Vor möglichen neuen Verhandlungen über eine Waffenruhe hat die Ukraine als Antwort auf den russischen Angriffskrieg Moskau mit einer bisher beispiellosen Zahl an Drohnen angegriffen. Die Flugabwehr der russischen Hauptstadt war die ganze Nacht zum Sonntag und auch tagsüber gegen die Flugobjekte im Einsatz. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj teilte nach einem Militärtreffen mit, dass die Schläge tief im russischen Hinterland intensiviert werden sollen. Damit will er den Druck erhöhen vor neuen Verhandlungen über eine Waffenruhe mit Russland, die er für diese Woche anvisiert.
Ein Datum für die Gespräche gibt es noch nicht. Istanbul solle aber wie bisher wieder Ort des Treffens sein, berichtete die staatliche russische Nachrichtenagentur Tass unter Berufung auf eine nicht näher benannte Quelle aus den Verhandlungskreisen. Zuletzt hatte es Anfang Juni in Istanbul direkte Verhandlungen gegeben - allerdings ohne Aussicht auf eine von Kiew geforderte bedingungslose Waffenruhe.
Schäden durch Drohnen und Probleme im Flugverkehr
Moskaus vier Hauptstadtflughäfen mussten wegen der Gefahr durch ukrainische Drohnen mehrfach ihren Betrieb unterbrechen. Im Stadtbezirk Selenograd wurden durch die Drohnenschläge zudem zahlreiche Hochhäuser beschädigt; Autos gerieten in Brand, Hunderte Scheiben gingen zu Bruch. Bewohner veröffentlichten auch Fotos ihrer verwüsteten Wohnungen, wie im Telegram-Kanal «chp_Zelenograd» zu sehen war.
Bürgermeister Sergej Sobjanin räumte Schäden ein, sie seien aber nicht schwer – und würden beseitigt. Wie in der Nacht meldete Sobjanin auch tagsüber immer wieder den Abschuss ukrainischer Drohnen, die Kurs auf Moskau genommen hätten. Ihre Zahl stieg auf rund 30 bis zum Nachmittag - so viele wie noch nie.
Die Ukraine will so den Russen auch zeigen, was diese ständigen Drohnenattacken, gegen die sie seit mehr als drei Jahren täglich kämpft, bedeuten. Die Schäden und Opfer infolge der ukrainischen Angriffe stehen in keinem Verhältnis zu den vielen Toten und Verletzten sowie schweren Zerstörungen durch die russischen Attacken.
Umleitungen und Verspätungen im Flugverkehr
Die russische Luftfahrtbehörde Rosawiazija meldete Einschränkungen auf den Hauptstadtflughäfen Scheremetjewo, Wnukowo, Domodedowo und Schukowski. Weil Starts und Landungen dort wegen der Drohnengefahr zeitweise nicht möglich waren, wurden ankommende Flüge aus Sicherheitsgründen auf andere Flughäfen umgeleitet, darunter ins etwa 700 Kilometer entfernte St. Petersburg. Die Einschränkungen für Domodedowo und Scheremetjewo wurden erst am Abend aufgehoben.
Rosawiazija-Sprecher Artjom Korenjako, der selbst betroffen war, bat die Passagiere um Verständnis und Geduld. «Wie viele befinde ich mich jetzt schon mehrere Stunden im Flugzeug», sagte er in einem Videoclip von seinem Sitz aus. Aber die Flugsicherheit habe Priorität. Wegen Drohnenalarm kommt es immer wieder zu Flugausfällen und Verspätungen. Fluggesellschaften klagen mitten in den Schulferien, in denen viel Betrieb herrscht, über massive finanzielle Verluste.
Auch Russland griff die Ukraine wieder mit Drohnen an
Die Ukraine, die ihre Drohnenproduktion massiv ausbaut, will mit ihren Gegenangriffen den Krieg auch nach Russland zurücktragen und vor allem die militärische Logistik treffen. Russland selbst griff die Ukraine auch in der Nacht zum Sonntag wieder mit Dutzenden Drohnen an. Die ukrainische Luftverteidigung gab ihre Zahl mit 57 an, deutlich weniger als am Samstag, als Selenskyj von mehr als 300 Drohnenattacken sprach. 18 dieser unbemannten Flugobjekte vom Sonntag seien abgeschossen worden. Es habe auch viele Einschläge gegeben. Zu Schäden machte die Flugabwehr keine Angaben.
Kreml hatte Kiew zuletzt mehrfach zu Gesprächen aufgefordert
Bei den möglichen Verhandlungen in Istanbul dürfte es auch um die gegenseitigen Drohnenangriffe gehen, die das Kriegsgeschehen längst maßgeblich prägen. Verhandlungsführer für die Ukraine ist dabei der frühere Verteidigungsminister Rustem Umjerow, der nun Sekretär des Nationalen Sicherheits- und Verteidigungsrats ist. Selenskyj bekräftigte zudem seine Bereitschaft zu einem Treffen mit Kremlchef Wladimir Putin.