Neuer Verteidigungsplan für Deutschland kommt
Was passiert, wenn etwas passiert? Deutschland reagiert auf die neue Sicherheitslage und stellt erstmals seit dem Kalten Krieg wieder einen umfassenden Verteidigungsplan auf.
Was passiert, wenn etwas passiert? Deutschland reagiert auf die neue Sicherheitslage und stellt erstmals seit dem Kalten Krieg wieder einen umfassenden Verteidigungsplan auf.
Mit einer besseren Vernetzung zu Sicherheitsbehörden, Katastrophenschützern und Industrieunternehmen stellt sich die Bundeswehr auf eine gesamtstaatliche Verteidigung Deutschlands ein.
Dazu werde ein neuer Operationsplan Deutschland (OPLAN) erstellt, der festlege, wie im Spannungs- und Verteidigungsfall gemeinsam vorgegangen werden solle, sagte der Befehlshaber des Territorialen Führungskommandos, Generalleutnant André Bodemann, der Deutschen Presse-Agentur in Berlin. «Das soll ein Plan sein, der ausführbar und durchführbar ist, also nicht ein Hirngespinst, ein Gedankenkonzept, sondern tatsächlich etwas Handfestes, was am Ende auch funktionieren kann.»
Mit welchen Bedrohungen rechnen die Militärs?
Die Militärs erwarten vier Bedrohungen, die teils schon zu beobachten seien, darunter Fake News und Desinformation. Der Gegner werde versuchen, Regierungsentscheidungen und die öffentliche Meinung zu beeinflussen. Zudem werden Angriffe im Cyberraum gegen Energieunternehmen und die Telekommunikation erwartet. Das Dritte seien gezielte Ausspähungen. «Und der vierte Teil, gegen den wir uns jetzt schon wappnen müssen, ist ganz klar Sabotage auch durch beispielsweise Spezialkräfte, durch irreguläre Kräfte, die versuchen, das ein oder andere unbrauchbar zu machen, um damit den Aufmarsch zu behindern oder zu verhindern», sagte der General. Zudem könne die kritische Infrastruktur Ziel von ballistischen Raketen der anderen Seite sein. An einem Schutzschirm werde gearbeitet.
Mit dem «OPLAN» wird die Planung für den Schutz der Bevölkerung und die Verteidigung der Infrastruktur sowie den Schutz eines Truppenaufmarsches der Nato erstmals seit dem Kalten Krieg neu aufgestellt. Über das in den Details streng geheime und Hunderte Seiten umfassende Dokument, das bis Ende März fertig sein soll, diskutierten am Donnerstag Offiziere mit Polizeibehörden, Bevölkerungsschützern, dem THW, Wissenschaftlern, der Energie- und Logistikbranche sowie Alliierten auf einem Symposium in der Julius-Leber Kaserne in Berlin.
Der sächsische Innenminister Armin Schuster (CDU) machte deutlich, dass die Bundesländer auf Naturkatastrophen vorbereitet seien, aber nicht auf einen Krieg und große hybride Angriffe. «Ich verstehe unter Hybrid die Dreifaltigkeit eines geplanten Angriffs: Desinformationskampagne, parallel kapitale Cyberangriffe und dazu parallel analoge Terroranschläge. Das sorgt für Chaos und totale Destabilisierung», sagte er. Schuster sagte, es gebe in Deutschland ein «krasses Ungleichgewicht» zwischen dem militärischem Hochlauf, für den es 100 Milliarden Euro gebe, und dem Zivilschutz.
Sorge vor Cyberangriffen
Schon jetzt gebe es Cyberangriffe und Desinformationsversuche, sagte Oberst Andreas Schreiber, Abteilungsleiter im Führungskommando für militärisches Nachrichtenwesen und Sicherheit. Künstliche Intelligenz biete Angreifern weitere Möglichkeiten. «Diese Dinge werden in Zukunft viel, viel besser werden. Sie werden viel, viel schneller werden und sie werden mit einer Kadenz auf uns einprasseln, dass uns noch Hören und Sehen vergehen wird», sagte er. Das habe «durchaus das Potenzial, einen Staat in die Knie zu zwingen, ohne überhaupt nur über den Einsatz eines einzigen bewaffneten Soldaten oder Panzers überhaupt nur nachdenken zu müssen, es gleichzeitig aber jederzeit zu können.»
Seit dem Ende des Kalten Krieges sind die Nato-Bündnisgrenzen nach Osten gerückt und Deutschland ist nicht mehr Frontstaat. «Das bedeutet, ich erwarte jetzt nicht die Panzerschlacht in der norddeutschen Tiefebene, hoffentlich auch keine Luftlandung von russischen Fallschirmjägern», sagte Bodemann. «Aber unsere kritischen Infrastrukturen, die Häfen, die Brücken, die Energieunternehmen, die werden natürlich bedroht durch Sabotageakte, vielleicht auch durch Spezialkräfte, die eingesickert sind und versuchen, hier genau diese kritischen Infrastrukturen zu stören.»
Wie solche Angriffe auf Energieanlagen und Bauwerke ablaufen können, beobachten die westlichen Verbündeten in der Ukraine. Dabei gehen die Bundeswehrplaner in ihren Planungen auch davon aus, dass ein größerer Teil der eigenen Kräfte von der Nato zur Abschreckung und Verteidigung an der Ostflanke des Bündnisses gebraucht werde könnte und in Deutschland selbst nicht eingeplant werden können. Die Bundeswehr stellt dafür derzeit sogenannte Heimatschutzkräfte auf.
Einbindung von zivilen Unternehmen
Die Aufgabe Deutschlands wird es auch sein, die Aufmarschwege für Verbündete zu unterhalten und die Konvois zu versorgen («Host Nation Support»). Dazu laufen bereits jetzt verstärkte Übungen. Die seit dem Kalten Krieg deutlich verkleinerte Bundeswehr wird also verstärkt zivile Unternehmen einbinden oder einbinden müssen und setzt dabei auf sogenannte Vorhalteverträge für eine maximale zivile Leistungserbringung. Konkret bringen dann die Tanklaster ziviler Unternehmen den Diesel an die Fahrstrecken.
«Wir hatten das in den 80er Jahren nicht nur bei der Versorgung mit Betriebsstoffen», erinnert sich Bodemann. «Logistikunternehmen, Transportunternehmen, Bauunternehmen hatten Fahrzeuge, die hatten einen extra Fahrzeugschein. Die wussten, wenn es zu einem Krieg kommt, dann gehören dieser Lkw, diese Planierraupe, dieser Bagger der Bundeswehr und da gibt es einen Fahrer, der das auch fahren kann. All das ist wieder neu zu denken.»
Dabei steht die Gesamtverteidigung auf zwei Säulen. Bevölkerungs- und Zivilschutz sind die Aufgabe des Bundes, des Bundesinnenministeriums sowie der Bundesländer. Die Bundeswehr übernimmt den militärischen Anteil. Belastungstaugliche Arbeitsweisen zu finden, ist Teil der Aufgabe. Dass viele Szenarien unterhalb von Artikel 5 («Bündnisfall») liegen, macht es nicht einfacher. Vielfach ist nicht mal der Bund zuständig, sondern womöglich zunächst die Bundesländer - und der Föderalismus hat sich bei letzten Krisen nicht als besonders schnell und handlungsfähig erwiesen. Militärexperte Carlo Masala forderte bei dem Treffen, bisherige Strukturen auf den Prüfstand zu stellen und sich mit den neuen Szenarien auch rechtlich zu befassen. Er sagte: «Das Grundgesetz kennt Frieden, Spannung und Verteidigung. Das Grundgesetz kennt nicht Hybrid.»
Von Carsten Hoffmann, dpa
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