Auf das «Statement von Lehrenden an Berliner Universitäten» hatte Stark-Watzinger entsetzt reagiert.
Michael Kappeler/dpa
Auf das «Statement von Lehrenden an Berliner Universitäten» hatte Stark-Watzinger entsetzt reagiert.
Bildungsministerin

Stark-Watzinger lehnt Rücktritt in Fördergeld-Affäre ab

Wegen belastender Mails nach Uni-Protesten gegen den Gaza-Krieg schickt die Bildungsministerin ihre Staatssekretärin in den Ruhestand. Einen Rücktritt lehnt sie ab. Kritiker sprechen von einem «Bauernopfer».

Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger hat Forderungen nach einem Rücktritt im Zusammenhang mit einer Fördergeld-Affäre zurückgewiesen. «Dazu sehe ich keine Veranlassung», sagte die FDP-Politikerin vor Journalisten in Berlin. «Ich habe den betreffenden Auftrag, förderrechtliche Konsequenzen prüfen zu lassen, nicht erteilt und auch nicht gewollt», sagte die Ministerin. Zu weiteren Hintergründen äußerte sie sich trotz mehrfacher kritischer Nachfragen nicht. Aus der Union hatte es zuvor scharfe Kritik an Stark-Watzinger und auch eine Rücktrittsforderung gegeben. Wissenschaftler sehen das Vertrauen zu ihr erschüttert.

Die Geschichte ist komplex, reicht einige Wochen zurück und hatte am Sonntagabend ihren vorläufigen Höhepunkt, als Stark-Watzinger bekanntgab, sich von ihrer Staatssekretärin Sabine Döring zu trennen. Es sei ein personeller Neuanfang nötig, schrieb sie in einer Mitteilung. Staatssekretäre sind nach den Ministern die ranghöchsten Beamten in Ministerien. Das Bundesbildungsministerium hat vier davon. Der Rauswurf war eine Konsequenz aus dem Umgang im Ministerium mit einem offenen Brief von Hochschullehrern zum Nahost-Konflikt.

Kontroverse um Berliner Protestbrief nach Räumung von Camp

Die Affäre steht im Kontext der gesellschaftlichen Kontroverse, die sich nach dem Terrorangriff der Hamas am 7. Oktober und im Zuge des folgenden Gaza-Krieges auch in Deutschland entwickelte. An Universitäten kam es zu Protesten. Im Mai hatten mehr als 100 Dozenten mehrerer Berliner Hochschulen einen offenen Brief geschrieben und darin die Räumung eines Protestcamps propalästinensischer Demonstranten an der Freien Universität Berlin kritisiert. «Unabhängig davon, ob wir mit den konkreten Forderungen des Protestcamps einverstanden sind, stellen wir uns vor unsere Studierenden und verteidigen ihr Recht auf friedlichen Protest, das auch die Besetzung von Uni-Gelände einschließt», schrieben sie.

Stark-Watzinger hatte das Schreiben kritisiert und ist nach eigener Aussage «bis heute fassungslos, wie einseitig in diesem Brief der Terror der Hamas ausgeblendet wurde. Und wie dort etwa pauschal gefordert wurde, Straftaten an den Universitäten nicht zu verfolgen, während gleichzeitig antisemitische Volksverhetzung und gewalttätige Übergriffe gegen jüdische Mitbürgerinnen und Mitbürger zu beobachten sind», wie sie am Sonntagabend schrieb. Über die Haltung der Ministerin und die der Hochschullehrer, die den Brief gezeichnet hatten, wird seit Wochen vor allem in sozialen Netzwerken kontrovers diskutiert.

E-Mails belasten Ministerin

Die Ministerin geriet nun selbst in den Fokus, nachdem das ARD-Magazin «Panorama» in der vergangenen Woche E-Mails veröffentlichte, aus denen hervorging, dass jemand an hoher Stelle im Ministerium um Prüfung gebeten hatte, inwieweit Aussagen im Protestbrief der Berliner Hochschullehrer strafrechtlich relevant sind und ob das Ministerium als Konsequenz Fördermittel streichen könnte. Aus dem Mailwechsel ergibt sich dem Bericht zufolge, dass Mitarbeiter des Ministeriums Bedenken gegen eine solche Prüfung äußerten. Aber schon solche Erwägungen sind nach Ansicht von Kritikern ein Eingriff in die vom Grundgesetz garantierte Freiheit der Wissenschaft. 

Stark-Watzinger äußerte sich lange nicht zum Thema und teilte dann am Sonntagabend mit, dass es tatsächlich eine solche Prüfbitte bei den zuständigen Fachreferaten ihres Ministeriums gab und dass dieser Prüfauftrag von Staatssekretärin Döring veranlasst worden sei. Als Konsequenz muss diese jetzt ihren Posten räumen. Nach eigenen Angaben erfuhr Stark-Watzinger von der betreffenden E-Mail mit der Prüfbitte erst am vergangenen Dienstag. «Ich verteidige die Wissenschaftsfreiheit in jede Richtung. Wissenschaftsförderung erfolgt nach wissenschaftlichen Kriterien, nicht nach politischer Weltanschauung. Das ist ein Kernprinzip der Wissenschaftsfreiheit», teilte sie mit. 

Prien spricht von «Bauernopfer»

Diskutiert wird darüber, ob die Entlassung Dörings für die Ministerin ein Befreiungsschlag sein kann und ob sie wirklich nicht in die Vorgänge rund um die betreffende E-Mail eingebunden war. Schleswig-Holsteins Bildungsministerin und CDU-Vize Karin Prien – die Stark-Watzinger auch bei anderen Themen immer wieder hart kritisiert – schrieb bei X, Staatssekretärin Döring werde «zum Bauernopfer gemacht», damit zeige sich Politik von ihrer hässlichen Seite. Der bildungspolitische Sprecher der CDU/CSU-Fraktion, Thomas Jarzombek erklärte, Stark-Watzinger habe recht, dass ein personeller Neuanfang im Ministerium notwendig sei. «Sie muss diesen Schritt jetzt selbst vollziehen», forderte er. 

Der Präsident des Deutschen Hochschulverbands, Lambert Koch, sagte der «Rheinischen Post»: «Dass ihre Staatssekretärin in einer politisch so sensiblen Angelegenheit ohne ihr Wissen einen Prüfauftrag vergibt, ist wenig glaubwürdig.» Das Vertrauen zu Stark-Watzinger innerhalb der Wissenschaft sei erschüttert.

Koalitionspartner SPD und Grüne halten sich mit offener Kritik zurück

Die Koalitionspartner SPD und Grüne verzichteten auf offene Kritik an der FDP-Ministerin. «Es ist gut, dass Bundesministerin Stark-Watzinger jetzt aufklärt und schwerwiegende Konsequenzen zieht», sagte der bildungspolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion Oliver Kaczmarek. Nun müsse verloren gegangenes Vertrauen zurückerkämpft und sichergestellt werden, dass sich solche Vorgänge nicht wiederholten. Ähnlich äußerte sich der Vorsitzende des Bundestagbildungsausschusses, Kai Gehring (Grüne). Es sei wichtig, dass sich die Spitze des Hauses klar zur Wissenschaftsfreiheit bekannt habe. «Dieser klare Weg muss nun glaubwürdig fortgesetzt werden, um verloren gegangenes Vertrauen wiederherzustellen.»

© dpa-infocom, dpa:240616-99-421075/10
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