Moskau feiert Sieg von 1945 - und Ukraine-Krieg
Eigentlich geht es am 9. Mai um den sowjetischen Sieg über Nazi-Deutschland. Doch Putin nutzt die große Militärparade auch zur Rechtfertigung des Kriegs gegen die Ukraine - und für eine Atomdrohung.
Eigentlich geht es am 9. Mai um den sowjetischen Sieg über Nazi-Deutschland. Doch Putin nutzt die große Militärparade auch zur Rechtfertigung des Kriegs gegen die Ukraine - und für eine Atomdrohung.
Wie auf Knopfdruck fängt es an zu schneien, als die große Militärparade in Moskau um Punkt 10.00 Uhr Ortszeit beginnt. Ein eisiger Wind weht über den Roten Platz. Zwei Tage nach Beginn seiner fünften Amtszeit beschwört Kremlchef Wladimir Putin am sogenannten Tag des Sieges vor rund 9000 Soldaten und Hunderten Besuchern Russlands Stärke.
Offiziell ist der 9. Mai ein Gedenktag für den sowjetischen Sieg über Nazi-Deutschland vor 79 Jahren. Doch Putin nutzt den Feiertag längst auch, um seinen eigenen Angriffskrieg gegen die Ukraine zu rechtfertigen, der mittlerweile seit deutlich mehr als zwei Jahren andauert. Auch eine Drohung in Richtung Westen spricht er aus.
Die russischen Soldaten, die derzeit an der Front in der Ukraine kämpften, seien «Helden», sagt Putin, als er ans Mikrofon tritt. Unter den aufmarschierten Soldaten vor ihm auf dem Platz ist auch ein ganzer Block von Männern, die bereits in der Ukraine gekämpft haben sollen. «Ganz Russland steht euch bei!», ruft der Kremlchef.
Erst danach widmet er sich ausführlich den Weltkriegsveteranen, die im Kampf gegen die Faschisten von NS-Diktator Adolf Hitler ihr Leben ließen. Einige hochbetagte Überlebende haben auf der Tribüne rund um Putin Platz genommen.
Vorwürfe an den Westen
Immer wieder behauptetet die russische Propaganda, in Kiew seien «Neonazis» an der Macht und der eigene Angriffskrieg sei deshalb in Wirklichkeit eine Fortsetzung des Kampfes gegen den Faschismus in Europa. Und so erhebt Putin an diesem Gedenktag zum wiederholten Mal Vorwürfe in Richtung westlicher Staaten, die die Ukraine in ihrem Überlebenskampf militärisch und finanziell unterstützen.
Im Ausland werde versucht, die Erinnerung an den sowjetischen Sieg zu verfälschen, behauptet der Kremlchef direkt zu Beginn seiner Rede. Dem Westen wirft der 71-Jährige «Revanchismus, die Verhöhnung der Geschichte und das Bemühen, die heutigen Nachahmer der Nazis zu rechtfertigen» vor.
Schließlich nutzt Putin, der erst kürzlich eine Übung von Russlands Atomstreitkräften befahl, seinen Auftritt auf dem Roten Platz auch noch für eine Drohgebärde: «Russland tut alles, damit es nicht zu einer globalen Konfrontation kommt», sagt er. «Doch zugleich lassen wir nicht zu, dass uns irgendjemand bedroht. Unsere strategischen Kräfte sind immer in Einsatzbereitschaft.»
Das nukleare Säbelrasseln ist offenbar ein Ausdruck von Moskaus Unmut über jüngst bewilligte neue US-Hilfen für Kiew in Milliardenhöhe. Außerdem - so erklärte es der Kreml kürzlich selbst - ist es eine Antwort auf Gedankenspiele einzelner westlicher Politiker, die eine mögliche Truppenentsendung in die Ukraine nicht kategorisch ausschließen wollen.
Parade fällt deutlich kleiner aus
Angesichts jüngster Eroberungen von kleineren Ortschaften in der Ostukraine gibt sich Moskau an diesem Tag selbstsicher. Dennoch sind die Folgen des Krieges auch hier nicht zu übersehen. Mit rund 70 Militärfahrzeugen, die über den Roten Platz rollen, ist die diesjährige Parade deutlich kleiner als die im Vorjahr. Der einzige richtige Panzer, den die Besucher zu sehen bekommen ist, ist der historische T-34, den die Rote Armee in den 1940er-Jahren einsetzte. Immerhin die berühmte Flugshow mit Kampfjets findet statt, nachdem sie zuvor zwei Jahre infolge abgesagt wurde.
In vielen anderen russischen Regionen hingegen fielen die Paraden aus Sicherheitsgründen komplett aus. Keine öffentlichen Feierlichkeiten gibt es etwa in den Gebieten Brjansk und Kursk, die an die Ukraine grenzen und selbst immer wieder unter Beschuss stehen. Auch der Traditionsmarsch «Unsterbliches Regiment», bei dem Menschen nach der Parade große Fotos von Weltkriegsveteranen durch die Straßen trugen, fand landesweit nicht statt.
Wenige Staatschefs nehmen teil
Die Parade an diesem 9. Mai zeigt jedoch auch, wie isoliert Putin durch seinen Krieg in weiten Teilen der Welt ist. Neben den Staatschefs von fünf Ex-Sowjetrepubliken sind nur die Oberhäupter von Kuba, Laos und Guinea-Bisseau nach Moskau angereist. Westlichen Besuch gibt es stattdessen in der ukrainischen Hauptstadt Kiew, wo die deutsche Entwicklungsministerin Svenja Schulze sowie die Präsidentin des Europäischen Parlaments, Roberta Metsola, eintrafen.
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj nutzt den Tag, um die russische Propaganda zu kontern. Angesichts der täglichen Bombardierung seines Landes durch russische Truppen bekräftigt er, wie wichtig es sei, den Nachfahren ein friedliches Europa zu hinterlassen. Erst wenige Stunden zuvor hat Russland den ukrainischen Süden mit der Hafenstadt Odessa mit 20 Kampfdrohnen beschossen. Es brauche ein Europa, sagt Selenskyj, «das weder Hitler noch Putin zerstören».
Nach dem Ende der Parade in Moskau lief Putin in Begleitung seiner ausländischen Gäste und vieler Personenschützer an einer der Besuchertribünen vorbei. Die Menschen dort stehen auf und jubeln. «Wladimir Wladimirowitsch, hallo!», ruft ein kleines Mädchen dem Kremlchef begeistert zu. Die Erwachsenen schreien «Hurra, hurra!». Putins Version vom Kampf gegen den Faschismus, den er angeblich in der Ukraine fortführt, stellt hier an diesem außergewöhnlich kalten Mai-Tag offensichtlich kaum jemand infrage.
Von Hannah Wagner und Friedemann Kohler, dpa
© dpa-infocom, dpa:240509-99-971762/9
Copyright 2024, dpa (www.dpa.de). Alle Rechte vorbehalten