General: Wir brauchen «deutlich mehr» Soldaten
Erstmals seit dem Kalten Krieg wird die Verteidigung in Deutschland neu aufgestellt. Der Operationsplan Deutschland ist «auf der Zielgeraden».
Erstmals seit dem Kalten Krieg wird die Verteidigung in Deutschland neu aufgestellt. Der Operationsplan Deutschland ist «auf der Zielgeraden».
Für militärische Sicherungsaufgaben und den Schutz der eigenen Infrastruktur muss es nach Einschätzung von Generalleutnant André Bodemann künftig «deutlich mehr» Soldaten im Heimatschutz geben. «Sechs Heimatschutzregimenter reichen nicht aus, um die verteidigungswichtigen Infrastrukturen zu schützen, wenn ich sie ausschließlich mit Heimatschutz schützen möchte», sagte Bodemann, Befehlshaber des Territorialen Führungskommandos der Bundeswehr, der Deutschen Presse-Agentur in Berlin.
Der General und sein Kommando stehen vor der Fertigstellung einer ersten Version des Operationsplanes Deutschland («OPLAN»), mit dem die Verteidigung erstmals seit dem Kalten Krieg neu aufgestellt wird. Das in den Details streng geheime und Hunderte Seiten umfassende Dokument soll in einer ersten Version bis Ende März fertig sein.
Die Bundeswehr stellt bis 2027 sechs Heimatschutzregimenter auf, denen dann schätzungsweise 6000 Männer und Frauen angehören werden. Im Frieden können sie bei der Amts- und Katastrophenhilfe - schweren Unglücksfällen über Terrorlagen bis hin zu Pandemien - eingesetzt werden. Im Spannungs- und Verteidigungsfall oder auch bereits bei einer krisenhaften Entwicklung sichern und schützen Heimatschutzkräfte auch Häfen und Bahnanlagen, Güterumschlagplätze, Pipelines, Straßen für den Truppenaufmarsch, Brücken, Verkehrsknotenpunkte und digitale Infrastruktur.
Zusammenarbeit verschiedener Stellen
«Es geht auch darum, wie viel Heimatschutz benötige ich mit welchen Fähigkeiten, um das zu schützen. Und das nicht nur mit der Waffe und mit Stacheldraht», sagte Bodemann. «Es geht um Drohnenabwehrfähigkeit und Sperrmöglichkeiten.» Wichtig seien Beobachtungsmöglichkeiten. Er nannte Sensoren, Optronik und Kameras «bis hin zur Nutzung von künstlicher Intelligenz, um Informationen zu filtern, um zu sagen, hier passiert irgendwas».
Die Militärplaner arbeiten auch aus, wie die Zusammenarbeit mit Polizei, Katastrophenschutz und Rettungsdiensten im Spannungs- und Verteidigungsfall funktionieren soll. Auch Wirtschaftszweige wie die Logistik- und Energiebranche sind eingebunden. Eine Annahme ist, dass wesentliche Teile der Bundeswehr im Ernstfall an der Nato-Ostflanke gebraucht werden und in Deutschland damit nicht zur Verfügung stehen.
Die Bundeswehr stelle fest, dass sich viele Menschen für den Heimatschutz interessierten, sagte Bodemann. «Leider bekommen wir die Menschen nicht so schnell in das System rein.» Und das Interesse sei regional unterschiedlich. In Nordrhein-Westfalen - beim Heimatschutzregiment Münster - seien rund 1000 Menschen auf der Bewerbungsliste.
Deutschland als «Drehscheibe» der Nato
Bodemann sagte, mit der ersten Ausfertigung des Operationsplanes sei das Führungskommando «gerade auf der Zielgeraden». Dieser Plan sei bereits «anwendbar», werde aber fortlaufend ergänzt. Dafür ist die Bundeswehr auch auf weitere Angaben der Verbündeten angewiesen, welchen Bedarf an Unterstützung es bei einem Truppenaufmarsch geben wird. Wegen der geografischen Lage gilt Deutschland als «Drehscheibe» der Nato.
«Wir sind schon sehr weit mit der Identifizierung von kritischen und verteidigungswichtigen Infrastrukturen. Wie wir diese schützen, das ist jetzt der zweite Schritt. Den gehen wir mit dem Operationsplan auch an», sagte Bodemann. Ein großes Thema sei Verkehrsinfrastruktur. «Es ist kein Geheimnis, dass wir da in Deutschland noch Defizite haben», sagte Bodemann. «Welche kritische Verkehrsinfrastruktur gilt es zu ertüchtigen. Das ist eine der Herausforderungen. Wir alle wissen: Ertüchtigung von Brücken, Neubau von Brücken und Tunnels kostet viel Geld.»
Streng geheimer Plan, streng geheime Leitung
Zentral sei die Zusammenarbeit der unterschiedlichen Kräfte. «Je besser wir vernetzt sind, desto früher können wir Bedrohungen erkennen und desto besser können wir uns gegen diese Bedrohungen schützen», sagt Bodemann. Das betreffe das Militär, aber auch Polizei und Verfassungsschutz sowie alle «Sensoren, die wir in Deutschland haben». Dies gelte «schon jetzt, also unterhalb von einem Kriegszustand, von einem Spannungsfall oder dem Verteidigungsfall, von Artikel 5 der Nato, weil wir jetzt schon Bedrohungen sehen».
Den Operationsplan wird Bodemann an Generalinspekteur Carsten Breuer schicken - zusammen mit Einschätzungen zum Handlungsbedarf. Bodemann sagte auf Nachfrage: «Ich habe den Operationsplan nicht ausgedruckt dabei, sondern übersende den Ende des Monats auf geheimen Leitungen an das Ministerium.» Im Herbst solle dann das Zusammenspiel von Militär, Blaulichtbehörden und Zivilstellen in einigen Regionen einer praktischen Belastungsprobe ausgesetzt werden: «Wir wollen diesen Operationsplan einem sogenannten Stresstest unterziehen.»
Noch dieses Jahr: 20 Milliarden aus Sondervermögen
Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) wird in diesem Jahr nach eigenen Worten 19,8 Milliarden Euro aus dem Sondervermögen für die Bundeswehr investieren. Nach einem Treffen mit dem parlamentarischen Gremium für das Sondervermögen sprach Pistorius von einem wichtigen Signal für Verteidigungsfähigkeit und Kriegstüchtigkeit.
«Wir beschaffen in einer Geschwindigkeit, wie es das noch nie gegeben hat, Mittel und Material für unsere Soldatinnen und Soldaten und sorgen für die nötige Infrastruktur», sagt Pistorius bei dem gemeinsamen Auftritt mit der Vorsitzenden des Gremiums Sondervermögen Bundeswehr, der SPD-Bundestagsabgeordneten Wiebke Esdar. Die Bedrohungslage habe sich auch weiter verschärft und damit auch die Anforderungen an die Bundeswehr und das Verteidigungsministerium. Esdar, die einem Untergremium des Haushaltsausschusses im Bundestag vorsteht, betonte, das Geld solle möglichst schnell bei der Truppe ankommen.
Habeck: Deutschland muss aufrüsten
Nach Einschätzung von Vizekanzler Robert Habeck müssen sich Deutschland und Europa angesichts der veränderten Weltlage aufrüsten. «Europa muss seine eigenen Hausaufgaben in der Wehrhaftigkeit machen. Wir haben nach 1990 abgerüstet. Wir waren eines der hochgerüstetsten Länder Europas», sagte der Grünen-Politiker bei der Konferenz «Europe 2024» in Berlin. Eine Armee habe man damals nur für «militärische Polizeieinsätze» im Ausland für nötig gehalten. «Aber dass jetzt auf einmal wieder der Landkrieg zurückgekommen ist, darauf sind wir nicht vorbereitet. Und das müssen wir tun.» Man könne sich nicht mehr darauf verlassen, dass die Vereinigten Staaten die Zeche zahlten oder Militärmaterial zur Verfügung stellten.
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