Deutschland, Frankreich und Polen wollen angesichts hybrider Bedrohungen durch Russland verstärkt Motor für eine gemeinsame europäische Sicherheitspolitik sein und vor der Europawahl intensiver gegen Desinformation vorgehen.
«Wir können uns keine Außenpolitik auf Autopilot mehr leisten», sagte die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) nach Beratungen mit ihren Kollegen aus Frankreich und Polen im Format des sogenannten Weimarer Dreiecks. «Deshalb wollen wir als Weimarer Dreieck Triebfeder sein dafür, dass wir uns als Europäische Union richtig aufstellen und geopolitisch handlungsfähiger werden», ergänzte sie.
Wenige Wochen vor der Europawahl am 9. Juni riefen die drei Außenminister die Menschen in Europa auf, mit ihrer Wahl die Demokratie in der Europäischen Union zu verteidigen. «Die Weimarer Republik erinnert uns daran, wie schnell demokratische Regeln mit Hass und gezielten Kampagnen ausgehebelt werden können», warnte Baerbock mit Blick auf den historischen Tagungsort.
Es sei ein großes Glück und das Verdienst vorheriger Generationen, dass die Demokratie heute stark und wehrhaft sei und sie besser geschützt werden könne. «Zugleich wissen wir aus unserer Geschichte, dass Demokratie nicht vom Himmel fällt, sondern jeden Tag gelebt und im Zweifel verteidigt werden muss.»
Séjourné an Erstwähler: Wahlrecht nutzen
Frankreichs Außenminister Stéphane Séjourné rief insbesondere junge Leute in den drei Ländern auf, sich nicht von der Europawahl zu enthalten, diese sei für viele Zukunftsthemen von Bedeutung. «Es ist wichtig, das Wahlrecht zu nutzen, während die Demokratie weltweit unter Druck gerät.» Dies geschehe verstärkt auch über von Russland eingefädelte Destabilisierungsversuche, wie etwa die Farbattacke auf die Holocaust-Gedenkstätte in Paris. Das Ziel solcher Angriffe sei es, Zwietracht in der Bevölkerung zu säen.
Gemeinsam gegen Desinformation
Deutschland, Frankreich und Polen wollten als Weimarer Dreieck ihre Kräfte im Kampf gegen Fake News und Desinformation bündeln, kündigte Baerbock an. «Denn wir sehen alle drei, dass die Europäische Union, unsere Freiheitsunion, im Fadenkreuz steht. Europa wird von innen und von außen angegriffen, unter anderem mit Spionage.» Desinformationskampagnen gerade vor der Europawahl zielten «auf die Herzkammer der europäischen Demokratie».
«Weimarer Agenda» als Arbeitsplan für mehr Sicherheit
Baerbock, Séjourné und Sikorski stellten in einer «Weimarer Agenda» einen konkreten Arbeitsplan für ein stärkeres geopolitisches Europa auf. «Nur ein Europa, das seine Interessen klar erkennt und auch danach handelt, wird in einer immer unübersichtlichen Welt bestehen können», sagte die deutsche Außenministerin. Neben der Sicherheits- und Verteidigungspolitik umfasse die Agenda das Ziel einer Reform der EU mit schnelleren Entscheidungen sowie ein «grünes Weimarer Dreieck». Die globale Energiewende sei für viele internationale Partner wirtschaftliche Chance und größte Sicherheitsfrage zugleich.
In der Verteidigungspolitik werde angestrebt, das Ziel von Ausgaben in Höhe von zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts dauerhaft einzuhalten, sagte Baerbock. Vor allem solle im Verteidigungsbereich zusammen geplant, gebündelt und dann auch agiert werden. Die Bundesaußenministerin fügte hinzu: «Damit aus einer militärischen Fähigkeitslücke kein Einfallstor wird, müssen wir sie konsequent schließen, etwa bei der Luftverteidigung.» Konkret bedeute das auch mehr gemeinsame Beschaffung sowie eine Stärkung der europäischen Rüstungskapazitäten durch langfristige Verträge und Planungssicherheit
Sikorski warnt vor Krieg jeder gegen jeden
Polens Außenminister Radoslaw Sikorski sprach von einem «dramatischen Moment» angesichts des Kriegs in der Ukraine, der Europawahlen und dem unsicheren Ausgang der US-Präsidentenwahl. «Dies sind keine Herausforderungen, die wir allein bewältigen können», sagte er. Nach zwei blutigen Kriegen in Europa habe man ein Tabu etabliert. «Und zwar, dass man die Grenzen nicht verschieben darf. Alle Grenzen in Europa sind künstlich. Wenn wir wieder anfangen zu finden, dass man wegen bestimmter nationaler Minderheiten mit Gewalt Grenzen verschieben darf, ist das ein Rezept für Krieg von jedem gegen jeden.» Dies dürfe dem russischen Präsidenten Wladimir Putin nicht gelingen. «Das wichtigste ist, dass die Ukraine diesen Krieg nicht verliert und Russland ihn nicht gewinnt.»
Das Weimarer Dreieck war 1991 als Gesprächsformat von den damaligen Außenministern der drei Länder in Weimar begründet worden. Baerbock kam direkt von einem Solidaritätsbesuch in der Ukraine nach Weimar. In der Hauptstadt Kiew hatte sie am Dienstag eindringlich mehr internationale Unterstützung für die Ukraine bei der Luftverteidigung verlangt.
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