In der Nacht hat die israelische Armee die Stadt Rafah im südlichen Gazastreifen angegriffen.
Mohammed Talatene/dpa
In der Nacht hat die israelische Armee die Stadt Rafah im südlichen Gazastreifen angegriffen.
Gaza-Krieg

Berichte über Dutzende Tote bei Israels Angriffen in Rafah

Bei den intensiven Angriffen im südlichen Gazastreifen kamen offenbar auch Frauen und Kinder ums Leben. US-Medien zufolge wird die Planung der Offensive auf Rafah aber noch mehr Zeit in Anspruch nehmen.

Bei israelischen Angriffen im Zuge einer Geiselbefreiungsaktion im Bereich der Stadt Rafah im Gazastreifen sind nach palästinensischen Angaben Dutzende Palästinenser getötet worden. Die von der Hamas kontrollierte Gesundheitsbehörde berichtete von mindestens 70 Toten und mehr als 160 Verletzten. Unabhängig waren die Angaben zunächst nicht zu überprüfen.

Erstmals seit Beginn des Gaza-Kriegs vor mehr als vier Monaten war es der israelischen Armee in der Nacht gelungen, in Rafah zwei zivile Geiseln zu befreien. Ende Oktober hatten Spezialkräfte bereits eine Soldatin befreien können. Die beiden befreiten Männer sind nach Armeeangaben 60 und 70 Jahre alt und in gutem Zustand. 

Palästinensische Augenzeugen berichteten, in der Nacht sei es im Bereich von Rafah zu heftigen Kämpfen zwischen extremistischen Palästinensern und Soldaten sowie schweren israelischen Angriffen gekommen. 

Die islamistische Terrororganisation Hamas sprach in einer Mitteilung von «Massakern» an Frauen, Kindern und älteren Menschen, die zuvor aus anderen Teilen des Gazastreifens geflohen seien. Die Hamas nannte die Zahl von mehr als 100 Toten bei den Angriffen.

Planung für Offensive braucht offenbar noch Zeit

Zuvor hatten US-Medien berichtet, dass Israels Armee die Planung einer Militäroffensive auf Rafah bisher nicht abgeschlossen hat. Sie werde «wahrscheinlich einige Zeit in Anspruch nehmen» und sei auch bislang nicht Ministerpräsident Benjamin Netanjahu vorgelegt worden, zitierte die «New York Times» israelische Beamte und Analysten. Die Strategie für eine Offensive auf die an Ägypten grenzende Stadt, in der Hunderttausende Binnenflüchtlinge Schutz gesucht haben, sei «sehr komplex».

Israels Vorhaben stößt international auf Kritik. Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) warnte, dies wäre «eine humanitäre Katastrophe mit Ansage». US-Präsident Joe Biden forderte ein überzeugendes Konzept für den Schutz der dortigen Zivilbevölkerung.

Bidens Regierung habe gegenüber Israel zudem Bedenken mit Blick auf den am 10. März beginnenden muslimischen Fastenmonat Ramadan geäußert, berichtete die «New York Times» unter Berufung auf zwei israelische Beamte. Ein Angriff auf Rafah während des Ramadan könne von Muslimen in der Region und darüber hinaus als besonders provokant empfunden werden, hieß es. In israelischen Medien hatte es zuvor geheißen, Netanjahu gehe davon aus, dass Israel aufgrund des internationalen Drucks nur rund einen Monat Zeit habe und die Offensive auf Rafah daher bis zum Beginn des Ramadan abgeschlossen sein müsse.

Ägypten befürchtet Ansturm flüchtender Palästinenser

Netanjahu hatte der Armee am Freitag den Befehl erteilt, eine Offensive auf Rafah vorzubereiten. «Es ist unmöglich, das Kriegsziel der Eliminierung der Hamas zu erreichen, wenn vier Hamas-Bataillone in Rafah verbleiben», ließ er mitteilen. Die Armee soll deshalb die Evakuierung der Zivilisten vorbereiten. Nach Angaben von Augenzeugen griff Israel bereits mehrfach Ziele in der Stadt aus der Luft an. Israelische Bodentruppen waren dort bislang aber nicht im Einsatz. Ägypten befürchtet, dass ein massiver Militäreinsatz in Rafah zu einem Ansturm verzweifelter Palästinenser auf die ägyptische Halbinsel Sinai führen könnte.

Avi Dichter von Netanjahus konservativer Likud-Partei habe vorgeschlagen, dass die Bewohner des von Israel abgeriegelten Gazastreifens in ein Gebiet westlich von Rafah entlang der Küste umgesiedelt werden könnten, berichtete die «New York Times» weiter. Yaakov Amidror, ein ehemaliger General und nationaler Sicherheitsberater, sehe auch noch andere Optionen, darunter einige Gebiete im Zentrum des Küstenstreifens, in die das Militär bislang nicht vorgestoßen sei. Auch die nahe gelegene Stadt Chan Junis könne eine Option sein, sobald Israel den dortigen Militäreinsatz gegen die Hamas beendet habe, hieß es.

Amnesty International: Bewohner nicht ausreichend gewarnt

Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International hat Israels Armee vorgeworfen, in der Stadt Rafah rechtswidrig Häuser angegriffen und dabei etliche unschuldige Menschen getötet zu haben. Bei vier Bombardements seien im Dezember und im Januar mindestens 95 Zivilisten getötet worden, teilte Amnesty International mit. Die Organisation habe keinerlei Hinweise darauf gefunden, dass es sich bei den Gebäuden oder den Bewohnern darin um legitime militärische Ziele gehandelt habe. Alle vier Angriffe seien «wahrscheinlich direkte Angriffe» auf Zivilisten und zivile Objekte gewesen. Sie müssten als Kriegsverbrechen untersucht werden, forderten die Menschenrechtler. Israels Armee soll die Bewohner nach Erkenntnissen von Amnesty nicht wirksam oder gar nicht vor den Angriffen gewarnt haben. 

Die untersuchten vier Angriffe zeigten, dass diese Behauptungen nicht stimmten, sagte Katja Müller-Fahlbusch, Expertin für den Nahen Osten bei Amnesty International, laut einer Mitteilung. «Ganze Familien wurden bei israelischen Angriffen ausgelöscht, obwohl sie in als sicher eingestuften Gebieten Zuflucht gesucht hatten.»

Bundesregierung fordert erneut Schutz der Zivilbevölkerung

Deutschland hat die israelische Regierung angesichts der angekündigten Militäroffensive in Rafah im südlichen Gazastreifen erneut eindringlich zum Schutz der palästinensischen Zivilbevölkerung dort aufgerufen. «Wir sind angesichts der Lage in Rafah sehr besorgt. Dort sind ja über eine Million Menschen auf sehr engem Raum, (...) die dort Schutz suchen vor den Militäroperationen und die im Grunde ja nirgendwo anders mehr hin können», sagte ein Sprecher des Auswärtigen Amts in Berlin. Es gelte, was Außenministerin Annalena Baerbock schon am Wochenende erklärt habe: Bevor es zu weiteren größeren Offensiven auf Rafah gegen die Hamas kommen sollte, müsse Israel klar darlegen, «wo und wie diese Menschen Schutz finden können - und zwar effektiven Schutz finden können». 

An diesem Mittwoch will Baerbock nach Angaben des Sprechers zu ihrer fünften Reise nach Israel und zur insgesamt sechsten Reise in die Region seit dem Terrorangriff der islamistischen Hamas auf Israel am 7. Oktober aufbrechen. Bei dem zweitägigen Israelbesuch seien Gespräche mit Staatspräsident Izchak Herzog, Premierminister Benjamin Netanjahu sowie ihrem Amtskollegen Israel Katz geplant.

Im Fokus werde der politische Weg hin zu einer neuen humanitären Feuerpause in Gaza stehen, um ein Zeitfenster für die Freilassung weiterer Geiseln und Verhandlungen über einen nachhaltigen Waffenstillstand zu schaffen, sagte der Sprecher weiter. Darüber hinaus werde es auch um die schwierige humanitäre Lage im südlichen Grenzort Rafah sowie im Gazastreifen insgesamt gehen. Ein Besuch in den palästinensischen Gebieten oder einem anderen Land in der Region sei derzeit nicht geplant.

Das Auswärtige Amt forderte erneut, es müssten mehr humanitäre Lieferungen nach Gaza kommen. «Die Menschen müssen besser und effektiver geschützt werden und besser und effektiver versorgt werden», betonte der Sprecher. Zu Vertreibungen aus Gaza und den palästinensischen Gebieten dürfe es nicht kommen. Auch aus diesem Grund müsse bei den israelischen Operationen gewährleistet werden, dass die Menschen dort effektiven Schutz hätten.

Auf die Frage, ob das Auswärtige Amt den Eindruck habe, dass die deutschen Appelle irgendeinen Einfluss auf die israelische Regierungslinie hätten, sagte der Sprecher, es sei immer gut, im Gespräch zu bleiben. Es gebe intensive Kontakte zu den israelischen Partnern. Dem diene auch der Besuch der Ministerin in dieser Woche. «Wir sind sehr klar in dem, wie wir sozusagen unsere Position darlegen und werden das auch weiterhin tun.»

Merz stellt sich hinter israelisches Vorgehen

Unionsfraktionschef Friedrich Merz hat sich hinter das militärische Vorgehen Israels gegen die islamistische Hamas im Gazastreifen und im südlichen Grenzort Rafah gestellt. «Die israelische Regierung und die israelische Armee tun nach meinem Eindruck alles, um die Zivilbevölkerung dort zu schützen», sagte der CDU-Vorsitzende am Montag nach einem Treffen mit dem israelischen Premierminister Benjamin Netanjahu in Jerusalem. Die Zivilbevölkerung werde von der Hamas als Schutzschild missbraucht, um die Bekämpfung des Terrors schwerer zu machen. «Insofern liegt es jetzt auch bei der Hamas, dafür zu sorgen, dass hier nicht noch mehr zivile Opfer zu beklagen sind», ergänzte Merz. 

Er habe Netanjahu zunächst zur Befreiung von zwei weiteren Geiseln in der vergangenen Nacht gratuliert, sagte Merz. «Das ist ein gutes Zeichen.» Es seien aber immer noch viele Geiseln von den Terroristen gefangen. «Wichtig ist, dass die israelische Armee, dass die israelische Regierung jetzt Erfolg hat in der wirklichen Zerstörung der Hamas», sagte der Unionsfraktionschef. «Und auf diesem Weg sind sie.» Er habe mit Netanjahu auch über die humanitäre Lage der Menschen im Gazastreifen gesprochen. 

Ankara wirft Israel gezielte Vertreibung vor

Die Türkei hat Israel eine gezielte Vertreibung von Palästinensern vorgeworfen. «Wir betrachten diese Operation als Teil eines Plans zur Vertreibung der Menschen in Gaza aus ihrem eigenen Land», teilte das Außenministerium in Ankara mit. Man sei «äußerst besorgt» über die zunehmenden Angriffe in der Region Rafah. Damit werde die humanitäre Tragödie in Gaza noch verschärft und Bemühungen um einen dauerhaften Waffenstillstand in der Region untergraben.

Die Beziehungen zwischen der Türkei und Israel haben sich im Zuge des Gaza-Kriegs massiv verschlechtert. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan hatte den Terrorangriff auf Israel vom 7. Oktober zwar verurteilt, die dafür verantwortliche im Gazastreifen herrschende Hamas aber später als Befreiungsorganisation bezeichnet.

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