Die großen Fragezeichen nach dem Selenskyj-Trump-Treffen
Nach seinem Treffen mit Selenskyj äußert sich Trump: Die von der Ukraine erhofften Tomahawk-Marschflugkörper erwähnt er nicht - stattdessen gibt es einen Appell. Was bedeutet das nun?
Nach seinem Treffen mit Selenskyj äußert sich Trump: Die von der Ukraine erhofften Tomahawk-Marschflugkörper erwähnt er nicht - stattdessen gibt es einen Appell. Was bedeutet das nun?
Der Besuch des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj im Weißen Haus hatte eigentlich ein ganz konkretes Thema: Tomahawk-Waffen mit einer hohen Reichweite, die die Ukraine für ihre Verteidigung gegen den Aggressor Russland erbittet. Am Ende des Besuchs ist die Öffentlichkeit so schlau wie zuvor. Und es sind noch viel mehr Fragen aufgekommen.
Sind die Tomahawks jetzt vom Tisch?
Das ist unklar. US-Präsident Donald Trump erwähnte in seinem ersten Post auf Truth Social nach dem Gespräch mit Selenskyj in Washington die Tomahawk-Präzisionswaffe mit keinem Wort. Mit ihrer Hilfe könnte Kiew eine offensivere Rolle im Krieg spielen. Die ukrainische Armee könnte die Marschflugkörper weit nach Russland hineinschießen.
In den vergangenen Wochen wurde auch von US-Seite erwähnt, dass die Ukraine gerne Tomahawks hätte. Trump blieb aber vage und betonte noch vor dem Gespräch, die USA bräuchten ihre Tomahawks auch selbst. In dem per Fernsehen übertragenen öffentlichen Teil des Selenskyj-Besuchs sagte Trump, man könne den Krieg hoffentlich beenden, ohne über diese Waffen nachdenken zu müssen.
US-Medienberichten zufolge darf die Ukraine vorerst nicht auf eine Lieferung von Tomahawks hoffen. Trump habe dem ukrainischen Staatschef bei ihrem Treffen eine entsprechende Freigabe verweigert, berichteten unter anderem das Portal «Axios» und der Sender CNN unter Berufung auf informierte Quellen. Das Treffen sei «nicht einfach» gewesen und stellenweise «etwas emotional», hieß es weiter.
Selenskyj sagte im NBC-Format «Meet the Press with Kristen Welker»: «Es ist gut, dass Präsident Trump nicht "Nein" gesagt hat, aber heute auch nicht "Ja" gesagt hat.» Er könne keine weiteren Details nennen.
Hat Trump seine Haltung zum Krieg verändert?
Noch vor einiger Zeit hatte Trump, der in seinen Positionen zum russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine hin- und herschwankt, die Lage noch so eingeschätzt: Die Ukraine könne mit Hilfe westlicher Verbündeter ihr Staatsgebiet vom russischen Aggressor zurückerobern. Mit Zeit, Geduld und finanzieller Unterstützung insbesondere der Nato seien die ursprünglichen Grenzen zum Zeitpunkt des Kriegsbeginns eine «Option», hatte es damals geheißen. Trump hatte sich zunehmend verärgert über Kremlchef Wladimir Putin gezeigt. Selenskyj kam mit Rückenwind ins Weiße Haus - mit Zusagen von europäischen Verbündeten für noch mehr Rüstungshilfe.
Jetzt appellierte Trump in seinem ersten Post nach dem Selenskyj-Besuch an beide Seiten, den Krieg zu beenden. «Sie sollten dort aufhören, wo sie sind.» Sehr viel genauer spezifizierte er das allerdings nicht. An Russland und die Ukraine gerichtet betonte er zudem: «HÖRT AUF, GEHT IN FRIEDEN NACH HAUSE ZU EUREN FAMILIEN!». Dass Russland in dem Krieg der Aggressor ist, erwähnte er dabei nicht.
Trumps Verhalten könnte mit einem nächsten wichtigen Treffen mit Putin in Budapest zu tun haben.
Was will Trump mit Putin in Budapest besprechen?
Wann genau Trump und Putin in Budapest zusammenkommen werden, steht noch nicht fest. Trump hatte am Donnerstag bekanntgemacht, dass er sich «wahrscheinlich in den nächsten zwei Wochen» in der ungarischen Hauptstadt mit ihm treffen will. Der US-Präsident sieht sich als Vermittler im Ukraine-Krieg. Jetzt wurde allerdings klar, dass das Treffen wahrscheinlich ohne Selenskyj erfolgt. Trump sagte, er wolle mit dem Ukrainer aber Kontakt halten.
Das erinnert an die Einladung Trumps an Putin im August nach Alaska. Auch dort war der Ukrainer nicht dabei. Das Treffen blieb damals ohne greifbare Ergebnisse. Ein Dreiertreffen, von dem der US-Präsident gesprochen hatte, kam dann nie zustande. Russland führt seit mehr als dreieinhalb Jahren einen zerstörerischen Angriffskrieg gegen die Ukraine.
Die Frage ist, wie sehr das Telefonat, das Trump und Putin am Donnerstag miteinander führten, die Gespräche im Weißen Haus am Tag darauf beeinflusste. Das Telefonat mit Putin hatte Trump «sehr produktiv» genannt. Die Initiative zum Gespräch mit Trump soll nach russischer Darstellung dieses Mal von Moskau ausgegangen sein. Offizieller Anlass war demnach Putins Glückwunsch zu Trumps Erfolg in den Verhandlungen zum Gaza-Krieg.
In den vergangenen Wochen hatte sich der US-Präsident noch sehr enttäuscht von Putin gezeigt und appellierte an andere Verbündete, Russland wirtschaftlich zu schwächen, um die Kriegskasse des Angreifers zu leeren. Die USA verhängten Sanktionen gegen Indien, damit das Land kein Öl mehr von Russland kauft.
Was man auch im Hinterkopf haben sollte: Trump plant Ende des Monats, sich mit Chinas Präsidenten Xi Jinping in Südkorea zu treffen, um über den Handelskonflikt der beiden Länder zu sprechen. Anlehnend an seinen Indien-Kurs will der US-Präsident China nach eigenen Angaben dazu bewegen, keinen Energiehandel mehr mit Russland zu betreiben. Ob das Treffen vor oder nach der Zusammenkunft mit Putin stattfinden wird, ist noch unklar.
Geht Selenskyj mit leeren Händen nach Hause?
Vorerst schon. Selenskyj verwies bei einer Pressekonferenz nach dem Treffen formal auf eine Bitte der US-Seite, das Thema Tomahawks nicht weiter öffentlich zu diskutieren. «Die USA wollen keine Eskalation», begründete der Ukrainer diese Bitte. Dennoch sei das Thema zumindest für ihn nicht vom Tisch. «Wir müssen daran noch mehr arbeiten», betonte er.
Die Frage ist, ob die Amerikaner sich jetzt vor dem Putin-Treffen nicht in die Karten schauen lassen wollen und sich deshalb öffentlich nicht festlegen.
Selenskyj führte nochmals aus, warum sein Land Waffen brauche. Die Ukraine sei mit den verfügbaren Flugabwehrsystemen heute nicht in der Lage, russische ballistische Raketen in ausreichendem Maße zu bekämpfen. «Diese Schläge hält unsere Energiewirtschaft einfach nicht aus», sagte Selenskyj. Eben dafür müsse Druck auf Russland aufgebaut werden und der bestehe darin, entsprechende Waffen zu liefern. Kiew wolle kombinierte Angriffe mit Drohnen und Tomahawks durchführen. Medienberichten zufolge hatte die ukrainische Delegation zur Veranschaulichung extra eine Karte mit Zielen in Russland im Weißen Haus präsentiert. Selenskyj versicherte: «Sie (die Russen) fürchten diese Kombinationsangriffe, sie verstehen, was wir machen können.»
Wie geht es nun weiter?
Mit viel Unterstützung aus Europa für die Beendigung des Krieges. Selenskyj informierte europäische Partner noch am Abend über seinen Besuch im Weißen Haus, wie er auf der Plattform X mitteilte, darunter Nato-Generalsekretär Mark Rutte sowie die Spitzen der EU-Institutionen. EU-Ratspräsident António Costa schrieb bei X, das gemeinsame Ziel bleibe ein gerechter und dauerhafter Frieden für die Ukraine. «Militärische, finanzielle und diplomatische Unterstützung sowie Sicherheitsgarantien sind dafür unerlässlich», so Costa. Auf dem EU-Gipfel in der kommenden Woche werde man konkrete Schritte besprechen, um den Druck auf Russland zu erhöhen, damit Frieden erreicht werde.
Bundeskanzler Friedrich Merz sagte laut einer Mitteilung der Bundesregierung: «Jetzt braucht die Ukraine einen Friedensplan.» In der Mitteilung hieß es weiter, die europäischen Partner hätten Selenskyj zugesagt, ihre Unterstützung auszubauen, «um Russland zu ernsthaften Verhandlungen zu bewegen». So wolle man etwa den Druck durch Sanktionen erhöhen und eingefrorenes russisches Staatsvermögen nutzen.
Von Anna Ringle, Franziska Spiecker und Andreas Stein, dpa
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