Wegen der fehlenden Milliarden im Bundeshaushalt 2024 sorgen sich Kommunen, Klimaschützer und die Polizei vor Einschnitten. Die FDP beharrt auf Änderungen beim Bürgergeld, die SPD hingegen auf ein Aussetzen der Schuldenbremse auch für das kommende Jahr. Unterdessen wird die Zeit für die Koalition immer knapper, noch in diesem Jahr den Haushalt 2024 durch das Parlament zu bringen.
Seit Tagen ringen Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), Vizekanzler Robert Habeck (Grüne) und Finanzminister Christian Lindner (FDP) hinter verschlossenen Türen um Wege aus dem Milliardenloch im Haushalt. Lindner beziffert es auf 17 Milliarden Euro. Habeck, auch Klimaschutzminister, hatte gar seine geplante Reise zur Weltklimakonferenz in Dubai gestrichen.
Soll ein Beschluss noch vor Silvester klappen, muss rasch eine politische Grundsatzentscheidung her, und das idealerweise vor der Kabinettssitzung am Mittwoch, damit noch genug Zeit für das parlamentarische Verfahren bleibt. Möglich ist auch, dass es vor Weihnachten zwar eine grundsätzliche Verständigung gibt, der Haushalt aber erst Anfang 2024 vom Parlament verabschiedet wird. Ohne politische Grundsatzeinigung vor Weihnachten droht eine veritable Regierungskrise.
Gezerre um Bürgergeld
Als einen Sparbereich hatte Lindner das Soziale ausgemacht, darunter das Bürgergeld. Forderungen aus Union und FDP, die starke Erhöhung durchschnittlich zwölf Prozent Anfang 2024 zu stoppen, erteilte Sozialminister Hubertus Heil eine Absage. Es sei «moralisch unverantwortlich und mit der Verfassung nicht vereinbar», den Betroffenen eine Anpassung der Regelsätze zu verwehren, erklärte der SPD-Politiker. Auch Regierungssprecher Steffen Hebestreit sagte: «Ich wüsste nicht, dass es innerhalb der Bundesregierung Pläne gibt, an der gesetzlichen Grundlage etwas zu verändern.»
Die FDP verweist auf die inzwischen stark gesunkene Inflation und hält an ihrer Forderung fest. FDP-Fraktionschef Christian Dürr sagte der «Bild»-Zeitung: «Ich hielte es für richtig, im Zuge der Beratungen über den Haushalt auch über die Berechnung des Bürgergelds zu sprechen. Denn die Berechnungsmethode kommt noch aus Zeiten von Hartz IV - das ist längst überholt.» Es müsse genau geprüft werden, «ob mit der alten Berechnungsmethode das Lohnabstandsgebot gewahrt werden kann». Wer arbeite, müsse «immer mehr Geld übrig haben als jemand, der das nicht tut», sagte der FDP-Politiker.
Der Sozialverband Deutschland (SoVD) widersprach. Die Vorstandsvorsitzende Michaela Engelmeier sagte den Zeitungen der Funke-Mediengruppe: «Öffentlich zu fordern, beim Bürgergeld wieder den Rotstift anzusetzen, verkennt völlig die Realität der Menschen, die auf Sozialleistungen angewiesen sind und die seit vielen Monaten auf einen Inflationsausgleich warten, weil ihr Geld nicht bis zum Ende des Monats reicht.»
Stattdessen forderte Engelmeier eine «konstruktive Debatte» über die Stärkungen der Einnahmeseite. Linke-Parteichef Martin Schirdewan verlangte in den Funke-Zeitungen, den reichsten zehn Milliardären dieses Landes per Vermögensabgabe mindestens zehn Prozent ihres «leistungslosen Einkommens» abzunehmen. Die aktuelle Debatte um Kürzungen im Sozialbereich nannte er «völlig absurd».
Aussetzung der Schuldenbremse auf Prüfstand
SPD-Chefin Saskia Esken dringt weiter darauf, die Schuldenbremse auch für 2024 auszusetzen. In der «Stuttgarter Zeitung» und den «Stuttgarter Nachrichten» argumentierte Esken damit, dass aus dem russischen Krieg gegen die Ukraine Deutschland auch weiterhin unmittelbare und mittelbare Kosten entstehen. Diese seien nicht ohne Weiteres aus dem normalen Haushalt zu stemmen. «Das erwartet die Verfassung von uns aber auch gar nicht. Auch die Ausnahme der Schuldenbremse ist Teil der Verfassung», betonte Esken.
Für das laufende Jahr soll die Schuldenbremse nochmals ausgesetzt werden, um zu verhindern, dass der Haushalt verfassungswidrig wird. Der Haushaltsausschuss des Bundestags will heute dazu Sachverständige befragen. Sie halten das Vorgehen der Bundesregierung ihren schriftlichen Stellungnahmen zufolge mehrheitlich für vertretbar. Es werde nachvollziehbar begründet, dass Deutschland zu Jahresbeginn mit der Energiekrise in einer Notlage war. Das ist die Voraussetzung für die Aussetzung der Schuldenbremse.
Sorgenfalten bei Kommunen, Polizei und Klimaaktivisten
Der Deutsche Städte- und Gemeindebund forderte für «wichtige Generationenaufgaben wie Klimaschutz und Infrastruktur» Ausnahmen von der Schuldenbremse. «Das ist auch deshalb gerechtfertigt, da im Vergleich der G7-Staaten Deutschland die geringste Staatsverschuldung hat und die Investitionen von heute den Wohlstand von morgen sichern», sagte der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebunds, Gerd Landsberg, der «Rheinischen Post». Viele Kommunen seien wegen der Haushaltsprobleme beim Bund verunsichert, da sie in vielfältiger Weise betroffen seien, berichtete Landsberg. Das gelte etwa für die kommunale Wärmeplanung, Gebäudesanierungen oder den Ausbau der
Ladeinfrastruktur.
Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) warnte vor Einsparungen im Sicherheitsbereich. Der GdP-Vorsitzende für die Bundespolizei, Andreas Roßkopf, sagte der «Rheinischen Post», schon jetzt seien aktuell zugemuteten Arbeitsbedingungen an vielen Orten «skandalös schlecht». Roßkopf forderte Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) auf, weitere Sparmaßnahmen unbedingt zu verhindern. Ansonsten drohe auch eine Verschärfung der Probleme bei der Kontrolle der Migration, mahnte der Gewerkschafter.
Die Klimaaktivistin Luisa Neubauer warnte die Bundesregierung davor, wegen der Haushaltsprobleme bei den Klimainvestitionen zu sparen. Wer beim Klimaschutz kürze, nur um keine neuen Schulden aufzunehmen, der habe nicht wirklich verstanden, in welcher Welt man lebe, sagte Neubauer in einem RTL-Interview. Die Bundesrepublik verschulde sich ohnehin: an den Lebensgrundlagen, an den jungen Generation, an den Menschen im globalen Süden, an der Zukunft. «Diese Verschuldung findet jeden Tag statt», betonte die Aktivistin von Fridays for Future.
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