Nach der tödlichen Messerattacke von Mannheim geht die Bundesanwaltschaft von einer religiösen Motivation des Täters aus. Die oberste deutsche Anklagebehörde übernahm die Ermittlungen, wie eine Sprecherin in Karlsruhe mitteilte. Sie begründete dies mit der besonderen Bedeutung des Falls. Man gehe davon aus, dass der Mann islamkritischen Menschen ihr Recht auf freie Meinungsäußerung absprechen wollte, sagte sie der Deutschen Presse-Agentur. Zuvor hatte der «Spiegel» berichtet.
Die schreckliche Gewalttat sei erschütternd, sagte Bundesjustizminister Marco Buschmann. «Zugleich mahnt sie uns: Die Gefahr, die vom religiösen Fanatismus und radikalen Islamismus ausgeht, ist ungebrochen groß», fügte der FDP-Politiker hinzu. Solche Taten zu verhindern und zu verfolgen müsse für die deutschen Sicherheitsbehörden und die Justiz weiterhin höchste Priorität haben. Daher sei es gut, dass der Generalbundesanwalt nun die Ermittlungen übernommen habe, um die genauen Hintergründe aufzuklären.
Was war passiert?
Am Freitag hatte ein 25-Jähriger mit afghanischer Staatsbürgerschaft auf dem Mannheimer Marktplatz bei einer Veranstaltung der islamkritischen Bewegung Pax Europa (BPE) ein Messer gezückt. Er verletzte sechs Männer, darunter einen 29 Jahre alten Polizisten. Dieser erlag am Sonntagnachmittag seinen Verletzungen. Durch den Schuss eines weiteren Polizisten wurde der Angreifer gestoppt. Unter den Verletzten waren laut Polizei ein Iraker und ein deutsch-kasachischer Doppelstaatler.
Es gibt Videoaufnahmen, die zeigen, dass der Angreifer sich den Infostand von Pax Europa angeschaut hatte, kurz bevor er das erste Mal zustach. Insofern ist ein Zusammenhang denkbar zwischen dem Angriff und der islamkritischen Veranstaltung mit Vorstandsmitglied Michael Stürzenberger, der auch bei dem Angriff verletzt wurde. Am Stand der rechtspopulistischen Bewegung waren Slogans wie «Der Politische Islam bedroht Demokratie, Freiheit, Sicherheit und Menschenrechte!» zu lesen.
Bisher sei der Täter aus gesundheitlichen Gründen nicht vernehmungsfähig gewesen, hieß es von der Staatsanwaltschaft. Neben Aussagen zum Tatmotiv vom Täter selbst erhoffen sich die Ermittler weitere Erkenntnisse durch die Auswertung der bei der Durchsuchung seiner Wohnung im hessischen Heppenheim gefundenen Datenträger.
Was ist bekannt über den Täter?
Bis jetzt nicht viel. Nach Angaben aus Sicherheitskreisen war er zuvor weder als Straftäter noch als Extremist aufgefallen. Er kam nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur 2013 als Teenager nach Deutschland und stellte einen Asylantrag. Dieser wurde 2014 abgelehnt. Es wurde allerdings ein Abschiebeverbot verhängt, vermutlich wegen des jugendlichen Alters. In Heppenheim wohnte der Täter zuletzt mit seiner Ehefrau und zwei Kleinkindern. Wo die Frau ist und ob sie schon vernommen wurde, ist nicht bekannt.
Streifenwagen mit Trauerflor und Schweigeminute
Die Anteilnahme nach dem Tod des jungen Polizisten ist groß. Baden-Württembergs Innenminister Thomas Strobl (CDU) ordnete eine Schweigeminute und Trauerflor an. Die Polizisten in Mannheim wollen bei einer Trauerfeier Abschied von ihrem Kollegen nehmen.
Am kommenden Freitag – eine Woche nach der Tat – soll um 11.34 Uhr des Beamten gedacht werden, teilte das Stuttgarter Innenministerium mit. Wann die Trauerfeier stattfinden soll, stehe bisher nicht fest, sagte ein Polizeisprecher. Man wolle zunächst der Familie Raum zum Trauern geben. «Wir brauchen noch etwas Zeit.» Am Montagabend fand in Mannheim in Tatortnähe eine Kundgebung statt, bei der auch Blumen niedergelegt wurden. Laut Polizei beteiligten sich 8000 Menschen.
Politische Debatte
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) kündigte ein striktes Vorgehen gegen Extremisten an. Der Polizist habe für Frieden und Sicherheit sein Leben verloren. Er sei im Einsatz gewesen, weil er die Demokratie beschützt habe und das Recht von allen, die eigene Meinung zu sagen, egal, ob sie irgendwem sonst gefalle. «Wenn jetzt Extremisten die Freiheit, sich zu bewegen, seine Meinung zu äußern, beeinträchtigen, dann müssen sie wissen, dass sie uns als ihre härtesten Gegner haben», sagte Scholz.
Hamburg will sich auf der nächsten Innenministerkonferenz (IMK) für eine Abschiebung schwerkrimineller Syrer und Afghanen in ihre Heimatländer einsetzen. Die Ministerrunde solle das Bundesinnenministerium bitten, die Sicherheitslage in Afghanistan und in der Region der syrischen Hauptstadt Damaskus neu zu bewerten. Aus dem Bundesinnenministerium hieß es, Ministerin Nancy Faeser (SPD) prüfe intensiv Möglichkeiten, wie Abschiebungen von Straftätern und Gefährdern nach Afghanistan wieder erfolgen könnten. In diesen Fällen müsse das Sicherheitsinteresse Deutschlands klar gegenüber dem Bleibeinteresse des Betroffenen überwiegen. Angesichts der schwierigen Sicherheitslage und der Tatsache, dass keine international anerkannte Regierung in Afghanistan existiere, seien aber schwierige Fragen zu klären.
BSW-Parteigründerin Sahra Wagenknecht forderte eine Kehrtwende in der Migrationspolitik. «Die extrem steigende Kriminalität von Nichtdeutschen, die sich in immer mehr Gewaltdelikten, Messerattacken und Vergewaltigungen äußert, ist ein sehr ernstes Problem, das beim Namen genannt werden muss», sagte sie.
Linken-Chef Martin Schirdewan verurteilte den Angriff von Mannheim scharf, zugleich betonte er, Menschen einer bestimmten Bevölkerungsgruppe dürften nicht unter Generalverdacht gestellt werden. Zu denjenigen, die ihr Entsetzen über den Angriff bekundeten, gehörten auch der Vertreter der palästinensischen Autonomiebehörde in Deutschland, Laith Arafeh, und der Vorstand der neuen Partei Demokratische Allianz für Vielfalt und Aufbruch (Dava), in der sich unter anderem ehemalige Funktionäre von Islam-Verbänden engagieren.
Laut «Rheinischer Post» soll sich auf Antrag der Unionsfraktion der Bundestag in einer Aktuellen Stunde mit der Tat und der Gewalt gegen Polizisten beschäftigen. Der Chef der Gewerkschaft der Polizei (GdP), Jochen Kopelke, sagte der Zeitung: «Der Deutsche Bundestag muss das Thema Gewalt gegen Polizisten und Messergewalt zusammen debattieren.» Dann müsse auch «Entschlossenheit im Durchsetzen von Abschiebungen von Straftätern und Rückhalt für Polizisten folgen».
Baerbock: Debatte über verschärfte Migrationspolitik kontraproduktiv
Bundesaußenministerin Annalena Baerbock hat davor gewarnt, die tödliche Messer-Attacke von Mannheim für eine Debatte über eine verschärfte Migrationspolitik zu instrumentalisieren. Dies wäre «wirklich total kontraproduktiv», sagte die Grünen-Politikerin beim «Ständehaus-Treff» der «Rheinischen Post» in Düsseldorf.
«Wenn das Ziel von Extremisten ist - egal ob Rechtsextremisten oder Islamisten - freie Gesellschaften zu spalten, muss doch die Antwort sein, dass wir als Gesellschaft geschlossen darauf antworten», mahnte Baerbock. Spaltungsdiskussionen seien fehl am Platz.
«Natürlich hat mich das stark mitgenommen», sagte die Ministerin über die Mannheimer Bluttat. Jetzt müsse die ganze Gesellschaft deutlich machen, dass sie es nicht akzeptiere, «dass mit Hass und Hetze, mit Gewalt, mit Tötungsabsichten unsere Demokratie kaputt gemacht wird».
Was passiert mit dem Täter?
Eine mögliche Haftstrafe müsste der Täter von Mannheim in Deutschland verbüßen. Ob und wann ein ausländischer Straftäter nach Verbüßung der Haftstrafe abgeschoben wird, hängt von verschiedenen Faktoren ab, unter anderem von der Situation in seinem Herkunftsland zum Zeitpunkt der Haftentlassung.
Von Aleksandra Bakmaz und Anne-Beatrice Clasmann, dpa
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