Kann es eine Zweistaatenlösung nach dem Gaza-Krieg geben? Nein, sagt der israelische Premierminister Netanjahu. Unterdessen gehen die Kämpfe zwischen den israelischen Streitkräften und der Hamas im Gazastreifen weiter.
Gil Cohen Magen/XinHua/dpa
Kann es eine Zweistaatenlösung nach dem Gaza-Krieg geben? Nein, sagt der israelische Premierminister Netanjahu. Unterdessen gehen die Kämpfe zwischen den israelischen Streitkräften und der Hamas im Gazastreifen weiter.
Krieg in Nahost

Netanjahu widerspricht USA im Gaza-Krieg

Die USA sind im Gaza-Krieg bisher Israels wichtigster Unterstützer. Doch für das Drängen Washingtons auf eine Zweistaatenlösung hat Netanjahu nur ein klares «Nein» übrig. Der Überblick.

Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu hat im offenen Widerspruch zu den USA einen palästinensischen Staat nach Ende des Gaza-Krieges abgelehnt. Mit Blick auf eine Zweistaatenlösung auf Drängen der USA sagte Netanjahu: «Israels Ministerpräsident muss imstande sein, auch «nein» zu sagen, wenn es nötig ist, selbst zu unseren besten Freunden.»

Unterdessen haben die USA erneut Ziele der vom Iran unterstützten Huthi-Miliz im Jemen angegriffen. Das sagte der Kommunikationsdirektor des Nationalen Sicherheitsrates, John Kirby, bei einer Pressekonferenz im Weißen Haus. Bei den Angriffen seien erneut Antischiffsraketen der Huthi getroffen worden. Kirby betonte, dass die Angriffe der Selbstverteidigung dienten und dazu beitragen sollten, die Schifffahrt im Roten Meer sicherer zu machen. US-Präsident Joe Biden hatte am Vortag deutlich gemacht, dass das US-Militär seine Angriffe auf Huthi-Stellungen fortsetzen werde.

Pentagon-Sprecherin: Wir wollen keinen Krieg

Auf die Frage, ob die Angriffe der USA gegen die Huthi Wirkung erzielten, sagte Biden zu Reportern in Washington: «Nun, wenn Sie von Wirkung sprechen, stoppen sie die Huthi? Nein. Werden sie fortgesetzt? Ja.» Die USA befänden sich im Jemen aber nicht in einem Krieg, erklärte die Sprecherin des US-Verteidigungsministeriums, Sabrina Singh.

«Wir wollen keinen Krieg. Wir glauben nicht, dass wir uns im Krieg befinden», sagte die Pentagon-Sprecherin. Die Huthi seien diejenigen, die weiter Marschflugkörper und Antischiffsraketen auf unschuldige Seeleute und Handelsschiffe im Roten Meer abfeuerten. «Was wir zusammen mit unseren Partnern tun, ist Selbstverteidigung», sagte Singh weiter.

Der Nahost-Experte Vali Nasr von der School of Advanced International Studies an der Johns Hopkins University sagte indes dem «Wall Street Journal», die USA seien auf dem besten Weg, in einen Krieg im Jemen zu geraten. «Es wurde Blut vergossen, das Ausmaß der Angriffe ist da, die Huthi werden jetzt nicht zurückweichen«, zitierte ihn die Zeitung. Die Huthi zählen wie die islamistische Hamas im Gazastreifen und die libanesische Hisbollah-Miliz zur sogenannten «Achse des Widerstands», einem Geflecht von Gruppen im Kampf gegen Israel, die vom Iran unterstützt werden. Die Staatsführung in Teheran spricht dem jüdischen Staat das Existenzrecht ab.

Demonstration im Jemen

Zehntausende Menschen sind im Jemen erneut auf die Straße gegangen, um Solidarität mit dem palästinensischen Volk sowie gegen die Angriffe der USA, Großbritannien und anderer zu demonstrieren. Auf Bildern des Huthi-nahen Fernsehsenders Al-Marisah war zu sehen, wie sich Zehntausende im Regen allein in der Hauptstadt Sanaa versammelten. Dem TV-Kanal zufolge lief die Veranstaltung unter dem Motto «Amerika (USA) ist die Mutter des Terrorismus». Einige der Demonstranten riefen: «Amerika ist der größte Teufel.»

Auch in anderen Gebieten, die von der militant-islamistischen Huthi-Miliz kontrolliert werden, gab es große Versammlungen, wie die von den Huthi kontrollierte Nachrichtenplattform Saba berichtete.

Bereits in den vergangenen Wochen hat es immer wieder Proteste in von Huthi kontrollierten Gebieten im Jemen gegeben. Die vom Iran unterstütze Miliz ruft regelmäßig zu Kundgebungen im Anschluss an das Freitagsgebet auf.

Netanjahu lehnt Palästinenser-Staat ab

US-Außenminister Antony Blinken hatte beim Weltwirtschaftsforum in Davos diese Woche deutlich gemacht, dass eine dauerhafte Lösung für die Region die Vision eines palästinensischen Staates beinhalten müsse. Andernfalls werde Israel keine echte Sicherheit bekommen. Viele arabische und muslimische Länder hätten ihre Haltung zu Israel zuletzt geändert und nun Interesse an stabilen Beziehungen. Israel müsse entscheiden, in welche Richtung es sich entwickeln wolle.

Israels rechtsgerichteter Regierungschef Netanjahu lehnt die Vision eines palästinensischen Staats jedoch ab. «Aus jedem Gebiet, aus dem wir uns zurückziehen, bekommen wir Terror, schrecklichen Terror», sagte Netanjahu auf einer Pressekonferenz. Dies sei im Südlibanon, im Gazastreifen sowie in Teilen des Westjordanlandes geschehen. Deshalb müsse Israel bei jeder künftigen Vereinbarung oder auch bei Nichtzustandekommen einer Vereinbarung die «Sicherheitskontrolle» über das gesamte Gebiet westlich des Jordans - also Israel, das Westjordanland und den Gazastreifen - behalten.

Die internationale Gemeinschaft sollte nach Worten des EU-Außenbeauftragten Josep Borrell die Zweistaatenlösung notfalls auch gegen den Willen Israels «von außen aufzwingen». Sonst werde sich «die Spirale des Hasses Generation um Generation» weiterdrehen, sagte Borrell am Freitag bei einer Rede in der Universität von Valladolid in Spanien, wo ihm die Ehrendoktorwürde verliehen wurde.

Borrell betonte jedoch, Israelis und Palästinenser seien nicht mehr zu einem Kompromiss fähig. «Die Beteiligten sind zu sehr gegeneinander aufgebracht, um aus eigener Kraft noch zu einer Verständigung zu kommen», betonte der EU-Chefdiplomat, der bei der Rede in der traditionellen Tracht der Universität auftrat. Er rief die «arabische Welt, Europa, die USA und die gesamten Vereinten Nationen» auf, die Bildung eines Palästinenserstaates auch gegen den Widerstand Israels anzuerkennen.

Kämpfe gehen weiter: Israel fängt Drohne ab

Nach eigenen Angaben hat das israelische Militär eine aus dem Libanon kommende Drohne über dem Mittelmeer abgefangen. Das Raketenabwehrsystem Eisenkuppel («Iron Dome») habe das Geschoss über dem offenen Meer zerstört, teilte die Armee mit.

Israelische Kampfflugzeuge griffen daraufhin Stellungen, Militäranlagen und «terroristische Infrastruktur» der schiitischen Hisbollah-Miliz im Südlibnon an, hieß es weiter. Bereits davor sei das Militär mit Kampfjets, Panzern und Mörsern gegen Hisbollah-Stellungen in der Region vorgegangen.

Die Schiiten-Miliz gab in Beirut bekannt, israelische Stellungen im Gebiet der Schebaa-Farmen angegriffen zu haben. Die sogenannten Schebaa-Farmen an der Grenze zwischen dem Libanon, Israel und Syrien gehören nach Auffassung der UN zu den 1967 von Israel besetzten syrischen Gebieten. Syrien und einige Parteien im Libanon betrachten das Gebiet jedoch als libanesisches Territorium.

Gefangene in Windeln: UN-Menschenrechtsbüro kritisiert Israel

Das UN-Menschenrechtsbüro hat Israels Umgang mit festgenommenen Palästinensern kritisiert. Männer würden teils nach mehr als acht Wochen Inhaftierung einzig mit Windeln bekleidet freigelassen, berichtete der Vertreter des Büros, Ajith Sunghay. Sie hätten von Schlägen, Erniedrigungen und Misshandlungen berichtet, die womöglich Folter darstellten. «Sie standen unter Schock und waren verstört, als ich sie gesehen habe», sagte er. Sunghay sprach am Freitag über Videoverbindung aus dem Gazastreifen mit Reportern in Genf. Die Zahl der Festgenommenen sei unklar, sagte er. Das UN-Menschenrechtsbüro gehe davon aus, dass Tausende Palästinenser von Israel festgehalten werden oder wurden.

Ein Freigelassener habe ihm berichtet, er habe nur einmal in 55 Tagen duschen dürfen, sagte Sunghay. Alle hätten berichtet, dass ihnen die Augen verbunden wurden, teils tagelang. Viele sagten, sie seien nach Israel gebracht worden. Sie hätten keinen Kontakt zu ihren Familien oder Anwälten gehabt.

Sanktionen gegen Hamas-Unterstützer

Die EU nimmt mit einem neuen Sanktionsinstrument Mitglieder und Unterstützer der islamistischen Hamas ins Visier. In einem ersten Schritt wurden sechs Personen mit Strafmaßnahmen belegt, wie aus dem EU-Amtsblatt hervorgeht. Unter ihnen sind Geldgeber der Hamas aus dem Sudan und Algerien sowie Männer, die an Geldwäsche- und Geldtransfer-Aktivitäten zugunsten der Organisation beteiligt sein sollen. Zudem ist auch Musa Muhammad Salim Dudin betroffen. Er ist laut EU ein führender Akteur der Hamas und ein Mitglied des Politbüros der Gruppe.

Infolge der Sanktionsentscheidung der EU müssten in der EU nun alle Gelder sowie andere finanzielle Vermögenswerte und wirtschaftliche Ressourcen der betroffenen Personen eingefroren werden. Zudem dürfen sie nicht mehr in die EU einreisen und nicht mehr aus der EU mit Vermögenswerten und wirtschaftlichen Ressourcen versorgt werden.

Parlamentarier fordern Waffenstillstand und Friedensprozess

Mehr als 50 Parlamentarier aus Deutschland, Kanada und den USA haben einen «sofortigen Waffenstillstand» im Gazastreifen gefordert. Es müsse einen neuen Anlauf zur Lösung des Konflikts zwischen Israel und den Palästinensern geben, forderten die Politiker in einem offenen Brief. Unter ihnen sind 20 Bundestagsabgeordnete der SPD, darunter der Außenpolitiker Ralf Stegner und Bundestagsvize Aydan Özoguz, 3 SPD-Europaabgeordnete sowie 20 kanadische Parlamentarier und 10 US-Abgeordnete. Zuvor hatte die Tageszeitung «taz» darüber berichtet.

Die Unterzeichner verurteilen den Terrorakt der islamistischen Hamas am 7. Oktober als «Zivilisationsbruch aus Mord, Folter, sexualisierter Gewalt und Geiselnahme» aufs Schärfste. Alle Geiseln müssten sofort freigelassen werden. Wie jeder andere Staat habe Israel im Rahmen des Völkerrechts das Recht, sich selbst zu verteidigen. Die Kampfhandlungen in Gaza ließen jedoch keinen Schutzraum mehr für Zivilisten in dem dicht besiedelten Gebiet zu.

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