Schlampe und noch schlimmer: Wie Frauen beschimpft werden
Hass und Hetze im Internet trifft viele - mit besonderer Wucht aber Frauen im politischen Raum. Das bleibt nicht folgenlos. Über eine Diskussion beim Deutschen Katholikentag.
Hass und Hetze im Internet trifft viele - mit besonderer Wucht aber Frauen im politischen Raum. Das bleibt nicht folgenlos. Über eine Diskussion beim Deutschen Katholikentag.
Irme Stetter-Karp wurde schon einmal als «stellvertretende Abteilungsleiterin in der Bürokratie des Satans» beschimpft und als «bösartiger Mensch, der Teufelswerk betreibt». Per Mail bekam die Präsidentin des Zentralkomitees der deutschen Katholiken den Hinweis: «Sie gehören in den Knast.» Aber es geht noch schlimmer. Als sich die Chefin der katholischen Laienorganisation zum Abtreibungsparagrafen 218 äußerte, schrieb ihr jemand: «Besser, Ihre Mutter hätte Sie nicht geboren».
Unter diesem Titel diskutierte Stetter-Karp beim Deutschen Katholikentag in Erfurt am Wochenende mit der Klimaaktivistin Luisa Neubauer und der Grünen-Politikerin Katrin Göring-Eckardt. Drei Frauen im öffentlichen Raum, verbunden durch eine Erfahrung: ungebremstem Hass in Zuschriften, in den Kommentarspalten des Internets, am Telefon, auf Postkarten, bei öffentlichen Auftritten. Alle drei sagten am Ende: Sie machen weiter, natürlich - Drohungen und Pöbeleien könnten sie nicht stoppen. Aber spurlos bleiben sie auch nicht.
Die «Entmenschlichung der Politik»
Der raue Ton im Internet ist nicht neu. Wer vorne auf der öffentlichen Bühne steht, kann ihm offenbar nicht entgehen. Es geht ums Bloßstellen, Verächtlichmachen, Einschüchtern, davon erzählte auch Außenministerin Annalena Baerbock bei einer anderen Veranstaltung des Katholikentags. «Es gibt einfach Akteure, und das ist bei Frauen mehr als bei Männern, die warten nur darauf, dass irgendwas nicht stimmt», sagte die Grünen-Politikerin. Ziel sei nicht, auf Fehler hinzuweisen, sondern zu verunsichern. Am Ende sollten Politikerinnen und Politiker sich nicht mehr als Menschen zeigen dürfen und auch nicht als Menschen gesehen werden. «Das ist Teil von den Akteuren, die Hass und Hetze schreien wollen, nämlich die Entmenschlichung von der Politik, und genau das Gegenteil sollten wir tun», sagte Baerbock.
Organisationen wie der gemeinnützige Verein «HateAid» engagieren sich. Auch viele Politikerinnen und Politiker reagieren inzwischen konsequent mit Anzeigen. Denn alle wissen auch, was aus verbaler Hetze werden kann. Vor genau fünf Jahren wurde der CDU-Politiker Walter Lübcke ermordet. Kürzlich prügelten Schläger den SPD-Politiker Matthias Ecke in Dresden beim Plakatekleben krankenhausreif.
«Nach der nächsten Wahl geht's ins KZ»
All das ist bekannt. Aber was sich vor allem Frauen im Einzelnen anhören müssen, blendet man doch oft aus. Das Publikum im Erfurter Rathaus wurde jedenfalls still und schockstarr, als Göring-Eckardt, Stetter-Karp und Neubauer einige Beispiele vorlasen. So etwa: «Nach der nächsten Wahl geht's ins KZ». Das bekam Göring-Eckardt zu hören. Oder: «Man sollte dir einfach ein Loch in den Kopf bohren, dann könnte man ihn wenigstens als Nistkasten verwenden.»
Neubauer wurde nicht nur als Ökofaschistin beschimpft, sondern auch als «gehirnamputierte Transe», als «Klima-Spastiker», als «verlogene Kinderschänderin» sowie wahlweise als «versiffte Dreckskommunistin» oder «hässliche Hitler-Fratze». Ein Mitmensch gab ihr den Wunsch mit auf den Weg: «Ich hoffe, du erfährst den sicheren Tod.» Ihre Mutter bekam einen sieben Kilo schweren Grabstein zugeschickt, auf dem der Name der Tochter stand.
«Es ist Horror, ehrlicherweise»
Wie geht man damit um? Grob gesagt: Nicht alles lesen, nicht antworten, nicht unterkriegen lassen, so sagten es die drei Frauen auf dem Podium. «Allen, die gehofft hatten, ich liege heulend in der Ecke und mache gar nichts mehr, sage ich: you watch me», sagte die 28-jährige Neubauer. Sie weigere sich, diese Beschimpfungen als ihr eigenes, privates Problem zu sehen. Es handele sich um einen unglaublichen Missstand in der Zivilgesellschaft. Doch sagte Neubauer auch: «Es ist Horror, ehrlicherweise.»
Es gehe ja nicht nur um sie, sondern auch um ihre Angehörigen. Ihre Großmutter etwa habe ihr erzählt: «Da hat jetzt wieder jemand angerufen, der war erst ganz nett, aber dann hat er so gebrüllt.» Dann müsse sie, Luisa, die Oma «trainieren», in Abwehrreflexen, die die alte Dame sonst unhöflich gefunden hätte, zum Beispiel: «Leg einfach auf.» Dieses «Training» hat auch Stetter-Karp gestartet, in diesem Fall für ihren «liebenswerten Mann», der am Telefon auch Fremden gegenüber freundlich und hilfsbereit sei. «Ich finde das bescheuert, dass ich ihn trainieren muss», sagte Stetter-Karp.
Die ZdK-Präsidentin sieht die Hasskommentare gegen sie auch vor dem Hintergrund der Rolle der Frau in ihrer Kirche. Als sie zum Beispiel einmal eine Kampagne zur Betreuung von Kindern unter drei Jahren gestartet habe, habe sie Tausende von Zuschriften bekommen, sogar aus Frankreich. Offenbar kam das Betreuungsangebot jenen in die Quere, die Mütter zu Hause sehen wollten. Grundsätzlich versuche sie, den Hass nicht an sich heranzulassen, sagte Stetter-Karp. Aber: «Wenn das über Wochen geht, dann ist schon die Lage in mir ein Gramm anders.»
«Göring-Eckardt? Ja, mit der werde ich oft verwechselt»
Wenn Stetter-Karp wieder einmal Hasspost an ihre private Anschrift bekommt, ist sie tagelang besonders wachsam. Neubauer hat bei öffentlichen Veranstaltungen Personenschutz. Göring-Eckardt hat das als Vizepräsidentin des Deutschen Bundestags dienstlich auch. Privat, das erzählte die 58-Jährige in Erfurt, nutzt sie bisweilen Verkleidungen. Das meinte sie ernst. Witzig fügte sie hinzu: «Ich sage aber nicht welche.» Manchmal sage sie auch: «Göring-Eckardt? Ja, mit der werde ich oft verwechselt.» Früher sei sie selten mal angespuckt worden. Jetzt geschehe das fast jede Woche, sagte die Grünen-Politikerin.
Um den Nachmittag in Erfurt nicht bitter enden zu lassen, erzählte Göring-Eckardt dann noch, was sie hoffnungsfroh stimme. Anfang Mai hatte eine Menschenmenge in Lunow-Stolzenhagen in Brandenburg nach einer Veranstaltung ihr Auto belagert und sie gehindert wegzufahren. Danach habe sie Zuschriften von Fremden bekommen, die ihr Geleitschutz als Unterstützung zusicherten: Wenn sie mal wieder in Brandenburg unterwegs sei, «wir kommen mit».
Neubauer sagte, 95 Prozent ihrer Kontakte seien freundlich und nett. Da dürfe man sich nicht auf jene konzentrieren, die nachmittags Todeswünsche auf Facebook posteten. «Die wünschen sich ja, dass wir irgendwann nichts mehr sehen außer diesem Hass.»
Von Verena Schmitt-Roschmann, dpa
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