Rechts auf dem Vormarsch: Was die Wahl für die EU bedeutet
Aus Sicht der Regierungsparteien in Deutschland war die Europawahl ein Debakel. Rechte können hingegen feiern. Nun stellt sich die Frage nach möglichen Bündnissen.
Aus Sicht der Regierungsparteien in Deutschland war die Europawahl ein Debakel. Rechte können hingegen feiern. Nun stellt sich die Frage nach möglichen Bündnissen.
Deutschland, Frankreich, Italien und Spanien: In fast allen großen EU-Staaten haben rechte Parteien bei der Europawahl deutlich zugelegt. Doch wird sich das wirklich auf die Politik in Brüssel auswirken? Fragen und Antworten im Überblick:
Geben jetzt Le Pen, Meloni und Co. den Ton an?
Nein. Der Kurs der EU wird in erster Linie vom Europäischen Rat vorgegeben, dem Gremium der 27 Staats- und Regierungschefs. Dort ändert sich durch die Europawahl erst einmal nichts. In dem Rat, der regelmäßig zu Gipfeln zusammenkommt, sind derzeit die Parteien des Mitte-Rechts-Bündnisses EVP mit aktuell 13 Staats- und Regierungschefs klar stärkste politische Kraft. Danach kommen die Lager der Sozialdemokraten und der Liberalen. Klare Rechtsaußen-Politiker im Rat sind bislang nur Italiens Ministerpräsidentin Giorgia Meloni und Ungarns Regierungschef Viktor Orban.
Im Europaparlament bleibt die EVP ebenfalls deutlich stärkste politische Kraft. Selbst wenn sich alle rechten Parteien zusammenschlössen, kämen sie voraussichtlich auf weniger als 200 der künftig 720 Sitze - weit entfernt von einer eigenen Mehrheit. Das bedeutet auch, dass EVP-Spitzenkandidatin Ursula von der Leyen rein rechnerisch nicht auf Stimmen aus dem Rechtsaußen-Lager angewiesen ist, um eine zweite Amtszeit als Kommissionspräsidentin zu bekommen. Eigentlich reicht eine informelle Zusammenarbeit mit Sozialdemokraten und Liberalen aus, wie bereits 2019 vor der damaligen Wahl von der Leyens vereinbart.
Wie geht es mit der AfD im Europaparlament weiter?
Das ist noch unklar. Die bisherigen AfD-Abgeordneten wurden kurz vor der Europawahl aus der rechtsnationalen ID-Fraktion ausgeschlossen. Hintergrund waren Äußerungen des AfD-Spitzenkandidaten Maximilian Krah zur SS der Nationalsozialisten und eine China-Spionageaffäre um einen seiner Mitarbeiter. Am Montag beschlossen die anderen neu gewählten AfD-Abgeordneten, Krah gar nicht erst in ihre neue Delegation aufzunehmen. Dies könnte den Weg für eine Zusammenarbeit mit anderen Rechtsparteien wieder freimachen. Infrage kommen dafür etwa die Fratelli d'Italia (Brüder Italiens) von Meloni und die französische Partei Rassemblement National um Marine Le Pen - beide in ihren Ländern klare Wahlsieger.
Könnte es zur Gründung einer neuen großen Rechtsaußen-Fraktion kommen?
Auch das ist noch ungewiss. Le Pen wirbt derzeit zwar bei Meloni für eine Vereinigung, um die zweitgrößte Fraktion im Europäischen Parlament zu bilden. Dagegen spricht, dass Meloni auch von der mächtigen EVP umworben wird. Für eine zumindest lose Zusammenarbeit mit der EVP spricht aus Sicht der Italienerin, dass sie dann deutlich näher am Machtzentrum der EU wäre. Geht Meloni hingegen eine enge Allianz mit Le Pen ein, dürfte dies einer Zusammenarbeit mit der EVP entgegenstehen - Le Pen wird von der EVP noch immer als EU-feindlich, Russland-nah und rechtsextrem verteufelt - trotz deren Bemühungen, sich von ihrem Vater Jean-Marie Le Pen zu distanzieren.
Welche Rolle spielt Le Pen künftig auf EU-Ebene?
Die Rechtsnationale sieht sich durch das gute Abschneiden bei der Europawahl klar im Aufwind, allerdings mehr noch auf nationaler Ebene als auf europäischem Parkett. Sie wird weder ins EU-Parlament einziehen noch bei den Treffen der Staats- und Regierungschefs dabei sein - und daher eher indirekt Einfluss nehmen. Das Wahlergebnis sieht sie als klaren Auftrag, Europa zu verändern. Sie will mehr Mitsprache der Nationalstaaten, sich von Brüssel bei der Migrationspolitik nicht reinreden lassen und die Handelspolitik protektionistischer gestalten. Deutlich mehr Gewicht könnte die Stimme der 55-Jährigen bekommen, wenn ihre Partei die vorgezogene Parlamentswahl in Frankreich in diesem Sommer gewinnt und Präsident Emmanuel Macron gezwungen wäre, einen Regierungschef aus ihren Reihen zu ernennen.
Und was ist mit Meloni?
Die 47-Jährige ist die neue starke Frau Europas: Seit Angela Merkel war keine Regierungschefin in der EU mehr so mächtig. Mit dem Wahlsieg ihrer Fratelli d'Italia, die im Unterschied zu den meisten anderen Regierungsparteien in der EU nochmals zulegen konnte, hat Meloni noch einmal an Einfluss gewonnen. Das wird man diese Woche schon beim G7-Gipfel der großen Industrienationen merken, wenn die Italienerin Gastgeberin ist. Dann geht es auch um die Frage, ob sie von der Leyen unterstützt. Im Vergleich zu den Wahlverlierern Olaf Scholz und Macron steht sie bestens da.
Immer noch wird gerätselt, wie viel Gedankengut Meloni von ihren postfaschistischen Anfängen behalten hat. Ist sie tatsächlich in die Mitte gerückt - oder tut sie nur so? In der Außenpolitik hat sie sich bislang als zuverlässige Partnerin bewiesen. Mit großem Interesse wird auch verfolgt, ob sie nun eine größere Nähe zur Le Pen suchen wird. Wird das Partnerschaft oder Konkurrenz? Denn wenn Le Pen die Parlamentswahl in Frankreich gewinnt, könnte es mit Melonis Stellung als klare Nummer eins der Rechten in Europa schon wieder vorbei sein.
Dürfte die EU dauerhaft nach rechts rücken?
Dies ist vor allem davon abhängig, wie die nächsten Wahlen in den Mitgliedstaaten verlaufen. Nach den Erfolgen der FPÖ bei der Europawahl ist denkbar, dass die rechte Partei dort auch die nächste Parlamentswahl gewinnt und dann auch den österreichischen Bundeskanzler stellt. Ganz entscheidend dürfte zudem sein, ob es Le Pen gelingt, 2027 in Frankreich Präsidentin zu werden. Dass rechte Parteien nicht überall einen Lauf haben, zeigte sich zuletzt in Polen, wo die rechtsnationale PiS die Macht im vergangenen Jahr an ein Bündnis um den früheren EU-Ratspräsidenten Donald Tusk abgeben musste. Gegen den Trend geht es zudem auch in Ungarn: Dort musste die Fidesz-Partei von Orban am Sonntag ihr bisher schlechtestes Ergebnis bei einer Europawahl hinnehmen.
Von Ansgar Haase, Rachel Boßmeyer und Christoph Sator, dpa
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