Die Flagge des russischen Präsidenten weht auf halbmast über dem Kreml. Nach einem der schwersten Terroranschläge in der russischen Geschichte begeht das Land einen nationalen Trauertag.
Vitaly Smolnikov/AP
Die Flagge des russischen Präsidenten weht auf halbmast über dem Kreml. Nach einem der schwersten Terroranschläge in der russischen Geschichte begeht das Land einen nationalen Trauertag.
Attentat

Spekulationen und Trauer nach Terroranschlag in Russland

In Russland herrscht Trauer nach dem brutalen Attentat auf Konzertbesucher. Der «Islamische Staat» bekannte sich zur Tat, Kremlchef Putin deutet jedoch eine eigene Theorie an.

Nach einem der schwersten Terroranschläge in der russischen Geschichte dauerten Spekulationen über die Hintergründe der Tat weiter an. Die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) hatte den Anschlag bereits in der Nacht zu Samstag für sich reklamiert, doch der russische Präsident Wladimir Putin deutete eine ukrainische Spur hinter dem Angriff an - ohne jedoch Beweise dafür anzuführen. Demnach sollen die Täter in Richtung Ukraine geflüchtet sein.

Kiew wies jede Beteiligung an der Tat mit 137 Toten vom Freitagabend zurück. Die Geheimdienste der USA und anderer westlicher Länder hatten bereits Anfang März vor einem drohenden Anschlag gewarnt. Putin tat die Warnungen jedoch als westliche Provokation ab.

Nationaler Trauertag

Unterdessen beging Russland heute einen nationalen Trauertag. Im Ausland schlossen sich Serbien und Nicaragua mit eigenen Trauertagen dem Gedenken an. Viele der bei dem Anschlag 152 Verletzten seien weiter in kritischer Verfassung, berichtete die staatliche Nachrichtenagentur Tass am Morgen unter Berufung auf das Katastrophenschutzministerium für die Region Moskau. Unter den Verletzten sind demnach auch fünf Kinder.

Die Mitglieder der populären russischen Rockband Piknik, deren Auftritt von dem blutigen Terroranschlag verhindert wurde, legten am Abend vor der Crocus City Hall Blumen für die Opfer ab. Nach einer Gedenkminute sprachen sie den Hinterbliebenen der 137 Toten ihr Mitgefühl aus, wie die Staatsagentur Tass berichtete. «Diese Gräueltat ist eine sinnlose, unvorstellbare Grausamkeit», sagte Bandleader Edmund Schkljarski. «Dabei ist es nicht einmal eine Gräueltat, denn selbst Untiere tun so etwas nicht.» Unter den Todesopfern war auch eine Assistentin der Band, wie Piknik mitteilte.

In dem Veranstaltungszentrum Crocus City Hall bei Moskau mit Tausenden Plätzen hatten am Freitag Täter wahllos auf Besucher geschossen. Zudem gab es Explosionen in dem Gebäude und einen Großbrand.

Haftbefehl gegen Terror-Verdächtige erlassen

Ein Gericht in Moskau erließ am Abend die ersten Haftbefehle gegen mutmaßliche Akteure. Das Ermittlungskomitee habe vier Tatverdächtige nach den Verhören bereits informiert, dass gegen sie Anklage wegen des gemeinschaftlich verübten tödlichen Terroranschlags erhoben werde, berichtete die Staatsagentur Tass. Insgesamt waren nach der Tat elf Verdächtige festgenommen, vier von ihnen gelten als die eigentlichen Todesschützen.

Videoaufnahmen sollen zeigen, dass es bei der Festnahme der Verdächtigen auch zu Folter gekommen soll. So zeigt ein in Russland verbreitetes Video etwa, wie einem Mann ein Ohr abgeschnitten wurde. Unabhängig sind die Aufnahmen zunächst nicht zu überprüfen.

Identifizierung der Opfer geht weiter

Forensiker setzten unterdessen die Identifizierung der Opfer fort. Bis Samstagabend seien bereits 50 Opfer identifiziert worden, teilte Gouverneur Andrej Worobjow mit. Viele Menschen in der Konzerthalle seien bis zur Unkenntlichkeit verbrannt, hieß es. Knapp 4000 Menschen spendeten bis zum Abend Blut, um die ärztliche Behandlung der Verletzten zu erleichtern.

In der Nacht räumten schwere Maschinen Schutt von dem Gelände der Crocus City Hall. Es war befürchtet worden, dass weitere Opfer noch unter den Trümmern der schwer beschädigten Konzerthalle in Krasnogorsk nordwestlich von Moskau gefunden werden könnten. Dies war jedoch zunächst nicht der Fall. Die Aufräum- und Bergungsarbeiten sollen nach Behördenangaben mindestens bis zum Abend andauern.

Selenskyj: Immer schiebt Moskau Schuld auf andere

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj wies unterdessen die Versuche Putins, mit unbelegten Schuldzuweisungen der Ukraine eine Mitverantwortung für den Anschlag zuzuschieben, in der Nacht kategorisch zurück. «Nach dem, was gestern in Moskau passiert ist, versuchen Putin und die anderen Bastarde natürlich nur, jemand anderem die Schuld in die Schuhe zu schieben», sagte Selenskyj in seiner täglichen Videoansprache. Nach den Ereignissen in der Konzerthalle habe «dieser absolute Niemand Putin» einen Tag lang geschwiegen, anstatt sich um seine russischen Bürger zu kümmern. Vielmehr habe Putin darüber nachgedacht, «wie er das in die Ukraine bringen kann».

Putin hatte in einer vom Staatsfernsehen übertragenen Rede am Samstagnachmittag von einer angeblichen Verwicklung der Ukraine in den Terroranschlag gesprochen. Mit Blick auf die festgenommenen Männer sagte er: «Sie haben versucht, sich zu verstecken und haben sich in Richtung Ukraine bewegt, wo für sie ein Fenster für einen Grenzübertritt vorbereitet worden war.» Der ukrainische Militärgeheimdienst konterte Putin und wies darauf hin, dass die Grenze seit Langem vermint sei.

Faeser: Terror-Ableger des IS wohl verantwortlich

Bundesinnenminister Nancy Faeser (SPD) hält nach derzeitigem Stand Islamisten für den schweren Anschlag verantwortlich. «Nach allem, was bisher bekannt ist, ist davon auszugehen, dass die Terrorgruppe «Islamischer Staat Provinz Khorasan» (ISPK) den mörderischen Terroranschlag in der Nähe von Moskau zu verantworten hat», sagte sie der «Süddeutschen Zeitung». Von dieser Gruppe gehe derzeit auch in Deutschland die größte islamistische Bedrohung aus, sagte Faeser. «Die Gefahr durch islamistischen Terrorismus bleibt akut.» Khorasan steht für eine historische Region in Zentralasien, die Teile von Afghanistan, Usbekistan, Turkmenistan und Tadschikistan und vom Iran umfasste. Die ISPK-Terrorgruppe hatte ihren Ursprung in Afghanistan.

Frankreich rief die höchste Sicherheitsstufe aus. Angesichts des von der Terrormiliz Islamischer Staat beanspruchten Attentats und der Bedrohung, die auf Frankreich laste, habe man sich zu diesem Schritt entschlossen, schrieb Premierminister Gabriel Attal auf der Plattform X. Die Entscheidung sei nach dem von Staatschef Emmanuel Macron im Élysée-Palast einberufenen Verteidigungs- und Sicherheitsrat gefallen.

Der IS-Propagandakanal Amak veröffentlichte am Samstag ein Bild mit vier Personen, deren Gesichter unkenntlich gemacht worden waren. Die Kämpfer hätten bewaffnet mit Sturmgewehren, Pistolen und Bomben Russland einen «schweren Schlag» versetzt, hieß es in der Mitteilung. Der Angriff habe «Tausenden Christen in einer Musikhalle» gegolten. Der IS bekämpft Anhänger des Christentums und betrachtet sie als Ungläubige.

Terrormiliz IS veröffentlicht Video

Heute veröffentlichte die Terrormiliz Islamischer Staat zudem ein Video der Bluttat. Der Propagandakanal Amak publizierte ein fast 90 Sekunden langes Video, das die Attentäter am Anschlagsort zeigen soll. In arabischen Untertiteln heißt es, Amak zeige «exklusive Szenen» der «blutigen Angriffe auf Christen».

Zu Beginn ist zu sehen, wie ein schwer bewaffneter Mann mit einem Sturmgewehr in einen Gang feuert, wo bereits viele leblose Körper auf dem Boden liegen. Die Kamera schwenkt daraufhin zu einem der mutmaßlichen Terroristen, der mit einem Messer auf eine Person am Boden einsticht. Daraufhin durchqueren vier Männer einen verlassenen Bereich der Crocus City Hall. Die Stimmen der mutmaßlichen Täter sind verzerrt. Laut arabischen Untertiteln sagt eine Person: «Töte sie ohne Gnade» und «Wir sind angetreten für die Sache Gottes».

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