Machtkampf der Konservativen: Wahlen im Iran
Während kritische Kandidaten von den Wahlen weitgehend ausgeschlossen sind, wollen viele Menschen im Iran dieses Mal nicht wählen. Mehr als das Ergebnis interessiert viele Experten eine andere Sache.
Während kritische Kandidaten von den Wahlen weitgehend ausgeschlossen sind, wollen viele Menschen im Iran dieses Mal nicht wählen. Mehr als das Ergebnis interessiert viele Experten eine andere Sache.
Nach einer vierstündigen Verlängerung sind die Wahlen im Iran ohne große Zwischenfälle beendet worden. Die landesweit fast 60.000 Wahllokale waren von 8.00 bis Mitternacht Ortszeit geöffnet. Mit ersten Ergebnissen wird am Wochenende gerechnet. Staatsmedien zufolge sind die Schulen am Samstag, dem Beginn der iranischen Woche, wegen der Verzögerung der Wahlen geschlossen.
Rund 61 Millionen Menschen waren dazu aufgerufen, ein neues Parlament (Madschles) und den Expertenrat, ein einflussreiches Gremium islamischer Geistlicher, zu wählen. Zahlreiche kritische Kandidaten wurden vor den Wahlen durch den sogenannten Wächterrat ausgeschlossen. Die Bevölkerung ist desillusioniert von gescheiterten Reformversuchen der vergangenen Jahrzehnte. Viele Menschen wollten nicht wählen gehen.
Religionsführer Ajatollah Ali Chamenei eröffnete in einer Hochsicherheitszone die Wahlen mit seiner Stimmabgabe. «Die Augen der Menschen und Politiker in der Welt sind auf den Iran gerichtet», sagte Chamenei vor Journalisten. «Sowohl Freunde als auch Feinde», fügte er hinzu. Seit Wochen bereits hatte die Staatsspitze für die Wahlen geworben.
Erste Angaben zur Wahrbeteiligung
Einem ersten Bericht zufolge wurde eine Wahlbeteiligung von etwa 41 Prozent verzeichnet. Wie die regierungsnahe Nachrichtenagentur Fars in der Nacht berichtete, gaben rund 25 von 61 Millionen Wahlberechtigten ihre Stimmen ab. Unabhängig überprüfen lassen sich die Angaben nicht. Es wäre dennoch die niedrigste Wahlbeteiligung in der Geschichte der Islamischen Republik nach 42,6 Prozent Wahlbeteiligung bei der Parlamentswahl 2020.
In der Hauptstadt Teheran war zuletzt wenig Wahlstimmung zu erkennen. Viele Menschen sind nach gescheiterten Reformversuchen der vergangenen Jahrzehnte desillusioniert und planten, der Abstimmung fernzubleiben. Das Lager der Reformpolitiker ist extrem geschwächt. Vor allem konservative Kräfte ringen in der Folge um die Macht. Es sind die ersten Wahlen nach den von Frauen angeführten Protesten im Herbst 2022. Bekannte Aktivisten, unter ihnen die inhaftierte Friedensnobelpreisträgerin Narges Mohammadi, riefen zum Boykott auf.
Im verschneiten Norden der Hauptstadt Teheran möchten nur wenige ihre Meinung über die Wahlen preisgeben. «Diese Wahlen sind nur eine Fassade und haben keine Auswirkung auf die Zukunft des Landes», klagte ein junger Barista. «Die wirtschaftliche Situation wird jeden Tag schlechter», fügte er hinzu. Eine 27 Jahre alte Frau äußerte sich ähnlich. Früher habe sie gewählt, heute nicht mehr.
«Die Unterdrückung der Menschen bei den Protesten hat sich negativ auf die Wahlbeteiligung ausgewirkt», sagte sie. Im konservativen Süden der Hauptstadt gehen mehr Menschen an die Wahlurnen. «Wählen ist eine religiöse Pflicht», sagte etwa eine 23-Jährige. «Ich hoffe nur, dass die Politiker uns nicht enttäuschen.»
Politisches System zwischen Theokratie und Republik
Das politische System der Islamischen Republik vereint seit der Revolution von 1979 theokratische und republikanische Elemente. Die 290 Sitze des Parlaments, fünf davon reserviert für religiöse Minderheiten, werden alle vier Jahre vom Volk gewählt. Der sogenannte Wächterrat, ein erzkonservatives Kontrollgremium, entscheidet dabei über die ideologische Eignung der Politiker. In der Folge können die Bürger meist nur aus einem Kreis systemtreuer Kandidaten auswählen. Der Wächterrat schloss beispielsweise 5000 Bewerber aus. Dennoch kandidiert eine Rekordzahl von 15 000 Iranerinnen und Iranern.
Kandidatinnen und Kandidaten gehen nicht mit Parteien ins Rennen, sondern organisieren sich über Listen. In Teheran etwa werden 30 Sitze für die Nationalversammlung gewählt, entsprechend stellen die Bündnisse jeweils 30 Kandidaten vor. In der Hauptstadt konkurrieren ein halbes Dutzend konservative Gruppen um die Vorherrschaft. Wenige Tage vor der Wahl deutete sich ein erbitterter Machtkampf zwischen dem amtierenden Parlamentspräsidenten Mohammed Bagher Ghalibaf und erzkonservativen Lagern an. Die aktuelle Legislaturperiode endet am 26. Mai.
Der Staatsspitze dürften die Wahlen nicht gleichgültig sein, wie jüngste Äußerungen von Spitzenpolitikern und auch Religionsführer Ajatollah Ali Chamenei zeugen. Sie riefen die Nation eindringlich dazu auf, an den Abstimmungen teilzunehmen. Bei der vergangenen Parlamentswahl im Jahr 2020 lag die Wahlbeteiligung offiziell bei knapp über 40 Prozent, dem niedrigsten Wert in der Geschichte der Islamischen Republik. Viele Menschen im Iran interessiert folglich, wie niedrig die Wahlbeteiligung dieses Mal sein wird.
Wahl des Expertenrats rückt ins Zentrum der Aufmerksamkeit
Neben dem Parlament wird auch der Expertenrat direkt vom Volk gewählt. Dem auf acht Jahre gewählten Gremium gehören 88 schiitische Geistliche an, die im Todesfall die Nachfolge des Religionsführers bestimmen. Chamenei gilt als mächtigster Mann im Iran, im April wird das Staatsoberhaupt bereits 85 Jahre alt. Nur 144 Kandidaten sind für den Rat zugelassen. Begründet wurde die geringe Zahl mit strengen theologischen Auflagen. Für Kritik sorgte vor den Wahlen die Disqualifikation des moderaten Ex-Präsidenten Hassan Ruhani, der bereits seit mehr als 20 Jahren Mitglied des Expertenrats ist.
Das Parlament ist Irans gesetzgebende Institution. Die eigentliche Macht konzentriert sich aber auf die Staatsführung mit Religionsführer Chamenei an der Spitze. Auch der Präsident wird alle vier Jahre vom Volk als Regierungschef gewählt und ernennt die Minister. Daneben hat auch der Sicherheitsrat weitreichende Befugnisse. Irans Elitestreitmacht, die Revolutionswächter (IRGC), haben in den vergangenen Jahrzehnten ihren Einfluss auf allen Ebenen ausgebaut und sind zu einem Wirtschaftsimperium aufgestiegen.
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