Tausende Menschen demonstrieren in Berlin gegen gegen Rechtsextremismus.
Carsten Koall/dpa
Tausende Menschen demonstrieren in Berlin gegen gegen Rechtsextremismus.
Demonstrationen

Hunderttausende demonstrieren gegen rechts

Frankfurt und Hannover, aber auch Sylt und Spremberg: Hunderttausende Menschen demonstrieren in der ganzen Republik friedlich gegen rechts. Ihre Ziele: «Demokratie verteidigen» und «Zusammen gegen die AfD».

Hunderttausende Menschen sind am Wochenende in ganz Deutschland für die Demokratie auf die Straße gegangen und haben friedlich gegen rechts protestiert. Politiker und Organisationen bedankten sich - für ein «klares Signal».

In München brach der Organisator eine Demonstration gegen rechts mit mindestens 80.000 Menschen wegen Überfüllung ab. Die Sicherheit der Teilnehmer sei nicht mehr zu gewährleisten, sagte ein Polizeisprecher. Der Veranstalter sprach sogar von 250.000 Demonstrierenden.

In Berlin strömten Zehntausende ins Regierungsviertel, die Polizei sprach von mindestens 60.000 Menschen. Da der Zustrom groß und die Situation dynamisch sei, könnten es aber auch 100.000 Menschen sein, sagte ein Polizeisprecher am Sonntag. Die Veranstalter sprachen von 350.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmern - das hielt die Polizei für zu hoch. Zehntausende Menschen gingen auch in vielen anderen Orten auf die Straße, etwa in Köln und Bremen. Damit erreichten die seit Tagen andauernden Proteste einen vorläufigen Höhepunkt.

Am Samstag hatten Polizei und Veranstalter bereits insgesamt mindestens 300.000 Menschen gezählt. Schwerpunkte waren Hannover, Frankfurt und Stuttgart. Im Osten Deutschlands zählte Halle zu den Orten, in denen sich eine größere Zahl an Demonstranten versammelten. Die Polizei sprach dort von rund 16.000 Teilnehmern.

In Brandenburg, Sachsen und Thüringen werden im September neue Landtage gewählt. Umfragen zufolge könnte die AfD in allen drei Ländern teilweise mit deutlichem Abstand stärkste Kraft werden.

Auslöser für die Proteste sind die Enthüllungen des Recherchezentrums Correctiv über ein Treffen von Rechtsextremisten am 25. November, an dem AfD-Politiker sowie einzelne Mitglieder der CDU und der sehr konservativen Werteunion in Potsdam teilgenommen hatten. Der frühere Kopf der rechtsextremen Identitären Bewegung in Österreich, Martin Sellner, hatte bei dem Treffen nach eigenen Angaben über «Remigration» gesprochen. Wenn Rechtsextremisten den Begriff verwenden, meinen sie in der Regel, dass eine große Zahl von Menschen ausländischer Herkunft das Land verlassen soll - auch unter Zwang.

Bundespräsident dankt für Einsatz für die Demokratie

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier dankte den Demonstranten für ihren Einsatz für die Demokratie. «Diese Menschen machen uns allen Mut. Sie verteidigen unsere Republik und unser Grundgesetz gegen seine Feinde. Sie verteidigen unsere Menschlichkeit», sagte er in Berlin in einer Videobotschaft. Ganz unterschiedliche Menschen seien auf die Straße gegangen. «Aber sie alle haben eines gemeinsam: Sie stehen jetzt auf gegen Menschenfeindlichkeit und Rechtsextremismus. Sie wollen auch in Zukunft frei und friedlich zusammenleben.» Nötig sei jetzt ein Bündnis aller Demokratinnen und Demokraten. «Die Zukunft unserer Demokratie hängt nicht von der Lautstärke ihrer Gegner ab - sondern von der Stärke derer, die die Demokratie verteidigen. Zeigen wir, dass wir gemeinsam stärker sind.»

Politiker loben Protest

Vizekanzler Robert Habeck wertete die Demonstrationen als ermutigendes Zeichen für die Demokratie. «Was für eine Kraft, die von diesem Wochenende ausgeht», schrieb er auf der Plattform Instagram. «Ihr zeigt, dass Deutschland eine starke Demokratie ist. Dass Ihr nicht duldet, wenn der Rechtsextremismus die Grundfeste unseres Staates zerstören will». Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) lobte den zunehmenden Protest gegen rechts in Deutschland vor allem auch in kleineren und mittelgroßen Städten. «Das ist doch die Stärke in unserem Land», sagte sie in Potsdam. Wenn es um die Frage gehe, ob man Mensch oder Menschenhasser sei, gingen Menschen auf die Straße - auch ohne große Aufrufe und zum ersten Mal.

Die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Reem Alabali-Radovan, bezeichnete die Demonstrationen als «gut und wichtig». «Wir brauchen ein gesamtgesellschaftliches Bündnis», sagte die SPD-Politikerin «Zeit Online». Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) schrieb auf der Plattform X, ehemals Twitter: «So viele Menschen, die Gesicht und Haltung zeigen - unsere Demokratie lebt von starken Demokraten wie Euch!» Bayerns Ministerpräsident Markus Söder schrieb an die Bürgerinnen und Bürger, die demonstriert hatten: «Vielen Dank für dieses klare Signal! Wenn Demokraten zusammenhalten, haben Extremisten keine Chance.»

Zuvor hatte auch Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) den Menschen gedankt, die bundesweit gegen rechts demonstrierten. Das zeige, dass es in der Mitte der Gesellschaft «eine breite Allianz» gebe, sagte er. Wüst forderte erneut eine solche «Allianz der Mitte» auch in der Politik, die sich parteiübergreifend und über alle staatlichen Ebenen hinweg bilden müsse. «Wir brauchen einen Schulterschluss der Demokraten.» Er bezeichnete die AfD als «brandgefährliche Nazi-Partei». Auf X, ehemals Twitter, schrieb der CDU-Politiker, die AfD stehe nicht auf dem Boden des Grundgesetzes. «Die AfD ist keine konservative Partei und erst recht keine wertorientierte Partei.»

Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer, der selbst an einer Demonstration in Görlitz teilgenommen hatte, nannte die Demonstrationen bewegend. «Und ich glaube, den vielen ehrenamtlich engagierten Menschen in Deutschland, die sich für unser Gemeinwesen engagieren – für die ist das eine riesige Unterstützung – und natürlich für diejenigen, die einen Migrationshintergrund haben», sagte er in der ARD-Sendung «Bericht aus Berlin».

CDU-Chef Friedrich Merz warnte dagegen in der ARD-Sendung «Caren Miosga» am Abend davor, AfD-Wähler pauschal zu verurteilen. «Wenn wir AfD-Wähler zurückgewinnen wollen, dann dürfen wir sie nicht beschimpfen. Es gibt sicherlich Leute, die können wir nicht mehr erreichen.» Aber: «Die Nazi-Keule bringt uns nicht weiter, wenn wir das Problem lösen wollen.»

Überlebende des Holocaust zeigen sich dankbar

Das Internationale Auschwitz Komitee dankte den Menschen für ihren Protest. «Überlebende des Holocaust sind all denjenigen, die in diesen Tagen gegen den Hass und die Lügenwelt der Rechtsextremen auf die Straße gehen mehr als dankbar. Sie empfinden diese Demonstrationen als ein machtvolles Zeichen der Bürgerinnen und Bürger und eine Belebung der Demokratie auf die sie lange gehofft und gewartet haben», teilte Exekutiv-Vizepräsident Christoph Heubner mit.

Von Bettina Grachtrup, Lena Klimpel und Sophia Weimer, dpa
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