Israelisches Militär und Polizisten an einem beschädigten Schulgebäude, das von aus dem Iran abgefeuerten Raketen getroffen wurde.
Tsafrir Abayov/AP/dpa
Israelisches Militär und Polizisten an einem beschädigten Schulgebäude, das von aus dem Iran abgefeuerten Raketen getroffen wurde.
Nahost-Konflikt

Iran greift Israel mit fast 200 Raketen an

Landesweit heulen die Sirenen, Millionen suchen Zuflucht in Schutzräumen. Ein lange befürchteter Angriff des Irans auf Israel ist Realität geworden. Ein Gegenschlag könnte bald folgen.

Der Iran hat Israel mit zahlreichen Raketen angegriffen. Rund 180 Geschosse wurden nach ersten Schätzungen der israelischen Armee am Dienstagabend abgefeuert. Die meisten seien von Israel und einer von den USA geführten Verteidigungskoalition abgefangen worden, hieß es vom israelischen Militär. Ein Todesopfer gab es im Westjordanland und zwei Verletzte in Tel Aviv. 

Der israelische Regierungschef Benjamin Netanjahu kündigte Vergeltung an. «Der Iran hat heute Abend einen großen Fehler gemacht – und er wird dafür bezahlen», sagte Netanjahu dem israelischen Sicherheitskabinett nach Angaben seines Büros. Irans Angriff sei gescheitert.

Auch die US-Regierung bewertete den Raketenangriff auf Israel als «vereitelt und unwirksam». Dennoch handele es sich um eine «bedeutende Eskalation», sagte US-Sicherheitsberater Jake Sullivan in Washington. Das US-Verteidigungsministerium warnte den Iran vor weiteren Angriffen auf Israel. Pentagon-Sprecher Pat Ryder sagte: «Wir hoffen natürlich, dass sie das nicht tun, aber wir müssen natürlich auf diese Möglichkeit vorbereitet sein.»

Laut Armeesprecher Daniel Hagari gab es bei dem Raketenangriff eine kleine Zahl von Einschlägen im Zentrum und im Süden Israels. In den Städten und auch seitens des Militärs wurden bis zum späten Abend keine größeren Schäden gemeldet. «Dieser Angriff wird Konsequenzen haben», warnte Hagari. Dafür gebe es schon Pläne. 

Zur Raketenabwehr setzten die USA nach eigenen Angaben Kriegsschiffe ein. US-Präsident Joe Biden hatte das US-Militär angewiesen, Israel zu unterstützen und iranische Raketen abzuschießen. Bei dem Raketenangriff kam palästinensischen Angaben zufolge ein Mann im Westjordanland ums Leben. Der 38-jährige Palästinenser sei in Jericho durch Raketensplitter getötet worden, teilten der palästinensische Zivilschutz und örtliche Medien mit. Der Getötete kam demnach ursprünglich aus dem Gazastreifen. 

Iran: Attacke ist Vergeltung für Tötung der Hisbollah-Chefs 

Die iranischen Revolutionsgarden erklärten, die Attacke sei eine Vergeltung für die Tötung von Hamas-Auslandschef Ismail Hanija, Hisbollah-Generalsekretär Hassan Nasrallah sowie eines iranischen Generals, hieß es im Staatsfernsehen. 

Millionen Menschen in Israel suchten während des Angriffs Zuflucht in Schutzräumen. In einem Bunker unterhalb eines Einkaufszentrums im Zentrum von Tel Aviv versammelten sich Dutzende Menschen. Eine Frau reagierte panisch auf die Geräusche von Explosionen, die auch in den unterirdischen Räumen zu hören waren. Viele Menschen lasen oder hörten Nachrichten, bis es nach rund einer Stunde Entwarnung gab und sie den Bunker wieder verlassen durften.

Werden die USA in den Krieg hineingezogen?

Auch der US-Sicherheitsberater Sullivan sagte, der Angriff werde Konsequenzen haben, daran arbeite man nun mit Israel. Auf die Frage, ob die israelische Regierung unter Ministerpräsident Benjamin Netanjahu die USA in einen regionalen Krieg hineinziehe, antwortete der Sprecher des US-Außenministeriums, Matthew Miller: «Die Vereinigten Staaten bieten ihren Rat an, sie bieten ihre Unterstützung an, sie bieten ihre Abschreckungsfähigkeiten an. Sie bieten unseren Partnern ihre diplomatischen Fähigkeiten an. Aber letztendlich müssen unsere Partner und Verbündeten ihre eigenen Entscheidungen über ihre Zukunft treffen, und die Vereinigten Staaten müssen ihre eigenen Entscheidungen über nationale Interessen treffen.» Die USA seien bereit dazu, Diplomatie und Abschreckung zu nutzen, um einen regionalen Krieg zu verhindern. Dies werde man auch weiterhin tun. 

In der israelischen Küstenmetropole Tel Aviv wurden zwei Menschen bei dem Angriff durch Granatsplitter leicht verletzt, wie der Rettungsdienst Magen David Adom mitteilte. Mehrere andere wurden demnach wegen leichter Verletzungen nach einem Sturz oder wegen akuter Angstzustände behandelt.

Kurz vor dem Raketenangriff wurden im Süden von Tel Aviv bei einem Schuss- und Messerangriff mehrere Menschen getötet. Laut Polizei kamen mindestens sechs Menschen bei der Attacke in Jaffa, einem arabisch geprägten Viertel, ums Leben. Bei den Todesopfern handelt es sich demnach um Zivilisten.

Drohung aus dem Iran mit «vernichtenden Angriffen»

Die Luftstreitkräfte der Revolutionsgarden hatten nach eigener Darstellung auf wichtige militärische Ziele in Israel gefeuert. Gleichzeitig drohten die Revolutionsgarden mit weiteren, «vernichtenden und zerstörerischen Angriffen», sollte Israel auf den iranischen Schlag reagieren.

UN-Generalsekretär António Guterres mahnte nach dem Raketenangriff die Konfliktparteien zur Zurückhaltung: «Das muss aufhören. Wir brauchen unbedingt einen Waffenstillstand», schrieb Guterres auf der Plattform X.

US-Regierung warnte vor Angriff 

Die US-Regierung hatte kurz vor der Attacke vor einem «unmittelbar bevorstehenden» Raketenangriff des Irans auf Israel gewarnt. Wenig später hatten die israelischen Behörden die Menschen im Großraum Tel Aviv angewiesen, in der Nähe von Schutzräumen zu bleiben. 

Schon im April hatten Irans Revolutionsgarden (IRGC) zum ersten Mal in der Geschichte der Islamischen Republik einen direkten Angriff auf Israel ausgeführt. Dabei feuerten die IRGC-Luftstreitkräfte mehr als 300 Drohnen, Raketen und Marschflugkörper auf ihren Erzfeind. Der Angriff wurde erfolgreich abgewehrt. Der Iran reagierte damit auf die Tötung hochrangiger Generäle, die davor bei einem mutmaßlich israelischen Angriff in Syrien getötet worden waren.

Zuletzt erhebliche Schwächung von Irans Verbündeten

Israels Militär und Geheimdienste hatten zuletzt Irans Verbündete in der Region erheblich geschwächt. Ende Juli wurde der Auslandschef der islamistischen Hamas in Teheran getötet. Irans Staatsführung schwor daraufhin Rache. Am vergangenen Freitag wurde mit Nasrallah, dem Chef der libanesischen Schiitenorganisation Hisbollah, ein weiterer und zentraler Verbündeter Teherans getötet. Zuvor hatten explodierende Funkempfänger, sogenannte Pager, Hunderte Hisbollah-Funktionäre verletzt und etliche auch getötet. Es war seither unklar, ob und wie Irans militärische Führung darauf reagiert.

Am Dienstag kam ein weiterer Schritt des israelischen Militärs hinzu: Erstmals seit fast zwei Jahrzehnten drangen israelische Bodentruppen wieder in den Libanon ein. Rund ein Jahr nach Beginn des Gaza-Kriegs verlagerte sich damit der Schwerpunkt der Kämpfe in Richtung des nördlichen Nachbarlandes. Die Armee sprach von «begrenzten» Angriffen in Grenznähe auf Ziele der schiitischen Hisbollah, die eng mit dem Iran verbündet ist.

Freudenfeuer in Beirut

Nach dem iranischen Raketenangriff brach in der libanesischen Hauptstadt Beirut teilweise Jubel aus. Aus dem Vorort Haret Hreik, in dem Israel den Hisbollah-Chef Nasrallah getötet hatte, waren Freudenschüsse zu hören, wie Augenzeugen berichteten. Klatschen und Jubel waren auch im Zentrum von Beirut zu hören, wo derzeit viele Familien auf der Straße und öffentlichen Plätzen ausharren, die durch Israels Angriffe im Land vertrieben wurden.

Seit der Revolution von 1979 gelten die USA und Israel als Erzfeinde der Islamischen Republik. Mit Ausbruch des Gaza-Kriegs vor knapp einem Jahr drohte mehrfach, dass sich der Schattenkonflikt zu einem Flächenbrand entwickelt. Irans Revolutionsgarden sind die Elitestreitmacht des Landes und gelten als deutlich schlagkräftiger als die reguläre Armee.

Von Cindy Riechau, Sara Lemel und Arne Bänsch, dpa
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