«Bundesregierung darf auch einen gewissen Entscheidungsspielraum haben»: Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier.
Britta Pedersen/dpa
«Bundesregierung darf auch einen gewissen Entscheidungsspielraum haben»: Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier.
Bundespräsident

Kritik an Steinmeier nach Aussage zu «Kaliber-Experten»

Der Bundespräsident lässt erkennen, dass ihn die Debatte über bestimmte Waffen für Kiew irritiert. Er zeigt Verständnis dafür, dass der Kanzler keine Taurus-Systeme liefert. Das missfällt manchen.

Außen- und Verteidigungspolitiker mehrerer Parteien haben Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier für Aussagen rund um die deutschen Ukraine-Hilfen kritisiert. Die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses, Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP), hielt ihm ein falsches Rollenverständnis vor. «Anstelle als Bundespräsident seiner Rolle gerecht zu werden und eine große Rede an die Bürgerinnen und Bürger zu halten, um ihnen die Ernsthaftigkeit der Lage zu erklären, zieht er Experten ins Lächerliche, um den Wahlkampf der SPD zu unterstützen», sagte Strack-Zimmermann dem «Tagesspiegel». Das sei «schlicht unwürdig».

Steinmeier hatte am Freitag auf dem Leserkongress der «Frankfurter Allgemeinen Zeitung» (FAZ) in Frankfurt zur Entscheidung von Kanzler Olaf Scholz (SPD), der Ukraine keine Taurus-Marschflugkörper zu liefern, gesagt: «Ehrlich gesagt, bei der Größenordnung, die wir mittlerweile zur Verfügung stellen, finde ich, darf die Bundesregierung auch einen gewissen Entscheidungsspielraum haben, was sie zur Verfügung stellt und was dann möglicherweise auch nicht.»

Gleichzeitig drückte er ein Missbehagen zur deutschen Debatte über Waffensysteme aus. «Ja, muss man über alles diskutieren, und die Militärexperten, die Kaliber-Experten, tun das ja auch mit Ausgelassenheit und mit wachsendem Ehrgeiz», so der Bundespräsident. Nach zwei Jahren Krieg und «doch eindrucksvoller» Unterstützung Kiews durch Deutschland sei es zugleich «keine so schlechte Zwischenbilanz», dass die Bevölkerung immer noch mehrheitlich hinter der Ukraine-Politik von Scholz stehe.

Röttgen: «Spott und Abschätzigkeit»

Der Erste Parlamentarische Geschäftsführer der CDU/CSU-Fraktion, Thorsten Frei, sagte der Deutschen Presse-Agentur, der Bundespräsident dürfe erwarten, dass man ihm und seinem Amt mit Respekt und Zurückhaltung begegne. Dieses Gebot sei aber keine Einbahnstraße. «Wenn Frank-Walter Steinmeier plötzlich in die Tagespolitik einsteigt und über Themen spöttisch herzieht, die von Abgeordneten des Deutschen Bundestags ernsthaft diskutiert werden, überschreitet er leichtfertig und ohne Not Grenzen seines Amtes und muss dann auch mit Widerspruch leben.» Der CDU-Außenpolitiker Norbert Röttgen warf Steinmeier im «Tagesspiegel» vor, aus seinen Formulierungen spreche «Spott und Abschätzigkeit». 

Auf die Kritik angesprochen, verwies Steinmeier am Dienstag auch während seiner Prag-Reise auf die «enormen Anstrengungen» Deutschlands, aber auch Tschechiens zur Unterstützung der Ukraine. Das gelte finanziell, wirtschaftlich und auch militärisch. Zur militärischen Unterstützung sagte er weiter: «Ich bitte um Verständnis, dass ich als Bundespräsident der Bundesregierung nicht Empfehlungen geben kann, auf welche Waffen sie verzichten kann, welche Waffen sie bei der Nato anmeldet und was für die Schwerpunkte, die das Verteidigungsministerium, die Bundesregierung ausgesucht hat, hilfreich ist.»

Die Debatte über mögliche Lieferungen von Taurus-Marschflugkörpern mit großer Reichweite an die Ukraine wird seit Monaten geführt. Laut einer am Dienstag veröffentlichten Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Forsa für das RTL/ntv-«Trendbarometer» lehnt eine Mehrheit von 56 Prozent der Deutschen weiterhin Taurus-Lieferungen ab. Im März sprachen sich demnach noch 66 Prozent dagegen aus. 37 Prozent der Bundesbürger (gegenüber 28 Prozent im März) sind der aktuellen Befragung zufolge dafür, die Ukraine mit diesem Waffensystem zu unterstützen.

© dpa-infocom, dpa:240430-99-863345/4
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