Laut der Hamas ist ihr militärischer Anführer bei dem Angriff nicht ums Leben gekommen.
Jehad Alshrafi/AP
Laut der Hamas ist ihr militärischer Anführer bei dem Angriff nicht ums Leben gekommen.
Lage im Überblick

Hamas stellt nach tödlichem Luftangriff Geisel-Deal infrage

Laut der Hamas hat Israels Armee ihr Ziel verfehlt, den Militärchef der Islamisten in Gaza zu töten. Sie lässt offen, was nach dem Angriff nun aus den Verhandlungen über einen Geisel-Deal wird.

Nach einem israelischen Luftangriff im Süden des Gazastreifens mit Dutzenden Toten sind die Aussichten auf eine Waffenruhe und die Freilassung von Geiseln der Hamas ungewiss. Alle Optionen seien offen, einschließlich des Abbruchs der indirekten Verhandlungen, sagte der Vize-Vorsitzende der Islamistenorganisation, Chalil al-Hajja, dem arabischen Fernsehsender Al Dschasira. Ihr militärischer Anführer im Gazastreifen, Mohammed Deif, sei bei dem israelischen Angriff nicht getötet worden, erklärte die Hamas.

«Mohammed Deif geht es gut, und er befiehlt weiterhin den Widerstand gegen den israelischen Feind», sagte der Hamas-Funktionär Ali Barakeh der Deutschen Presse-Agentur in Beirut. Israels Armee zielte mit dem Angriff westlich der Stadt Chan Junis nach eigenen Angaben auf den Anführer des militärischen Hamas-Arms. Keine der Angaben ließ sich zunächst unabhängig verifizieren. «Ich sage (Israels Regierungschef Benjamin) Netanjahu, dass Muhammad Al-Deif dich jetzt hört und deine Lügen verhöhnt», wurde al-Hajja zitiert. 

Netanjahu: Noch keine Gewissheit

Man prüfe noch, ob Deif sowie Rafa Salama, der Kommandeur der Chan-Junis-Brigade der Hamas, bei dem Luftschlag ums Leben gekommen sind, erklärte Israels Armee. «Es besteht noch keine absolute Gewissheit», sagte Netanjahu vor der Presse in Tel Aviv. Die Hamas-Männer sollen «Drahtzieher des Massakers vom 7. Oktober» in Israel gewesen sein. Das Massaker vor mehr als neun Monaten war der Auslöser des Gaza-Krieges. Palästinensischen Angaben zufolge wurden bei Israels jüngstem Luftangriff mindestens 90 Menschen getötet. 

Mindestens 300 weitere Menschen seien zudem in der humanitären Zone Al-Mawasi verletzt worden, teilte die von der Hamas kontrollierte Gesundheitsbehörde mit. «Der Angriff wurde in einem eingezäunten Gebiet durchgeführt, das von der Hamas kontrolliert wird und in dem sich nach unseren Informationen nur Hamas-Terroristen und keine Zivilisten aufhielten», hieß es von Israels Armee. «Es war ein präziser Angriff.» Es werde vermutet, dass die meisten Opfer ebenfalls Terroristen gewesen seien. Keine der Angaben ließ sich unabhängig prüfen. 

Netanjahu: Haben die gesamte Hamas-Führung im Visier 

Ein Vertreter des Militärs räumte in einem Online-Briefing ein, dass das getroffene Objekt in der von Israel so deklarierten humanitären Zone westlich der Stadt Chan Junis im Süden Gazas gelegen habe. «Es war aber eine abgezäunte, bewachte Hamas-Basis, besetzt mit Terroristen», fügte der Armeevertreter hinzu. Das Militär sei sich auch sehr sicher, dass sich zum Zeitpunkt des Angriffs keine israelischen Geiseln dort befunden hätten. Israel werde die gesamte Hamas-Führung ausschalten, sagte Netanjahu auf einer Pressekonferenz. 

Damit bezog sich Israels Regierungschef auch auf Jihija al-Sinwar, den Führer der Hamas in Gaza. Deif gilt als seine Nummer Zwei. Der Auslandschef der Hamas, Ismail Hanija, warf Netanjahu vor, mit «abscheulichen Massakern» einen Waffenstillstand in dem Krieg zu blockieren. Er forderte die Vermittlerstaaten bei den indirekten Verhandlungen - Ägypten, Katar und die USA - auf, Israels militärisches Vorgehen im Gazastreifen zu stoppen. 

Alle Optionen seien offen, aber die Hamas werde «Netanjahu weder das geben, was er will, noch ihm die Möglichkeit geben, sie für das Scheitern der Verhandlungen verantwortlich zu machen», wurde al-Hajja vom arabischen Fernsehsender Al Dschasira weiter zitiert. 

Was wird aus den Geiseln?

Der Chef des israelischen Auslandsgeheimdienstes Mossad, Daniel Barnea, wolle in den nächsten Tagen zu einer weiteren Gesprächsrunde in die katarische Hauptstadt Doha reisen, meldete der israelische Rundfunksender Kan. Die Planungen für die indirekten Verhandlungen scheinen durch den jüngsten Versuch Israels, den Hamas-Militärchef zu töten, vorerst nicht gekippt worden zu sein, schreibt die israelische Zeitung «Haaretz». 

In Israel demonstrierten derweil erneut Tausende Menschen für ein Abkommen, um die noch rund 120 Geiseln in der Gewalt der Hamas nach Hause zu bringen. Die Teilnehmer der Kundgebungen in Tel Aviv und Jerusalem warfen Regierungschef Netanjahu vor, die indirekten Verhandlungen zur Erzielung einer solchen Vereinbarung zu sabotieren. «Wir fordern, dass Sie aufhören, das Abkommen zu sabotieren, wir fordern, dass Sie das Abkommen unterzeichnen», wurde die Mutter einer Geisel von israelischen Medien zitiert. 

«Netanjahu macht die Geiseln fertig», stand auf einem riesigen Transparent, das Demonstranten in Tel Aviv vor sich hertrugen. Ein ehemaliger Entführter sagte: «Ich mag nach außen okay wirken, aber der Schmerz belastet mich mehr, als irgendjemand sich vorstellen kann.» Er sei noch einer der Glücklichen gewesen, der in einem Haus und nicht in einem Tunnel gefangen gehalten worden war. «Wenn also ich an brutalen Bedingungen und Misshandlungen gelitten habe, was ist dann mit den anderen 120 Geiseln?», sagte der Mann.

Israel reagiert auf Beschuss durch Hisbollah

Die israelische Luftwaffe attackierte unterdessen nach Beschuss durch die proiranische Hisbollah Stellungen der Miliz in Südlibanon. Wie die israelische Armee am Abend mitteilte, sei die Anlage bombardiert worden, von der aus zuvor Geschosse auf den Norden Israels abgefeuert worden seien. Zudem seien eine Reihe weiterer «terroristischer Infrastrukturen» der Hisbollah angegriffen worden, hieß es in einer kurzen Mitteilung. Nähere Details wurden darin nicht genannt. Die Angaben konnten unabhängig zunächst nicht überprüft werden. 

Israel und die libanesische Schiitenmiliz liefern sich seit dem Beginn des Gaza-Kriegs nahezu täglich Gefechte. Zuletzt nahm deren Intensität deutlich zu. Auf beiden Seiten gab es Tote. Die Hisbollah-Miliz handelt nach eigenen Aussagen aus Solidarität mit der islamistischen Hamas in Gaza. Seit langem wird befürchtet, dass sich der Konflikt ausweiten könnte. 

Angriff auch in Syrien

Wie Israels Armee am Abend weiter mitteilte, hätten sich zwei Drohnen von syrischem Gebiet aus Israel genähert. Sie seien abgefangen worden. Daraufhin habe die Luftwaffe in der Nacht eine Kommandozentrale sowie Terroranlagen, die von der Luftabwehreinheit des syrischen Militärs genutzt würden, angegriffen. Die Angaben ließen sich zunächst nicht überprüfen.

Nach Angaben der syrischen Armee wurde bei den israelischen Luftangriffen auf militärische Einrichtungen und ein Wohnhaus in Damaskus ein syrischer Soldat getötet und drei weitere verletzt, wie die syrische Nachrichtenseite Asharq Al-Awsat am Morgen berichtete. Auch diese Angaben konnten zunächst nicht unabhängig verifiziert werden. 

Nach unbestätigten arabischen Berichten wurde der Anführer des Palästinensischen Islamischen Dschihad (PIJ) in Syrien bei dem Angriff getötet. Israels Luftwaffe bombardiert immer wieder Ziele in dem Nachbarland. Der jüdische Staat will mit den Angriffen in Syrien verhindern, dass sein Erzfeind Iran und mit ihm verbündete Milizen ihren militärischen Einfluss in dem Land ausweiten. Der Iran ist einer der wichtigsten Verbündeten Syriens. 

© dpa-infocom, dpa:240713-930-173051/4
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