Scholz warnt vor «Wettbewerb mit Populisten»
Den Rechtsruck bei der Europawahl erklärt der Kanzler mit einem Vertrauensverlust in die Politik wegen der zahlreichen Krisen. Sein Rezept dagegen: Zuversicht durch konkretes Handeln zurückgewinnen.
Den Rechtsruck bei der Europawahl erklärt der Kanzler mit einem Vertrauensverlust in die Politik wegen der zahlreichen Krisen. Sein Rezept dagegen: Zuversicht durch konkretes Handeln zurückgewinnen.
Bundeskanzler Olaf Scholz hat das Erstarken rechter Parteien bei der Europawahl als «Einschnitt» bezeichnet und Konsequenzen gefordert. «Es hat eine klare Auswirkung, dass so viele Krisen gleichzeitig Vertrauen und Sicherheitsgefühl in Frage gestellt haben», sagte Scholz in seiner Regierungserklärung im Bundestag. «Das gilt für Europa und das gilt auch für Deutschland, und dem müssen wir uns stellen.»
Man dürfe aber nicht in einen «Wettbewerb mit den Populisten und Extremisten» eintreten, die Sorgen der Bürgerinnen und Bürger missbrauchten, betonte der SPD-Politiker. Stattdessen müsse man konkrete, praktische Antworten in der Sache geben. Nötig seien die Stärkung der inneren und äußeren Sicherheit, der Ausbau der Infrastruktur sowie die Modernisierung der Wirtschaft und Energieversorgung. «Es geht darum, dass wir da erfolgreich sind, denn das ist die Basis der notwendigen Zuversicht.»
Bei der Europawahl hatten rechte Parteien in zahlreichen Ländern deutliche Gewinne eingefahren, darunter auch die AfD in Deutschland. Alle drei Ampel-Parteien erlitten dagegen teils drastische Verluste. Die SPD von Kanzler Scholz war mit 13,9 Prozent auf ihr schlechtestes Ergebnis bei einer nationalen Wahl seit fast 140 Jahren abgerutscht. Scholz hatte am Tag danach zwar gesagt, man dürfe nicht zur Tagesordnung übergehen. Konkrete Konsequenzen gab es bisher aber nicht. Am 1. September stehen in Thüringen und Sachsen die nächsten Wahlen an. Den Umfragen zufolge droht der Ampel dabei eine noch weitaus schlimmere Schlappe als bei der Europawahl.
Merz wirft Scholz Unwillen zur Selbstkritik vor
Oppositionsführer Friedrich Merz warf Scholz mit Blick auf das Wahlergebnis vor, «immer noch unfähig und unwillens zur Selbstkritik und zur Korrektur» seiner Politik zu sein. Er mache Krisen verantwortlich für das Erstarken von Links- und Rechtsradikalismus. Das sei aber die falsche Antwort: «Sie sind dafür verantwortlich, dass die Probleme in unserem Lande nicht gelöst werden», hielt der CDU/CSU-Fraktionschef dem Kanzler vor.
Von keinem Land in Europa gehe derzeit so viel Unsicherheit und so viel Unklarheit aus wie von Deutschland - dem Land, das eigentlich der europäische Stabilitätsanker sein müsste, sagte Merz. Die Koalition werde nur noch zum Machterhalt zusammengehalten, sie habe keine Idee, keinen Plan, kein Konzept mehr für Deutschland.
Scholz will Etat mit «Wachstumsturbo» flankieren
Die Bewährungsprobe für die Ampel nach der Wahlschlappe ist nun erst einmal der Haushalt 2025, den Scholz noch vor der Sommerpause aufstellen will. Es gebe sehr kollegiale, sachorientierte und vertrauliche Gespräche über den Etat und einen «Wachstumsturbo» für die Wirtschaft, sagte der SPD-Politiker im Bundestag. «Wir werden den Haushaltsentwurf im Juli vorlegen», versprach er.
Ursprünglich hatten sich Scholz, Vizekanzler Robert Habeck (Grüne) und Finanzminister Christian Lindner (FDP) einen Kabinettsbeschluss am 3. Juli vorgenommen. Dieses Datum ist allerdings bereits jetzt nicht mehr zu halten, weil eine politische Einigung noch in einen beschlussreifen Entwurf übersetzt werden muss. Inzwischen wird der 17. Juli für den Beschluss im Kabinett angepeilt. Die Verhandler müssen Wege finden, eine Lücke im zweistelligen Milliardenbereich zu stopfen.
«Mehr Sicherheit, mehr Zusammenhalt, mehr Wachstum»
Scholz erklärte: «Mehr Sicherheit, mehr Zusammenhalt, mehr Wachstum, das sind die Prioritäten für unser Land.» Zugleich betonte er: «Es darf keine Einschnitte geben bei der sozialen Gerechtigkeit, bei Gesundheit, Pflege oder Rente.»
Um das Wirtschaftswachstum anzukurbeln, solle es unter anderem bessere Bedingungen für Menschen geben, die auch im Rentenalter weiterarbeiten wollten. Außerdem deutete er Vereinfachungen im Steuerrecht, Bürokratieabbau und verbesserte Abschreibungsregeln an. Gegen den Missbrauch von staatlichen Leistungen müsse man strikt vorgehen. «Das kann nicht akzeptiert werden, dass einige zum Beispiel Bürgergeld kriegen und gleichzeitig schwarz arbeiten», sagte Scholz. «Wir werden den gesetzlichen Rahmen schaffen, dass das nicht weiter passiert.»
© dpa-infocom, dpa:240626-99-539206/4
Copyright 2024, dpa (www.dpa.de). Alle Rechte vorbehalten