Russland will Geld für nichtjüdische Opfer
Viele Überlebende der Leningrader Blockade vor 80 Jahren brauchen im Alter Hilfe. Moskau tritt für sie ein - mit Appellen an das schlechte Gewissen der Deutschen und bösen Seitenhieben auf die Ukraine.
Viele Überlebende der Leningrader Blockade vor 80 Jahren brauchen im Alter Hilfe. Moskau tritt für sie ein - mit Appellen an das schlechte Gewissen der Deutschen und bösen Seitenhieben auf die Ukraine.
Russland drängt Deutschland weiter zu Entschädigungszahlungen an nichtjüdische Überlebende der Blockade von Leningrad im Zweiten Weltkrieg. Die Belagerung der sowjetischen Stadt durch Nazi-Truppen 1941 bis 1944 gilt als großes Kriegsverbrechen mit etwa 1,1 Millionen zivilen Opfern. Viele von ihnen verhungerten oder erfroren.
Aus Sicht der Bundesregierung ist die Entschädigung nichtjüdischer Opfer aber mit den Reparationen an die Sowjetunion unmittelbar nach dem Krieg geregelt worden, wie es aus dem Auswärtigen Amt heißt. Ein 2019 beschlossenes Hilfsprojekt für Blockade-Opfer im heutigen St. Petersburg werde aber trotz des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine fortgesetzt.
Die Sprecherin des Außenministeriums in Moskau, Maria Sacharowa, sprach die russische Forderung in diesem Jahr mehrmals an. Im Juli kritisierte sie, dass jüdische Blockade-Opfer individuell entschädigt werden, russische und andere Opfer aber nicht. Sie sprach von «rassische Diskriminierung». Und sie nannte dies ein Beispiel für Nationalismus, der in westlichen Gesellschaften Wurzeln schlage und sich auch weigere, die «Nazi-Natur des Kiewer Regimes» zur Kenntnis zu nehmen - so wörtlich in der Zeitung «Rossijskaja Gaseta».
Brief an das Kanzleramt
Die Verunglimpfung der ukrainischen Führung und ihrer Unterstützer als angebliche Nazis ist der derzeit typische Tonfall der Propaganda in Russland. Moskau führt mittlerweile seit 22 Monaten einen Angriffskrieg gegen die Ukraine.
In einem Brief an das Kanzleramt vom September warfen russische Leningrad-Veteranen Deutschland vor, es messe mit zweierlei Maß. Alle Überlebenden sollten Entschädigungen erhalten. Sie sprachen von derzeit noch 60.000 Menschen. «Der grausame Plan der Nazis, alle Einwohner im unbeugsamen Leningrad durch Hunger und Kälte zu vernichten, machte keinen Unterschied zwischen den Nationalitäten», hieß es der Agentur Tass zufolge in dem Schreiben. Die ablehnende Antwort aus Berlin nannte Sacharowa im November «unannehmbar und nicht überzeugend».
Die Bundesregierung hat ihre Haltung mehrfach dargelegt. «Die Blockade von Leningrad ist eines der vielen schrecklichen deutschen Kriegsverbrechen im Krieg gegen die Sowjetunion, an die die Erinnerung weiterhin wachgehalten werden muss», heißt es.
Hilfsprojekt für zwölf Millionen Euro
Die Ungleichbehandlung der Opfer wird begründet mit dem erhöhten Risiko, dem Juden auch im eingekesselten Leningrad ausgesetzt waren. Weil die Nazis alles jüdische Leben verfolgten, hätte ihnen bei einer Ergreifung durch deutsche Kräfte der sichere Tod gedroht. Nach Vereinbarungen mit der jüdischen Claims Conference können jüdische Überlebende deshalb seit 2008 Einmalzahlungen erhalten. 2021 wurden auch monatliche Rentenzahlungen vereinbart.
Dagegen falle die übrige Bevölkerung im belagerten Leningrad unter das allgemeine Völkerrecht, argumentiert der Bund. Die Menschen hätten von ihrem eigenen Land, also der Sowjetunion, mit Hilfe der Reparationen aus dem besiegten Deutschland entschädigt werden müssen. «Die frühere Sowjetunion hat in erheblichem Umfang Reparationen vereinnahmt und im August 1953 auf weitere deutsche Reparationsleistungen verzichtet.»
Um gegenüber den nichtjüdischen Blockade-Veteranen guten Willen zu zeigen, verkündete 2019 der damalige Außenminister Heiko Maas (SPD) ein Hilfsprojekt für zwölf Millionen Euro. Damit wurde eine Klinik in St. Petersburg modernisiert, die viele der hochbetagten Menschen behandelt. Auch Begegnungen der jungen Generation mit den Veteranen werden gefördert. Das Projekt läuft weiter, auch wenn Deutschland von Russland mittlerweile als «feindliches Land» eingestuft wird.
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