Flucht aus Chan Junis: «Lage von Tag zu Tag gefährlicher»
Erneut müssen sich Tausende Palästinenser aus der umkämpften Stadt Chan Junis im Süden des Gazastreifens in Sicherheit bringen. Orte, die Schutz bieten, gibt es im Gazastreifen kaum noch.
Erneut müssen sich Tausende Palästinenser aus der umkämpften Stadt Chan Junis im Süden des Gazastreifens in Sicherheit bringen. Orte, die Schutz bieten, gibt es im Gazastreifen kaum noch.
Viele Palästinenser, die wegen heftiger Kämpfe aus der Stadt Chan Junis im Süden des Gazastreifens fliehen mussten, beschreiben unerträgliche Lebensumstände auf der Flucht. Mohammed al-Aschkar erzählte der Deutschen Presse-Agentur, er habe sein fünfstöckiges Haus in Chan Junis verlassen müssen. Dort habe er zuvor rund 120 Binnenflüchtlingen aus anderen Teilen des Küstenstreifens Unterkunft gewährt, sagte der 39-jährige Vater von sechs Kindern, der sich nun in Rafah an der Grenze zu Ägypten aufhält.
«Mein Haus war ein Schutzraum für unsere Verwandten aus der Stadt Gaza, aus dem Flüchtlingslager Al-Nuseirat und sogar für unsere Freunde aus dem Osten von Chan Junis», sagte Al-Aschkar. Sie hätten sich dort schon seit rund drei Monaten aufgehalten. «Ich dachte die ganze Zeit, unser Haus sei sicher, vor allem, weil es im Westen von Chan Junis liegt.» Zuletzt sei die Lage jedoch von Tag zu Tag gefährlicher geworden. Die Armee sei immer näher gerückt. Das Haus liege in einem Gebiet, zu dessen Räumung das israelische Militär aufgefordert habe.
Es sei für ihn extrem hart gewesen, sein Wohnhaus zu verlassen und auch seine Gäste zu bitten, anderswo Unterkunft zu finden. Man habe gemeinsam viel geweint. Seine Gäste versuchten, wie er in Rafah Zelte als Unterkunft zu finden. Die Wetterbedingungen in dem sonst klimatisch eher milden Gebiet waren zuletzt härter geworden, es gab viel Regen und Zeltlager standen teilweise unter Wasser.
«Ich habe geweint wegen meiner Situation»
Auch Ibrahim al-Hatu sah sich gezwungen, aus Chan Junis zu fliehen. Er ist mit seiner zehnköpfigen Familie nach Deir Al-Balah entkommen, das im zentralen Abschnitt des schmalen Küstenstreifens liegt. «Ich musste zwei Tage lang mit meiner Familie auf der Straße schlafen», erzählte er von seiner Flucht. Danach habe er ein Zelt für umgerechnet mehr als 900 Euro kaufen müssen. «Ich habe geweint wegen meiner Situation, vor allem, weil wir wegen der schweren Bombardements nachts kaum schlafen können.» In Deir al-Balah sei alles teuer und überfüllt mit Flüchtlingen.
Seine Familie habe in der unmittelbaren Umgebung keine Toilette zur Verfügung, man müsse deshalb in einer Schule seine Notdurft verrichten, die als Unterkunft für viele Vertriebene diene. Die Toiletten dort seien verdreckt. Al-Hatu sagte, er habe nun Angst, die israelische Armee könne auch in Deir al-Balah weiter vorrücken und ihn und seine Familie zwingen, weiter nach Rafah zu fliehen.
Chan Junis gilt als eine Hochburg der islamistischen Hamas. Israel vermutet in dem Tunnelnetzwerk in der Gegend die Führung der Terrororganisation sowie auch israelische Geiseln. Die israelische Armee hatte die schwer umkämpfte Stadt am Dienstag nach eigenen Angaben umstellt. Nach eigenen Angaben intensiviert die Armee ihre Einsätze weiter. «Die Truppen haben viele Terrorzellen mit Feuer von Scharfschützen, Panzern und aus der Luft getötet», hieß es in der Mitteilung. Tausende Menschen sind seit Tagen in Autos oder zu Fuß auf der Flucht, vor allem in Richtung Rafah.
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