Israelische Armee dringt weiter in Rafah vor
Israels Verbündete warnen seit Monaten vor einer größeren Offensive in Rafah. Doch nun dringen israelische Streitkräfte laut Augenzeugenberichten tiefer in die Stadt im Süden des Gazastreifens ein.
Israels Verbündete warnen seit Monaten vor einer größeren Offensive in Rafah. Doch nun dringen israelische Streitkräfte laut Augenzeugenberichten tiefer in die Stadt im Süden des Gazastreifens ein.
Israelische Truppen sind nach Augenzeugenberichten tiefer in die Stadt Rafah im Süden des Gazastreifens vorgedrungen. Panzer bewegten sich demnach von Osten aus in weiter westlich gelegene Viertel. Die Armee äußerte sich zunächst nicht zu den Berichten.
Verbündete wie die USA hatten Israel insbesondere wegen der befürchteten Konsequenzen für die Zivilbevölkerung immer wieder vor einer großen Bodenoffensive in der Stadt gewarnt. Dort hatten bis vergangene Woche rund eine Million Menschen Schutz vor Kämpfen im übrigen Gazastreifen gesucht. Fast 450.000 Menschen haben laut UN-Schätzungen binnen einer Woche Rafah wieder verlassen. «Leere Straßen in Rafah, während Familien weiter fliehen auf der Suche nach Sicherheit», schrieb das Palästinenserhilfswerk UNRWA auf der Plattform X.
Die israelische Armee war vor gut einer Woche von Osten auf die Stadt vorgerückt und kontrolliert seitdem auch den palästinensischen Teil des Rafah-Grenzübergangs nach Ägypten. Israel übt militärischen Druck auf die islamistische Hamas in Rafah aus, um die Freilassung von im Oktober verschleppten Geiseln zu erreichen. Israel will auch die verbliebenen Bataillone der Extremisten zerschlagen.
«Die Menschen sind ständig mit Erschöpfung, Hunger und Angst konfrontiert», hieß es in dem X-Post von UNRWA. «Es ist nirgendwo sicher. Eine sofortige Waffenruhe ist die einzige Hoffnung.»
Heftige Kämpfe vom Norden bis Süden des Gazastreifens
Israelische Angriffe und Kämpfe im Gazastreifen dauerten auch am Dienstag an. Palästinensische Augenzeugen berichteten von fortwährendem israelischem Beschuss im Norden, Süden und mittleren Abschnitt des Küstenstreifens. Der militärische Arm der Terrororganisation Hamas teilte mit, seine Kämpfer hätten in Rafah mehrfach israelische Truppen am Grenzübergang nach Ägypten angegriffen. Außerdem hätten sie einen israelischen Truppentransporter in Rafah beschossen.
Die israelische Armee teilte mit, die Streitkräfte hätten am Rafah-Grenzübergang «mehrere bewaffnete Terrorzellen im Kampf aus nächster Nähe ausgeschaltet». Auch der Einsatz im Flüchtlingsviertel Dschabalia im Norden des Gazastreifens sei ausgeweitet worden. Mit Panzerfeuer seien «Dutzende Terroristen ausgeschaltet worden», die auf israelische Truppen geschossen hätten. Insgesamt habe die Luftwaffe binnen 24 Stunden «mehr als 100 Terrorziele im Gazastreifen angegriffen».
Die von der Hamas kontrollierte Gesundheitsbehörde teilte mit, seit Kriegsbeginn vor mehr als sieben Monaten seien 35.173 Palästinenser im Gazastreifen getötet und mehr als 79.000 weitere verletzt worden. Die unabhängig kaum zu verifizierende Zahl unterscheidet nicht zwischen Zivilisten und Kämpfern.
Hamas greift erneut israelische Städte an
Die Hamas feuerte am Dienstag erneut eine Rakete aus dem Gazastreifen auf die israelische Küstenstadt Aschkelon ab. Der militärische Hamas-Arm reklamierte den Angriff für sich. Die israelische Nachrichtenseite Ynet berichtete, das Geschoss sei von der Raketenabwehr abgefangen worden. Auch in Sderot gab es am Dienstag Raketenalarm. Die neuen Angriffe aus Gaza kamen, während in der Grenzstadt hunderte von rechtsorientierten Israelis für eine Wiederbesiedlung des 2005 von Israel geräumten Gazastreifens demonstrierten.
Die Hamas hat zuletzt wieder verstärkt israelische Ortschaften vom Gazastreifen aus angegriffen. Seit Beginn des Gaza-Kriegs vor mehr als sieben Monaten sind nach israelischen Angaben mehr als 16.600 Geschosse aus dem Küstenstreifen abgefeuert worden.
Ärzte ohne Grenzen: Weiteres Krankenhaus in Rafah muss schließen
Angesichts der fortschreitenden israelischen Militäroffensive in Rafah im südlichen Gazastreifen hat die Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen die Versorgung im Indonesischen Krankenhaus in Rafah eingestellt.
Die 22 dort noch verbliebenen Patientinnen und Patienten seien an andere Einrichtungen überwiesen worden, da ihre Sicherheit nicht mehr gewährleistet werden konnte, teilte eine Sprecherin am Dienstag mit.
Seit Kriegsbeginn habe man zwölf Gesundheitseinrichtungen verlassen und 26 Angriffe erleben müssen, «darunter Luftangriffe, die Krankenhäuser beschädigten, Panzer, die auf gekennzeichnete Unterkünfte feuerten, Bodenangriffe auf medizinische Einrichtungen und Konvois, die beschossen wurden», sagte Michel-Olivier Lacharité, Notfallkoordinator von Ärzte ohne Grenzen, laut der Mitteilung.
Katar: Nahezu «Stillstand» bei Gesprächen zur Waffenruhe im Gaza-Krieg
Die Bemühungen um eine Waffenruhe im Gaza-Krieg sind dem Vermittlerstaat Katar zufolge nahezu zum «Stillstand» gekommen. Es gebe grundlegende Unstimmigkeiten zwischen der Hamas und Israel, sagte der katarische Ministerpräsident Mohammed bin Abdulrahman Al Thani in der Hauptstadt Doha.
Eine Seite wolle den Krieg beenden und dann über die Geiseln sprechen, die andere Seite wolle die Geiseln befreien und den Krieg fortsetzen. «Solange es keine Einigkeit bei diesen beiden Dingen gibt, werden wir zu keinem Ergebnis kommen.»
Netanjahu: Israel im Kampf um seine Existenz
Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu betonte zum Unabhängigkeitstag seines Landes Entschlossenheit. Er nannte den Krieg bei der zentralen Zeremonie zum Soldatengedenktag einen Kampf um die Existenz seines Landes. Der Ausgang des Kriegs wird nach Einschätzung seines Verteidigungsministers Joav Galant das Leben der Israelis in den kommenden Jahrzehnten bestimmen. «Dies ist ein Krieg ohne Alternative», sagte Galant.
Israels Polizeiminister für Siedlungen im Gazastreifen
Mehrere Minister der rechtsnationalen und rechtsextremen Parteien in der Koalitionsregierung des israelischen Regierungschefs Benjamin Netanjahu forderten unterdessen Medienberichten zufolge bei einer Demonstration die Errichtung jüdischer Siedlungen im Gazastreifen.
Sie nahmen demnach an einer Kundgebung im südisraelischen Sderot nahe dem Gazastreifen teil, zu der sich mehrere tausend Vertreter der extremen Rechten versammelt hatten.
«Wir müssen jetzt nach Gaza zurückkehren», sagte der Polizeiminister Itamar Ben-Gvir den Berichten zufolge. Dies sei die einzige wahre Lösung. «Wir kehren heim ins heilige Land. Und zweitens müssen wir zu freiwilliger Auswanderung der Einwohner von Gaza ermutigen.»
Internationaler UN-Mitarbeiter getötet
Nach Angaben der Vereinten Nationen wurde erstmals ein internationaler UN-Mitarbeiter im Gazastreifen getötet. Er sei bei einem Angriff auf sein Fahrzeug auf dem Weg zu einem Krankenhaus im abgeriegelten Küstenstreifen ums Leben gekommen, sagte ein Sprecher am Montag. Ein weiterer Mitarbeiter sei verletzt worden. Hintergründe des Vorfalls wie auch die Nationalität der Opfer blieben zunächst unklar.
Familien der Geiseln: Hoffnung noch nicht verloren
Währenddessen erinnerten am Vorabend des Unabhängigkeitstages bei einer Kundgebung in Tel Aviv nach Angaben der Veranstalter rund 100.000 Menschen an das Schicksal der 132 Geiseln im Gazastreifen. Die Kundgebung stand unter dem Motto «Unsere Hoffnung ist noch nicht verloren». Dabei gab es auch Proteste gegen Netanjahu und seine Regierung. Ein Redner warf der Regierung Versagen vor, weil sie den islamistischen Terrorangriff am 7. Oktober und die Geiselnahmen nicht verhindert habe.
US-Regierung: Israel begeht keinen Völkermord
«Wir glauben nicht, dass das, was in Gaza geschieht, ein Genozid ist», sagte der Nationale Sicherheitsberater von US-Präsident Joe Biden, Jake Sullivan, am Montag in Washington. «Wir haben diese Behauptung stets entschieden zurückgewiesen.» Sullivan sagte, die USA hätten ihren Standpunkt zu dieser Frage auch vor dem Internationalen Gerichtshof schriftlich und detailliert dargelegt. Er betonte zugleich: «Wir glauben, dass Israel mehr tun kann und muss, um den Schutz und das Wohlergehen unschuldiger Zivilisten zu gewährleisten.
Von Sara Lemel, Lars Nicolaysen und Eva Krafczyk, dpa
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