Die schweren Kämpfe im Gazastreifen dauern an.
Mohammed Hajjar/AP/dpa
Die schweren Kämpfe im Gazastreifen dauern an.
Krieg in Nahost

Sorge wegen erhöhter Spannungen in Nahost

Die Lage in Nahost ist brandgefährlich. Im Libanon wird ein Hamas-Anführer getötet, im Iran kommt es zu verheerenden Explosionen. Die Konfliktparteien scheinen um Zurückhaltung bemüht. Der Überblick.

Die verheerenden Explosionen im Iran und die Tötung eines Anführers der islamistischen Hamas im Libanon haben die gefährlichen Spannungen im Nahen Osten weiter erhöht. Irans Führung sprach nach dem Anschlag am Todestag des Generals Ghassem Soleimani von einer Terrorattacke.

Zunächst reklamierte niemand die Tat für sich. Es gebe keinen Grund zu der Annahme, dass Israel daran beteiligt sei, sagte der Sprecher des US-Außenministeriums, Matthew Miller. Auch die USA hätten nichts damit zu tun. Der Anschlag mit 84 Toten ereignete sich zu einer Zeit, da Irans Erzfeind Israel Krieg gegen die Hamas im Gazastreifen führt und mit vom Iran unterstützten Milizen wie der Hisbollah im Libanon konfrontiert ist.

Hisbollah-Chef warnt Israel

Nach der Tötung des Vize-Leiters des Politbüros der Hamas, Saleh al-Aruri, bei einer Explosion in der libanesischen Hauptstadt Beirut warnte der Chef der Hisbollah Israel vor einer Eskalation des Konflikts mit dem Libanon. «Die Ermordung Al-Aruris ist ein gefährliches Verbrechen, das nicht ohne Reaktion und Bestrafung bleiben wird», sagte Hassan Nasrallah in einer Rede am Mittwoch. «Wenn der Feind einen Krieg gegen den Libanon beginnt, werden wir uns an keine Regeln mehr halten», sagte Nasrallah. Eine direkte Drohung gegen Israel oder gar eine Kriegserklärung sprach er aber nicht aus.

Nasrallah sagte in seiner Rede lediglich: «Wir haben keine Angst vor dem Krieg und wir zögern nicht.» Israel hatte keine Verantwortung für die Tötung von Al-Aruri übernommen. Der Hamas-Anführer stand allerdings schon länger auf Israels «Abschussliste». Israel geht davon aus, dass er an der Planung des verheerenden Terroranschlags am 7. Oktober im israelischen Grenzgebiet beteiligt war, was der Auslöser des Gaza-Kriegs war. Al-Aruri hatte auch engere Verbindungen der Hamas mit der Hisbollah sowie dem Iran aufgebaut.

Neue Kämpfe von Hisbollah mit Israel

Vor der Beisetzung von Al-Aruri im Libanon beschoss die Hisbollah am Donnerstag erneut Israel. Die Schiitenmiliz teilte mit, sie habe unter anderem israelische Einheiten nahe dem Dorf Schtula beschossen und «Volltreffer» erzielt. Israel machte jedoch keine Angaben über mögliche Opfer.

Das israelische Militär erwiderte nach eigenen Angaben den Beschuss aus dem Libanon. Ein Kampfflugzeug habe einen Beobachtungsposten der Hisbollah bei der Stadt Marun al-Ras beschossen. Zudem sei eine mit Panzerabwehrwaffen ausgerüstete Hisbollah-Einheit unter Feuer genommen worden.

Libanon: Wollen nicht in einen Krieg gezogen werden

Die Tötung Al-Aruris hat den Gaza-Krieg nun bis nach Beirut getragen. Die dortige Regierung ist bemüht, den Konflikt nicht eskalieren zu lassen: «Wir sind sehr besorgt, die Libanesen wollen nicht hineingezogen werden, selbst die Hisbollah möchte nicht in einen regionalen Krieg hineingezogen werden», sagte Minister Bou Habib. Er forderte die westlichen Staaten auf, «Druck auf Israel auszuüben, damit es all seine Gewalt und alle seine Aktionen einstellt, nicht nur im Libanon, nicht nur in Beirut, sondern auch in Gaza».

Netanjahu will «grundlegende Änderung» an der Grenze zum Libanon

Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu hat angesichts der Spannungen an der Grenze zum Libanon auf eine Lösung gepocht, damit die von dort evakuierten Anwohner zurückkehren können. Israel bevorzuge, dass dies auf diplomatischem Weg geschehe, sagte der Ministerpräsident nach Angaben seines Büros bei einem Treffen mit dem US-Gesandten und Vermittler Amos Hochstein. Es brauche dafür eine «grundlegende Änderung» an der Grenze. Wie konkret diese aussehen soll, teilte er nicht mit. Israelischen Medien zufolge will das Land, dass die libanesische Hisbollah-Miliz ihre Kämpfer vollständig aus dem Grenzgebiet abzieht.

Auch Israels Verteidigungsminister Joav Galant betonte in einem Treffen mit Hochstein, die mehr als 80.000 evakuierten Israelis müssten in ihre Heimatorte in der Grenzregion im Norden des Landes zurückkehren können. «Es gibt nur noch ein kurzes Zeitfenster für diplomatische Verständigungen.» Diese sei dem Land lieber. «Wir werden die Bedrohungen durch den iranischen Stellvertreter Hisbollah nicht dulden und die Sicherheit unserer Bürger gewährleisten.»

Auswärtiges Amt fordert zu rascher Ausreise aus dem Libanon auf

Wegen der angespannten Lage an der israelisch-libanesischen Grenze forderte das Auswärtige Amt deutsche Staatsangehörige auf, den Libanon so schnell wie möglich zu verlassen. Deutsche, die sich noch in dem Land aufhalten, sollten sich in der Krisenvorsorgeliste Elefand registrieren und «auf schnellstem Wege» ausreisen, schrieb das Auswärtige Amt auf der Plattform X, vormals Twitter. Rund 1000 deutsche Staatsangehörige haben dies bereits getan. «Eine Eskalation an der Grenze zwischen Israel und Libanon ist nicht auszuschließen», hieß es nach einer Tagung des Krisenstabs.

Tausende begleiten Beisetzung von Hamas-Anführer in Beirut

Tausende Menschen haben an der Beisetzungsfeier des mutmaßlich von Israel getöteten Hamas-Anführers Saleh al-Aruri in der libanesischen Hauptstadt Beirut teilgenommen. Unter strengen Sicherheitsvorkehrungen wurde der Sarg des zweithöchsten Anführers der islamistischen Organisation im Ausland zu einem Friedhof in dem palästinensischen Lager Schatila im Süden der Stadt gebracht. Die Teilnehmenden riefen «Freiheit für Palästina» und «Tod für Amerika und Israel». Sie marschierten gemeinsam zu dem Friedhof. Sie hielten die palästinensische Fahne und Flaggen der Hisbollah und Hamas in die Höhe.

Der Hamas-Anführer Saleh al-Aruri ist nach Angaben aus Kreisen der Hisbollah-Miliz im Libanon in einer Wohnung getötet worden, die die Hamas seit langem als Büro nutzt. Aus libanesischen Sicherheitskreisen hieß es, dass die Räumlichkeiten eine Zeit lang weniger genutzt, aber seit kurzem wieder öfter verwendet worden seien.

Al-Aruri, der Vize-Leiter des Politbüros der Hamas, war am Dienstagabend im südlichen Vorort der libanesischen Hauptstadt Beirut getötet worden. Bereits am Morgen sollen israelische Überwachungsdrohnen in der Gegend des Büros gesichtet worden sein.

Die Hamas und die Hisbollah geben Israel die Schuld an der Tötung Al-Aruris. Israels Militär wollte Berichte über eine gezielte Tötung bisher nicht kommentieren. Insgesamt kamen bei dem Angriff sieben Mitglieder der Hamas und Verbündeter ums Leben.

Experte: Iran hat kein Interesse an Konfrontation

«Es ist jetzt sehr wichtig, dass die Hisbollah ihre Abschreckungsfähigkeit wiederherstellt und dabei den örtlichen Gegebenheiten Rechnung trägt: Die Libanesen wollen nicht in einen Krieg hineingezogen werden», sagte Anthony Samrani, Chefredakteur der libanesischen Zeitung «L'Orient-Le Jour», dem Auslandsfernsehen des französischen Senders France 24. Die schiitische Hisbollah verfüge auch gar nicht über die Mittel für einen umfassenden Konflikt mit Israel, «besonders angesichts der starken US-Präsenz in der Region».

Weder die Hisbollah noch ihr größter Unterstützer, der Iran, seien bereit, sich größeren Vergeltungsmaßnahmen zu stellen, sagte auch der politische Analyst Makram Rabah der Deutschen Presse-Agentur. «Seit Beginn des Konflikts ist klar, dass der Iran kein Interesse an einer umfassenden Konfrontation hat», sagte er. Die Zeitung «Wall Street Journal» wies nach den verheerenden Explosionen im Iran vom Mittwoch darauf hin, dass Irans Präsident Ebrahim Raisi in einer kurzen Stellungnahme auf der Plattform X zwar eine entschiedene Reaktion ankündigte, aber niemandem Schuld für den Anschlag zugewiesen habe.

«Mit Gottes Erlaubnis wird die Hand der göttlichen Rache zur rechten Zeit und am rechten Ort erscheinen», schrieb Raisi. Das Ziel des Anschlags habe offenbar darin bestanden, die Spannungen zwischen Israel und dem Iran in einer Zeit erhöhter Sensibilität zwischen beiden Seiten nach der Ermordung des Hamas-Anführers Al-Aruri weiter anzuheizen, schrieb das «Wall Street Journal» unter Berufung auf nicht genannte Personen, die mit Israels Vorgehen vertraut seien.

US-Militär tötet zwei proiranische Milizionäre im Irak

Das US-Militär hat nach eigenen Angaben in der irakischen Hauptstadt Bagdad zwei Mitglieder einer mächtigen proiranischen Miliz getötet, darunter einen Kommandeur. Das teilte der Sprecher des US-Verteidigungsministeriums, Pat Ryder, in Washington mit. Es habe sich um einen Akt der Selbstverteidigung gehandelt, da der Kommandeur aktiv an der Planung und Durchführung von Anschlägen gegen US-Kräfte beteiligt gewesen sei. Details nannte Ryder nicht. Er betonte aber, es seien keine Zivilisten verletzt worden. Die Attacke sei «notwendig», «angemessen» und «verhältnismäßig» gewesen.

Aus irakischen Sicherheitskreisen hieß es, der Luftangriff habe im Osten Bagdads eine Einrichtung der sogenannten Volksmobilisierungskräfte getroffen. Sechs weitere Milizionäre seien verletzt worden. Ein Sprecher der irakischen Armee kritisierte die Aktion scharf und sagte, der «ungerechtfertigte» Angriff mit einer Drohne unterscheide sich nicht von «terroristischen Handlungen».

Die Lage im Irak ist wie in der gesamten Nahost-Region wegen des Gaza-Kriegs und tödlichen Eskalationen unter anderem im Libanon und im Iran sehr angespannt. Die proiranischen Milizen haben im Irak wie auch in Syrien großen Einfluss. Diese haben seit Beginn des Gaza-Kriegs vor drei Monaten mehr als 100 Angriffe auf US-Truppen im Irak und in Syrien verübt.

Das US-Militär hatte auf die Attacken mehrfach mit Luftangriffen im Irak reagiert. Der Angriff in Bagdad vom Donnerstag ist der vierte US-Angriff im Irak seit Beginn des Gaza-Kriegs. Die USA - der wichtigste Verbündete Israels - und ihre Truppen stehen stark im Visier proiranischer Milizen in der Region. Der Iran will mit ihnen eine «Achse des Widerstands» gegen Israel schaffen. Im Irak fordern die Milizen auch einen Abzug der etwa 2500 verbleibenden US-Truppen.

US-Außenminister Blinken reist erneut durch den Nahen Osten

US-Außenminister Antony Blinken reist angesichts des Gaza-Krieges in den kommenden Tagen erneut durch den Nahen Osten. Der Sprecher des Ministeriums, Matthew Miller, sagte in Washington, geplant sei ein längerer Trip mit Stopps in der Türkei, Griechenland, Jordanien, Katar, den Vereinigten Arabischen Emiraten, Saudi-Arabien, Israel, dem Westjordanland und Ägypten. Blinken wollte demnach noch heute aufbrechen.

Miller sagte, im Zentrum der Gespräche in den kommenden Tagen stünden Bemühungen, mehr humanitäre Hilfe in den Gazastreifen zu bringen, die restlichen Geiseln aus den Händen der Hamas zu befreien und den Schutz von Zivilisten in dem Konflikt zu verbessern. Israel müsse auch mehr tun, um Spannungen im Westjordanland zu reduzieren.

Außerdem gehe es darum zu verhindern, dass sich der Konflikt über den Gazastreifen hinaus ausbreite, sagte Miller. Blinken wolle bei seinen Stopps konkrete Schritte diskutieren, wie Akteure in der Region ihren Einfluss geltend machen könnten, um eine Eskalation zu vermeiden. Die Gespräche auf der Reise würden nicht einfach. «Es gibt offensichtlich schwierige Probleme in der Region und schwierige Entscheidungen, die vor uns liegen», betonte er. Blinken sei jedoch der Ansicht, dass es die Aufgabe der Vereinigten Staaten sei, die diplomatischen Bemühungen zur Bewältigung der Krise anzuführen.

Bericht: Israelische Armee tötet Hamas-Terroristen in Tunneln

Die israelische Armee hat bei Kämpfen gegen die islamistische Hamas im Süden des Gazastreifens nach eigenen Angaben zahlreiche ihrer Gegner in Tunneln getötet. Das hätten auch Terroristen der Hamas bestätigt, die sich in der schwer umkämpften Stadt Chan Junis ergeben hätten, teilte das Militär auf Telegram mit. Ein mehrere Hundert Meter langes Tunnelsystem sei zerstört und die Kampf- und Führungsfähigkeit der Hamas in der Region erheblich reduziert worden. Die Angaben ließen sich zunächst nicht unabhängig überprüfen.

Nach Angaben von Oberst Micky Scharwit wurden in einem Tunnel im Süden allein 20 Terroristen getötet. In dem Kampfgebiet gebe es praktisch keine nichtmilitärische Infrastruktur, zitierte ihn die Zeitung «Jerusalem Post» weiter. Die Hamas nutze fast jedes Wohnhaus, Krankenhaus und fast jede Schule für den Terror.

Israels Armee: Noch 136 Geiseln im Gazastreifen

Die israelische Armee geht nach neuen Informationen von derzeit noch 136 aus Israel in den Gazastreifen verschleppten Menschen aus. Wie viele Geiseln aber vielleicht tot sind, blieb nach diesen Armeeangaben unklar. Drei zuvor als vermisst gemeldete Zivilisten gelten Erkenntnissen des Militärs zufolge nun als entführt, wie Armeesprecher Daniel Hagari mitteilte. Zuletzt hatte das Militär die Zahl der noch im Gazastreifen verbliebenen Geiseln mit 133 angegeben.

Galant: Palästinenser nach Kriegsende für Gaza verantwortlich

Israels Verteidigungsminister Joav Galant sieht einem Bericht zufolge die Palästinenser nach dem Ende des Kriegs für den Gazastreifen in der Verantwortung. «Die Hamas wird Gaza nicht regieren, und Israel wird keine zivile Kontrolle über Gaza ausüben», sagte Galant laut der Zeitung «Haaretz». Palästinensische Akteure, die Israel nicht feindlich gesinnt seien, würden die Verantwortung übernehmen müssen. Welche Akteure dies sein könnten, ließ Galant offen.

Die USA wollen, dass die im Westjordanland regierende und von der Palästinenserorganisation Fatah dominierte Palästinensische Autonomiebehörde (PA) wieder die Kontrolle im Gazastreifen übernimmt. Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu ist dagegen. Einige Vertreter der Fatah-Partei hatten Verständnis für das Hamas-Massaker am 7. Oktober in Israel geäußert.

Hamas-Behörde: Mehr als 22.400 Tote im Gazastreifen

Die Zahl der im Gaza-Krieg zwischen der islamistischen Hamas und der israelischen Armee getöteten Palästinenser ist nach Angaben der von der Hamas kontrollierten Gesundheitsbehörde auf 22.438 gestiegen. Das waren 125 neue Todesopfer binnen 24 Stunden. Weitere 57.614 Menschen seien seit dem 7. Oktober durch israelische Angriffe verletzt worden, teilte die Behörde weiter mit. 70 Prozent der Opfer seien Frauen sowie Kinder und Jugendliche. Die Zahlen lassen sich derzeit nicht unabhängig überprüfen, gelten jedoch als glaubhaft.

Terrormiliz IS ruft zu Angriffen gegen Juden und Christen auf

Die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) hat zu weltweiten Angriffen gegen Juden und Christen aufgerufen. Explizit genannt wurden in der über die üblichen Propagandawege veröffentlichten Audiobotschaft der Islamisten Europa und die USA. Der Sprecher der Dschihadisten, Abu Hudhaifa al-Ansari, warnte auch die islamistische Palästinenserorganisation Hamas, mit schiitischen Gruppen zu kooperieren. Im Gaza-Krieg gilt etwa die libanesische Schiitenmiliz Hisbollah als Verbündeter der Hamas. Der IS betrachtet schiitische Muslime als Abtrünnige des Islam und verachtet sie.

Von Lars Nicolaysen, dpa
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