US-Präsident Joe Biden will bei der Wahl im November nicht länger für eine zweite Amtszeit antreten und hat seine Stellvertreterin Kamala Harris als Ersatzkandidatin vorgeschlagen. Obwohl es seine Absicht gewesen sei, sich um eine Wiederwahl zu bemühen, glaube er, dass es im besten Interesse seiner Partei und des Landes sei, wenn er sich zurückziehe und ausschließlich auf sein Amt konzentriere, schrieb der Demokrat in einer Erklärung. Harris erklärte, dass sie Präsidentschaftskandidatin werden wolle.
In den vergangenen Wochen war der 81-Jährige wegen seines mentalen Zustandes in der eigenen Partei massiv unter Druck geraten. Bidens Rückzug so kurz vor der Wahl ist eine dramatische Wende und verursacht weiteres Chaos in einem ohnehin historischen US-Wahljahr.
Biden stellt sich hinter Vize Harris
Biden kündigte an, die Nation im Laufe der Woche ausführlicher über seine Entscheidung informieren zu wollen. Er teilte seinen Rückzug in den sozialen Medien X, Facebook und Instagram mit. Kurz darauf schrieb er, dass die 59-jährige Harris seine volle Unterstützung habe, als Kandidatin der Demokraten bei der anstehenden Wahl anzutreten. Die Demokraten müssen nun in kürzester Zeit umsatteln und die Nachfolge regeln. Sie nominieren ihren Präsidentschaftskandidaten offiziell bei einem Parteitag in Chicago Mitte August.
Harris war an der Seite Bidens bislang blass geblieben, bekam angesichts der Schwäche ihres Chefs zuletzt allerdings die Unterstützung einer ganzen Reihe wichtiger Parteimitglieder. Sie teilte nun mit: «Ich fühle mich geehrt, die Unterstützung des Präsidenten zu haben, und ich habe die Absicht, diese Nominierung zu verdienen und zu gewinnen.» Harris ist die erste Schwarze, die den Eid als US-Vizepräsidentin abgelegt hat. Sie ist 19 Jahre jünger als der Präsidentschaftskandidat der Republikaner, Donald Trump.
Trump schimpft auf Biden
Der 78-Jährige war beim Parteitag der Republikaner in Milwaukee vergangene Woche offiziell zum Kandidaten seiner Partei gekürt worden. Als Vizekandidat der Republikaner geht der Senator J.D. Vance ins Rennen. Trump schrieb unmittelbar nach Bidens Ankündigung auf seinem Sprachrohr Truth Social, dass Biden nicht in der Lage sei, für das Amt des Präsidenten zu kandidieren. Er sei auch «ganz sicher» nicht in der Lage, das Amt zu bekleiden und sei es auch nie gewesen, schrieb Trump weiter. «Wir werden den Schaden, den er angerichtet hat, sehr schnell beheben.»
Die Krise der vergangenen Wochen
Biden war nach einem desaströsen Auftritt bei einem Fernsehduell gegen den Ex-Präsidenten Trump Ende Juni extrem in die Kritik geraten. Während des Schlagabtauschs verhaspelte sich der mächtigste Mann der Welt regelmäßig, verlor den Faden, starrte mit offenem Mund ins Leere und konnte häufig seine Sätze nicht richtig beenden. Schon vorher hatte es innerhalb der Demokratischen Partei und in der Bevölkerung wegen Bidens Alter Vorbehalte gegen seine Wiederwahlambitionen gegeben. Doch nach dem Duell entflammte die Debatte über die Eignung des Bidens als Präsidentschaftskandidat der Demokraten in ganz neuem Ausmaß - und in aller Öffentlichkeit.
Nach der Debatte hatten sich Bidens Umfragewerte noch mal deutlich verschlechtert. Und in seiner eigenen Partei wagten sich einer nach dem anderen vor, um öffentlich Bidens Rückzug aus dem Rennen um die Präsidentschaft zu fordern. Der Präsident selbst versuchte zunächst, sich herauszureden. Seinen schwachen Auftritt begründete er mit Müdigkeit in Folge anstrengender Auslandsreisen. Er habe nicht aus seine Berater gehört und sich übernommen. Bei diversen Auftritten gab er sich trotzig und versicherte ein ums andere Mal, er werde sich nicht zurückziehen. Doch es folgten weitere Patzer. Und am Ende wurde der Druck aus den eigenen Reihen zu groß.
Coronainfektion und Rückzug nach Delaware
In den vergangenen Tagen hatte sich Biden nach einer Infektion mit dem Coronavirus in sein Privathaus in Rehoboth Delaware zurückgezogen und keine öffentlichen Termine absolviert. Während seiner Zwangspause fasste er nun den Entschluss, sich dem Druck seiner Parteikollegen zu beugen.
Der führende Demokrat im US-Senat, Chuck Schumer, zollte Biden seinen Respekt. Biden sei nicht nur ein großartiger Präsident, sondern auch ein wirklich bemerkenswerter Mensch. «Seine Entscheidung war gewiss nicht leicht, aber er hat wieder einmal sein Land, seine Partei und unsere Zukunft an die erste Stelle gesetzt», schrieb Schumer in einer Stellungnahme. Der heutige Tag zeige, dass Biden «ein wahrer Patriot und großer Amerikaner» sei. First Lady Jill Biden kommentierte den Rückzug ihres Ehemannes mit zwei Herzen auf der Plattform X. Die 73-Jährige gilt als engste Vertraute Bidens.
Ein Wahljahr wie keines zuvor
Schon vor dieser größtmöglichen Komplikation war dieses US-Wahljahr eines, das auf allen Ebenen heraussticht, vor allem mit Blick auf den republikanischen Kandidaten. Mit Trump bewirbt sich ein verurteilter Straftäter um das höchste Amt im Staat. Als erster Ex-Präsident der Vereinigten Staaten wurde der Republikaner in einem Strafverfahren schuldig gesprochen - wegen der Verschleierung einer Schweigegeldzahlung an eine Pornodarstellerin. Im Wahlkampf hat das dem 78-Jährigen bislang nicht geschadet. Es laufen noch andere Strafverfahren gegen ihn - allerdings dürfte es vor dem Wahltag in diesen Fällen nicht mehr zum Prozess kommen.
Zu einer Eskalation im Wahlkampf kam es vor gut einer Woche, als ein Schütze auf einer Wahlkampfveranstaltung Trumps im Bundesstaat Pennsylvania vergangene Woche das Feuer eröffnete. Trump wurde bei dem Attentat am Ohr verletzt, ein Zuschauer kam ums Leben, zwei weitere wurden verwundet.
Bereits das jüngste US-Wahljahr 2020 war chaotisch gewesen. Trump akzeptierte seine Wahlniederlage gegen Biden damals nicht, sondern versuchte mit drastischen Mitteln, den Wahlausgang umzukehren. Sein Feldzug gipfelte damals in einem gewaltsamen Angriff seiner Anhänger auf das US-Kapitol, bei dem mehrere Menschen ums Leben kamen.
Von Christiane Jacke, Julia Naue, Magdalena Tröndle und Luzia Geier, dpa
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