russischen Linien versorgen soll. Diese Koalition soll die bereits bestehenden Bündnisse ergänzen, in denen sich verschiedene Länder für bestimmte Waffengattungen zur Unterstützung der Ukraine zusammengeschlossen haben, Deutschland und Frankreich etwa im Bereich der Artillerie. Frankreich habe der Ukraine bereits etliche der für solche Tiefenschläge konzipierten Marschflugkörper vom Typ Scalp geliefert, betonte Macron. «Wir werden diese Koalition ab heute Abend organisieren, um alle Willigen und Staaten zu mobilisieren, die über Kapazitäten verfügen, die mit der Lieferung neuer Ausrüstung begonnen haben oder bereit sind, diese zu liefern.»

Welche Rolle kann Deutschland dabei haben? 

Auch das ist ein schwieriges Thema zwischen Deutschland und Frankreich. Paris liefert seit längerer Zeit seine Scalp-Raketen mit einer Reichweite von gut 250 Kilometern. Die Ukraine wünscht sich auch die leistungsfähigeren deutschen Marschflugkörper vom Typ Taurus. Scholz ist aber nicht bereit sie zu liefern. Der Grund ist letztlich derselbe wie bei den Bodentruppen: Er will eine deutsche Kriegsbeteiligung vermeiden.

Warum könnte die Lieferung von Taurus zu einer deutschen Kriegsbeteiligung führen?  

Die Raketen haben eine Reichweite von 500 Kilometern und könnten damit von der Ukraine aus theoretisch auch den Kreml in Moskau treffen. Sollten die Marschflugkörper russisches Territorium erreichen, wäre Deutschland aus Sicht des Kanzlers Teil des Kriegsgeschehens. Um das auszuschließen, müsste die Kontrolle über die Zielerfassung in deutscher Hand bleiben. Das bedeutet: Deutsche Soldaten müssten die Raketen programmieren - von Deutschland aus oder in der Ukraine. Das wiederum würde nach der Lesart des Kanzlers ebenfalls eine deutsche Beteiligung an dem Krieg bedeuten. «Deutsche Soldaten dürfen an keiner Stelle und an keinem Ort mit den Zielen, die dieses System erreicht, verknüpft sein. Auch nicht in Deutschland», sagte Scholz am Montag bei einer Veranstaltung der dpa in Berlin. 

Ginge es irgendwie auch ohne deutsche Soldaten?  

Im Prinzip schon. Nach Herstellerangaben stützt der Taurus seinen Zielanflug «im anspruchsvollen Konturenflug» - also in Deckung dem Geländeprofil folgend - im Wesentlichen auf mehrere Navigationssensoren. Die Programmierung könnte auf deutscher Seite nicht nur von der Bundeswehr, sondern auch von der Rüstungsindustrie vorgenommen werden. Grundsätzlich können auch Ukrainer dazu befähigt werden, wenn man darauf vertrauen kann, dass abgesprochene Grenzen eingehalten werden. Eine geografische Begrenzung («geofencing») sei machbar, aber nicht sicher unumkehrbar, sagte ein Militärexperte der dpa. Und Beschränkungen könnten schnell das militärische Kernziel der Waffe, die Zerstörung von entfernten Kommandoposten und Nachschubwegen, aushebeln.

Von Michael Fischer, Carsten Hoffmann und Michael Evers, dpa
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